Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft)
DOI Artikel:
Spunda, Franz: Ritt über den Taygetos
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0116

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sich alle Sinne gegenseikig steigcrn, ihrc gegenseillgcn Abgrenzungen verlieren und
alle Sinnesempfindnngen zu einer einzigen, höher gearteten Lustempfindung zusam-
menschließen. Dann wird jeder Blick zu einem Wclt-Blick, jedes Bewußtscin zum
Welt-Bewußtsein. Alles wird eins, eins wird alles; was dazwischen liegt, das
sind nur allmähliche, unvollkommene Stcigerungen, die immer mehr ihre Kontur
verlieren und nur das Ziel oder den Anfang (was dasselbe ist) gelten lassen.
Die übrige Welt wird dann zum Rahmen der Landschafk und diese hinwiederum
erklärt das Vorhandensein der übrigen Welt. Und Schönheit >st beider Gesetz.
Ob ich hinanf zum Propheten Eliaü blicke oder abwärts inS wimmelnde Tal: cs
ist das gleiche, nur in verschiedenen Bewußtseinslagen.

Lamprenos mahnt zum Aufbruch. Nanö wiehert lustig, wie es nun durch schattigen
Tannenwald bergabwärts geht, immer von kühlenden Winden umweht, die eine
salzige Ahnimg des Meers bis hiehcr emportragen. Bald ist die Waldregion
verlassen und ein gepflegtes Fruchtland nimmt uns auf. Der Weinstock erklimmt
in Terrassen luftige Hügel. Orangen- und Zitroncnhainen entduftet lieblicher Hauch.
Der Pfad führt durch Engpässe hindurch und an Abhängen vorüber, dercn rissiges
Gestein wie mit Schriftzeichen bedeckt erscheint. Und es ist doch wirkliche Schrift!
Diese Gegend heißt „der beschriebene Stein", „grammeni pctra". Es sind alt-
mcssenische Zcichen, welche die Grenze gegcn Lakedämon markiercn. Doch was
nützte die Sprache der Steine gcgen den Übermut der spartanischen sgugend!
Jn Messene einzufallen und mit Beute zurückzukehren galt gewissermaßen als ihre
Reifeprüfung. Und was bescheinigt jetzt die Rcife der Jünglinge, o Schulmcister?
Der Pfad fällt in jähen Abkürzungen in einen Talkessel hinab, auf dcssen Grund
das Oldorf Ladä liegt, inmitten der üppigstcn Oliven. Jch steige ab und sehe zu,
wie in steinernen Mühlen die reifen Früchte zerquetscht werden nnd wie anS dcn
Löchern der goldgelbe, bctörend aromatische Seim hervorquillt. Die Luft riecht
davon ölig, dis ätherischen Essenzen der Olive hängen wie eine dnftige Wolke
über dem ganzen Tal und durchtränken alles mit ihrem wollüstig erschlaffcnden
Duft. Auch der Käse, das Brot und der Wcin, die ich dort genoß, hatten jenen
süßlich-fettigen Wohlgeschmack, dcr sich übcr alle Empfindungen wie cinc opali-
sierende Flimmerfettschicht legt.

Dann wieder auf stcilcn Kehrcn empor ins Hügelland, das in viclen Kuppen gegen
die Ebene abklingt. Nun wird der Weg wicder gangbar. Von allen Seiten tanchcn
hinter Maulbeer- und Orangenbäumen vcrstccktc Weilcr hervor. Auf offencn
Tenr.en wird das Getreide im Wind wie seit urdenklichen Zeitcn geworfclt und
von den Hufen der Rosse gedroschcn. Girlanden von getrocknetcn Tabakblättern
nmwinden die Hüttcn^ Schweine grunzen und quieken, Hunde bellen, Hühner
gackcrn, kurz, das ganze geräuschvolle Leben der Südländcr tönt mir mik hnndert
Stimmen entgegen. Nanö wiehcrt den hochbepackten Mauleseln, alten Freunden,
lnstig zu.

Das Massiv des Taygetos tritt immer mchr zurück, nun ist cs nur noch wie einc
einförmige, blaue Silhouette sichtbar. Noch einmal fällt der jetzt gut ausgcfahrenc
Weg in ein Engtal, dann hart an dem Abgrund vorüber dem Dörfchen Chanaki
zu, das in einem Gehölz von Pfirsich- und Aprikosenbäumen steckt, eine ver-
strcute Ansammlung ärmlicher Hütten. Unweit davon >n einen Taleinschnitt ge-
schmiegt, liegt ein kleines Kloster mit luftigem Glockenturme !n cincm Zustand, daß man
nicht erkennen kann, ob cs Ruinc oder ob es bewohnt ist. Lamprenoö wird wiedcr
gesprächiger und unterhält mich wieder mit seinen Heiratsprojekten. sgch muß ihm
von meiner Heimat erzählen. Vor f^ermanija (Deutschland) hat er die größte
Achtung, die Stadt Wi'enni möchte er für sein Leben gern sehen. Nur kann er
es nicht verstchen, daß ich im Hochsommcr mei'ne kühlc Heimat verlasse, wo es

96
 
Annotationen