Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft)
DOI Artikel:
Kaphahn, Fritz: Von einer südspanischen Reise
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0119

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Llnienkombinationen sich auswirkend. Die Erinnerung an die Wand- und Decken-
schmückung dentscher Rokokoschlösser beim Anblick der Prachträume um den Myr-
then- und den Löwenhof bringt diese Tatsache zn eindringlicher Klarheit. Aus ihr
beruht der bei aller unheimlichen Vielgestaltigkeit im einzelnen so klar und über-
sichtlich wirkende Wand- und Dekorationsschmuck in den maurischen Palästen.
Vielleicht liegt hier aber auch die Wurzel sür die eigentümlich verflochtene und
doch klare Geistigkeit ffbn Chaldüns, jenes großen arabischen DenkerS, der Wand
an Wand mit den Odalisken der nasridischen Fürslen eine arabische GeschichtS-
philosophie schuf. Ja, vielleicht erklärt diese geistige Eigentümlichkeit sogar das,
waS wir den „jüdischen Geist" nennen: die unheimliche Durchsichtigmachung der
Dinge bei aller Fülle der Betrachtung und die kühle Begrisslichkeit gegenüber den
brennendsten Lebensfragen. So unverständlich es für den ersten Augenblick klingen
mag: ich habe in der Cördobcnser Moschee an Karl Marr und im Palacio arabe
der Alhambra an Georg Simmel denkcn müssen.

Und von derselben weitreichenden Bedeutung ist die zweite Eigentümlichkeit des
arabischen Geistes: der überwuchernde Familien- und Sippensinn.
Jedermann, der die Alhambra erlebt hat, ist erstaunt, welche nach anßen hin kahle,
nichtssagende Wände diese Kleinodien arabischer Ban- und Dekorationskunst um-
schließen, und jeder Besucher südspanischer Städte ist überrascht von dem Gegen-
satz der Enge und Unrei'nlichkeit der Straßen und der Sauberkeit, Stille und har-
monischen Raumgestaltung in den „Patios", den Binnenhöfen, um die sich die ein-
zelnen Teile eines Hauses gruppieren und die in ihrer Anlage alle noch aus der
maurischen Zeit herrühren. Auch hier ist die Erklärung nur in der Tatsache zu
finden, daß das Gesellschaftsleben der Araber nicht ertensiv, sondern intensiv, nicht
verbindend, sondern isolierend verlief. Der Araber hält den Raum, in dem sich seine
Persönlichkeit auswirken soll, in engster Umfriedung; was darüber hl'nausreicht,
ist für ihn von gänzlich untergeordnetem Jnteresse und vermag, wenn es einmal
fordernd an ihn herantritt, in keiner Weise von ihm bewältigt zu werden. Hieraus
erklärt sich, daß in den arabischen Staaten auch der spätcren Zeit kein öffentliches
Leben, damit keine ösfentliche Meinung und damit wiederum keine Demokratie
entstand, denn der Despot an der Spitze und die hundert oder tausend Familien
und Sippen in isoliertem, höchstens gegensätzlichem Nebeneinander, nicht Stände
und Klassen mit SolidaritätSgefühl und funktionalem Durcheinandergeflochtensein, bil-
deten die Grundlage der Gesellschaft; und nicht Völker-, sondern Sippenkämpfe
zerstörten die maurischen Reiche. Hieraus erklärt sich auch die Unmöglichkeit der
objektiven Organisation eines JmperiumS, wie sie in der großartigsten Weise jetzt
das englische Weltreich darstellt. Derschwand die zusammenhaltende Faust des
despotischen Eroberers, so löste sich das arabische Weltreich auch äußerlich in
viele kleine unabhängige Sippenstaaten auf. Hieraus erklärt sich endlich die Eigen-
tümlichkeit arabischer G a r t e n b a u k u n st. Jm Grunde gibt eS für uns Abend-
länder nichts Enttäuschenderes als die Gärten des Alcäzar in Sevilla und den Patio
de Daraxa auf der Alhambra. Welche Engigkeit und Abgeschlossenheit; ein schönes
Gefängnis, aber kein Garten, in dem unser Auge immer an den engumfriedenden
Mauern anstößt! Und doch so völlig arabisch: nach außen fest umgrenzt und i'soliert;
im Jnnern bis ins Einzelnste fein durchgebildet. Ein arabischer Garten ist ein ar;f
ein Stück Erde übertrageneS, fest abgegrenztes, intensio im Feinsten durchgebildetes
arabisches Ornament. Denkt man in diesen Gärten an Potsdam oder Versailles,
so wird in großartigster Anschauung die ganze Gegensätzlichkeit arabischen und
abendländischen Geistes osfenbar: hicr die in den unbegrenzten Raum hl'nausschwin-
gende Perspektive, dort die nach innen gewandte, isolierende, eng nmgrenzte Ranm-
glicderung.

96
 
Annotationen