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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 8 (Maiheft)
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Spunda, Franz: Ritt über den Taygetos
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0115

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von Winterstürmen gesällt, oon Blitzen zersplittert, vom Sturze zerspellt, liegen
lvirr durchcinander nnd zeigcn das fahle Weiß ihrer entrindeten Stämme, die wie
bleiche Gerippe starren. sfm moorigen Grund sinkt das Ticr zumeilcn ein; oft ist
es schwer, den Saumpfad wiederzufinden. Dann wieder dröhnt der Huf auf hartem
Gestein und die Felsenwändc erwecken einen schaurigen Widerhall. An Wild
scheink die Langada arm zu sein; im Winter aber soll es Wölfe geben. Oben im
Gcbirge sei vorigeS Jahr ein Hirte von ihnen zerrissen worden; Lamprenos erzählt
mir eine abenteuerliche Geschichte von einer Wolfsjagd, bei der er dabei war.

So vergehen die Stunden. Allmählich windet sich der Pfad immer höher hinauf
durch Kiefernwälder zur obersten Talstufe. Schwarze Tannen und Fichten be-
gleiten uns. Nun wird die Landschaft vollständig zum Alpenbild. Einzelne Almen
mit fettem Gras tauchen auf, Blockhäuser und Herdenvieh. Die Luft wird dunn,
die Sonne sticht nicht mehr, obwohl sie fast senkrecht über dem Scheitel steht.
In dem BlockhauS eines Köhlers gibt es Milch, kühle, rahmige Milch.

Kurze Zeik darauf sind wir auf der Sattelhöhe, die fast dreizehnhundert Meter hoch
in einer Lichtung nahe bei einer Quelle liegt. Ein Kirchlein der Panagia bezeichnet
die Grenze zwischen Lakedämon und Messene. Hoch ober mir auf dem strahlenden
Felsenhaupt eine fchneeweiße Kapelle, der Hagios Jlias, eine selbstleuchtende Schnee-
flocke, die wie ein verzücktes Auge die Himmelsglut des reinsten Äthers in ssch auf-
saugt und in Wonne widerspiegelt. Auf allen Gipfeln der Berge Griechenlands
funkelt der feurige Prophet Elias als Hüter der heiligen Natur, schon ganz dem
sfrdischen entrückt; eS ist wie ein letzter Augenblick, bevor er in den Himmel auf-
fliegt und noch einmal irdisch Atem schöpfen wollte. So darf man noch zu ihm
beten, noch gehört er uns an; aber nur noch einen Augenblick, und er ist uns
entschwunden. Gerade in der wildesten Ddnis, wo kein Tier mehr hingelangt,
dorthin dringt noch das Gefühl des Menschen und krönt die Natur in der Der-
klärung seines edelsten Wunsches.

Jmmer wo Grenzen sind, geschieht das Erhabene. Das Gewaltige. Denn Streit
für sich selbst will die Natur. So kämpfen hier zwei Naturen: Sparta und
Messcne. Dort wilde Schönheit, die Übermenschliches fordert; hier Messene vor
mir, Anmut und AuSdauer, herrlich umzirkt von erglühenden Bergen und leuch-
tenden Buchten, aber ohne den genialen Funken, der vom Taygetos her als heroi-
scher Anruf wie ein Blitz herniederzuckt. Zu weit von dcr messenischen Ebene ist
der furchtbare Berg, der in Messene nicht befruchtend drohen, der nur aus der
Fernc wetterlcuchtend grollen kann, doch ohne unmittelbare Gefahr in seiner Um-
düsterung. Messenc ist das Land der Gediegcnheit. AlleS, was hier geschehen kann,
hat seine Wurzel im geschäftigen Ordnungssinn der Natur. Eine bürgerliche
Welt; nur die Festung Jthome, ein ferner, grauer KübuS, deutet ihren Verteidi-
gungswillcn wie ein Symbol an. Die weite Ebene vor mir, ein paradiesischer
Garten, mit Mühe dem wüsten Boden abgerungen, die Berge im Norden —
ein deutsches Miktelgebirge als südliches Jdyll, die süße Bucht von Kalamata
mit dem gehäkelten Spitzensaum des weißen Strands — ein Badegelände für
Familien mit Kind und Kegel. Auch in der Luft liegt das Aroma einer anderen
Welt; nicht mehr das herbe Duften von Thymian und Minze, wie bei der
Artemis Orthia oder in Misträ, sondern ein laulicher Geruch von Honigblüten

und getrockneten Feigen, vielleicht auch ein Rüchlein Schafkäse liegt in dcr Luft,

etwaü unbestimmbar Weiches, Anmutiges, das sich nicht definieren läßt. Aber
man muß nur die Augen schließen und tief atmen: wahrlich, jetzt kommt etwas
Neues! So hat jede Landschaft ihren Duft und Hauch. Wer ihn kennt, der kennt
das Land, auch wenn er blind geboren ist. So entsteht jene wunderbare Einheit

deS Gesamtgenusses, die dem innersten s^nstinkt der Natur entstammt, bei der
 
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