Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

DOI Artikel:
Mosler contra Lessing, [1]
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0229

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
445

Korrespondenz.

446

nicht recht folgen können, so hält er es für nöthig, ihm
die Zurechtfindung zu erleichtern. Dies geschieht S. 32
in vier Absätzen: „Jch habe es für meinen Zweck nicht
für überftüssig und unzweckmäßig gehalten, meine Unter-
^ suchung damit anzusangen, nachzuweisen u. s. w."
— „Jch begann so, nebenbei bemerkt, um Dir, lieber
Leser, zart anzudeuten..." — „Jch setzte aber sort
(sio!) mit einem Seitenblick auf Lessing . . . ." — „Um
also wieder.... zurückzukommen . . . ." Beherrscht ein
Schriftsteller, der derartiger Zurechtweisungen rückwärts
und vorwärts bedarf, selbst den Weg, den er uns zeigen
will, oder schreibt er nicht vielmehr wie ein Blinder
geht?

Lessing hat nun sür den Umstand, daß Laokoon
nicht schreit, keineswegs die richtige Erklärung gefunden.
Seine Deduklion aus dem Maßhalten „würde ja schließ-
lich dahin führen, so artig zu brüllen wie ein Turtel-
täubchen, wie eine Nachtigall." (S. 32.) Mosler weiß
eine viel bessere. Von dem Satz ausgehend, daß „der
Charakter, wie theilweise schon der späteren griechischen
und römischen Kunst, so der bedeutenderen Kunst christ-
licher Zeitrechnung" der ist, „daß fast alle Künste schein-
bar ihre Rollen mit einander getauscht haben, und keine
eigentlich mehr in der Schranke bleibt, die ihr von
Haus aus als am naturgemäßesten angewiesen zu sein
scheint", kommt Mosler zu der „einfachen" Erklärung:
„Die Gruppe Laykoon ist die plastische Darstellung einer
Tragödie." Leider können wir diese Erklärung nicht
annehmen, weil sie auf einem Denkfehler beruht. Es
ist eben ein großer Unterschied, ob man geistreiche Be-
merkungen schreibt oder ob man eine wissenschastliche
Erklärung geben will. Dem Feuilletoniften z. B. werden
wir den obigen Satz nicht verübeln: er hat vor Allem
die Aufgabe, seine Leser zu unterhalten, nicht aber die,
einer Frage wissenschaftlich auf den Grund zu gehen.
Dies aber soll der Aesthetiker, besonders wenn er Les-
sing korrigiren will. Jm Munde des Aesthetikers ist
jener Satz eine Phrase, und zwar aus diesem Grunde:
Der bildende Künstler giebt einen einzelnen Moment
aus der sich entwickelnden Handlung, und dieser ist z. B.
ein tragischer. Zur Tragödie gehört aber die ganze Ent-
wickelung der Handlung, und zwar, wenn dieser Ausdruck
auf ein Kunstwerk anwendbar sein soll, die stch iin Ob-
jekt, im Kunstwerk, vollziehende Entwickelung der Hand-
lung. Giebt uns dieses jedoch nur den Anlaß, durch
Hinzufügung der vor und nach dem dargestellten Mo-
ment sich vollziehenden Entwickelungsphasen der Hand-
lung, aus dem einen Moment eine Reihe von Mo-
menten zu machen, welche in unserer Phantasie, im Sub-
jekte, sich zu einer Gesammthandlung zusammenfügen
und tragisch sind, so mag man diese Gesammthandlung
immerhin Tragödie nennen; diese „Tragödie" aber ist
im Subjekt vorhanden, jedoch nicht im Objekt darge-

stellt. Die klare Einsicht in dieses Verhältniß voraus-
gesetzt, mag man immerhin die Laokoongruppe bildlich
eine Tragödie nennen; aber eine bildliche Bezeichnung
als eine wissenschaftliche Erklärung zu geben, die einen
Lessing, den schärfsten Denk'er aus ästhetischem Gebiet,
korrigiren soll, ist eine Gedankenlosigkeit, die wir als
eine sehr naive nicht weiter betonen würden, wenn sie
sich nicht gar so breit machte, nicht gax so prätentiös,
und zwar nicht blos in diesem Falle, aufträte. Der
Aesthetik scheint es eben unter den Wissenschaften zu
gehen, wie der Poesie unter den Künsten: Prosa kann
ja Ieder schreiben, und Verse kann ja Jeder schmieden,
und ein paar unreife Gedanken sinden sich auch leicht
genug — also nur frisch darauf losgeschrieben und los-
gedichtet! Bei anderen Wissenschaften muß man sich die
Kenntniß des Stosses erst durch Arbeit erringen —
aber die Kunst liegt ja vor Jedermanns Auge, und
Jedermann ist gewöhnt, von Jugend auf über sie abzu-
urtheilen; warum nicht auch einmal schriftlich? Uns
dünkt aber die Wissenschaft doch zu ernst für ein solches
Gebahren, und wir verlangen gerade in der Aesthetik,
die so leicht der Phrase Eingang gönnt, um so nach-
drücklicher scharfe Begrifssbestimmung und durchsichtigste
Klarheit; wir verlangen vor Allem die Fähigkeit, zu
denken.

Jm IV. Abschnitt giebt uns Mosler lange und
weitschweisige Erläuterungen, die alle durch Lessing's
einen Satz überflüssig werden, mit welchem er seinen
XIV. Abschnitt in den Fragmenten beginnt: „Unter
den Gemälden der Handlung giebt es eine Gattung, wo
die Handlung nicht in einem einzigen Körper sich nach
und nach äußert, sondern wo sie in verschiedene Körper
nebeneinander vertheilt ist." — Man muß nicht gegen
Anschauungen anftreten, die man nur zum Theil kennt.

(Schluß solgt.)

Korrespondkly.

Stuttgart, im März 1876.

Der Inspektion der k. Kunstgalerie, deren Be-
streben seit Jahren dahin gerichtet ist, Wanderbilder
berühmter Meister hierher zu ziehen, verdanken wir auch
neuerdings wieder die Ausstellung einer Anzahl Werke,
von denen, nach ihrer Reihensolge, mehrere zu erwähnen
sind, welche die allgemeine Ausmerksamkeit aus stch zogen.
Es sind zunächst „Venus, des Adonis Tod beklagend",
von Prof. Lindenschmit, und „Melancholie", von
A. Feuerbach. Bei ersterem fand namentlich die Ge-
diegenheit der Behandlung des Fleischtons große Aner-
kennung, indem besonders die Leiche des geliebten Todten
einen scharfen Kontrast gegen die lebensfrische Farbe
der Göttin bildet. Ueber diese selbst, sowie die Stellung,
welche ihr der Künstler gegeben, gingen aber die An-
sichten auseinander, und es wurde nicht ohne Grund
 
Annotationen