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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 9 (Juniheft)
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Häfker, Hermann: Über Sport
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0178

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vi'elleicht doch noch zu wenig Sport, oder gar zu viel? Die Sportbegeisterung größer
als der Sport, ettva so, daß mehr Sportleistungen und Rekorde betvundert und be-
klatscht, als selber Sport betrieben wird? Nun der Sport da ist, haben viele Men-
schen das Gefuhl, daß nun auch sein Problem da ist. Sie meinen, erst nachdenken
zu müssen, ehe sie gegenüber dem Sport und der allgemeinen Körperkultur sür ihre
Person die richtige Stellung sinden und ihr Teil davon nehmen können. Wieder ern
Stück von der belächelten deutschen „Gründlichkeit", die in Wirklichkeit ein unsrucht-
bares Grübeln wäre, durch das der srischen Farbe der Entschließung ewig des Ge-
dankens Blässe angekränkelt wird? Nun, diese Bewegung nimmt aus der elemen-
tarsten Notwendigkeit heraus ihren SiegeSzug über die Welt. Wir aber wollen ver-
suchen, sie richtig zu sehen, und den Gesichkspunkt auszusinden, von dem aus sie sür
uns persönlich sruchtbar werden kann. Wenn wir etwas vom Ausland sür uns
übernehmen, so braucht es ja nicht blindlings zu sein, es sollte vielmehr schöpserisch
sein. Sport und Verwandtes ist nichts Gutes oder Böses an sich: daS Denken macht
es erst dazu.

Sport ist ein Teil und in einem gewissen Sinne die Gipselung der gesamten Erzie-
hungS-Beschästigung mit dem, was die Griechen tressend als das Nackte (gymnos)
bezeichneten, — daher das Sammelwort Gymnastik. Jnnerhalb dieses Begrisses um-
saßt der Sport jede umsassende Betätigung deS ganzen Körpers als einer Einheit,
ohne einen anderen als diesen Selbstzweck. Er steht damit einerseits der sozusagen
vorbereitenden Körperpslege gegenüber, von der bloßen Ernährung, Rein- und Ge-
sunderhaltung bi'g zur besonderen Ausbildung einzelner Glieder und Organe, den
„Leibesübungen", und andererseits der Schulung des Körpers sür Sonderzwecke, z.
B. sür kriegerische Wehrhaftigkeit, Berussbedars und außergewöhnliche Unterneh-
mungen, oder auch zur Pflege sozialer Beziehungen nnd Gesinnungen. Auch bleibt er
eine Angelegenheit für sich gegenüber den nah verwandten Körperbetätigungen in den
verschiedenen Künsten, bei denen das Schwergewicht unmittelbar im Seelischen liegt.
Doch handelt es sich nicht um Gegensätze, sondern all dieses geht sließcnd ineinander
über, und in jedem ist etwas von allem anderen enthalten. Durch ein Mehr oder
Weniger dieser oder jener Bestandteile in der Mischung erklären sich auch genügend
solche Abarten, wie etwa das Turnen und die Berusssportlerei. Maßgebend isi die
Frage, welche Rolle die Körperkultur in unserm seelischen Haushalte spielt, und welche
Rolle sie am zweckmäßigsten spielen sollte und könnte.

Jm seelischen — Haushalt. Das sind zwei Wörter, „Seele" nnd „Hauöhalt",
mit denen wir allen Menschen eine größere Dertrautheit als üblich wünschen, denn
sie bezeichnen Begrisse, von denen das Verständm's unseres heutigen Lebens und jede
vernünftige LebenSsührung mit abhängt.

Wir pflegen und erhalten unseren Körper nicht um seiner selbst willen, sondern als
Träger — oder als greifbare und anschauliche Form — unserer Seele, unseres Be-
wußtseinslebens. Von diesem allein können uns daher auch auf dem Gebiete der
Gymnastik die Gesetze diktiert und die Grenzen gezogen werdcn. Und zwar genauer
vom verstandesmäßigen Denken, das in gewissem Sinne die höchste Form des Be-
wußtseinslebens ist, vom Geist! Aus dem scharsen Denken — aus dem dann ein
von Schätzen reicher Strom in unser Gesühlsleben zurücksließt — beruht nnsere ganze
Kultur und damit alles, was unS daS Leben wert und teuer macht. Jm präzisen
Denken liegt die Kraft des Menschen, seine Fähigkeit zu handeln; das wärmste Ge-
fühl und die stärkste Leidenschaft reichen dazu nicht aus. Sie ist ebcn daS, was ihr
Name besagt, etwas, das wir „erleiden", das von außen über unS kommt. Der
Mensch will aber nicht beherrscht werden, sondern will herrschen, will sich srei sühlen.
Wir wollen und wir können nicht passiv sein, wenigstenS nicht allein, es muß dem eine
Aktivität unseres Jchs gegenüber stehen und ihm die Wage halten. Auf der andern

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