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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 9 (Juniheft)
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Häfker, Hermann: Über Sport
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0179

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Scike hat das gefühlsmäßige Erhassen der Dinge, ihr Übersichergehenlassen, den
versührerischen Relz des Gennsses ohne oder mit verminöerter Kraftanstrengung nnd
Selbstüberwachung, ein Reiz, den wir ganz allgemein als R a u s ch bezeichnen können.
Dieser Rausch, der uns mit allen Empsindnngen überslutet, vom Alkoholgenuß bis
zum Theater- und Zirkusbesuch, ist berechtigt, er ist sogar heilig. Die tressten Ge-
danken und vielleicht der lebendigste Teil aller Religionen sind ihm bewußt gewidmet
worden. Aber er ist auch verhängnisvoll, und er wird zum verderbenden Schicksal
eben da, wo er in das Herrschastsgebiet der Denkklarheit einbricht, und es auch nur
am Rande zu beschädigen droht. Letzten Endes also auch Rausch, Gefühl, Sinnenge-
nuß, widerstandslose Hingabe nur so weit, wie wir sie wolIen, so weit, wie wir
willentlich unserm Wollen und unserm Denken Urlaub geben.

Es dürste nicht dunkel sein, was diese Aussührungen mit der Frage des Sports und
der Körperkultur zu tun haben. Es dürste auch verständlich werden, waS wir mit dem
seelischen Haushalt meinen.

Wie das einzige wirtschastliche Gesetz, das nach Abzug alles Zweiselhasten nnd Be-
dingtcn sür die Derwaltung unsres GeldeS und unsrer geldwertigen Güter übrigbleibt,
das der F r u eh t b a r k e i t ist, so ist es auch das Höchste sür den Haushalt mit
unsern seelischen Mitteln. Soweit wir uns dabei ein Ziel und eine Ausgabe stecken
können, ist es die, auch dieseS Kapital im höchstmöglichen schöpserisch anzu-
legen. Wir empfinden es als unser Gesetz, Werte zu schassen, lebendige Werte, deren
Maßstab die Summe von Freude ist, die sie uns und unsern Mitmenschen bereiten.
So gewiß der Begriss der Freude sür jeden Menschen ein anderer ist, so gewiß ist
ihre höchste Form für Alle jene schöpferische Klarheik, auf der die Erhaltung und
Vermehrnng unsrer Kultur beruht. So gewiß wir uns ihrer physiologisch nicht
ununterbrochen erfreuen können, sondern um ihrer selbst willen ein häufiges und
langes Untertauchen in die Tiesen des rein triebhasten Daseins bedürsen, so soll eben
auch dieses nur um der geistigen Regeneration (Wiederherstellung) willen geschehen,
und das Übel beginnt, wo unser Leben sich im Sumpfe des Triebhaften zu verlieren
und in unsruchtbare Breite zu zerfließen droht. Diese Gefahr lauert hinter der falsch-
verstandenen und zum Selbstzweck werdenden Körperpslege.

Es bedarf keiner Erörterung, daß der Reiz, der dem Sport und der Gymnastik überall
einen so leichten Sieg verleiht, sobald nur die technischen Vorbedingungen slch einge-
stcllt haben, zum großen Teil eben jener seelische Rausch ist, der sich gerade aus dem
Gcbiete des Sports so häufig zur Massenekstase steigert; über deren Wert nnter den-
kenden Menschen kaum ein Zweisel besteht. Am krassesten liegt der Unwert da zutage,
wo es sich bei dem Begeisterten selbst gar m'cht mehr um eine Leistung, weder des
Körpers noch des Geistes handelt, sondern um ein bloßes Hingerissensein durch die
Leistungen Anderer, wie beim Anblick von ZirkuSproduktionen und Borerkämpfen, oder
gar durch danebenliegende Sensationen, wie im Wettwesen. Auch da ist sreilich
überall auch etwas Schöpserisches beteiligt: ein hochgesteigertes Miterleben kritrscher
Augenblicke und danüt eine Gespanntheit der eigenen Tatkrast; andere Spuren sühren
darüber hinaus inö Erotische hinein. Aber auch in der eigenen Sportbetätrgung, ja
in jeder an sich berechtigten Körperpflege, liegt eine Derführung zu einem Auf-
gehen im ranschartigen Genuß. Eine scharse Scheidungslinie wäre möglich zwr'schen
dcnen, die bei ihrer Körperkultur und durch sie intelligenter und besser, gütiger,
srer'er und klarer werden, und solchen, die dabei und trotzdem dümmer und roher
wcrden. Niemand hat dies so klar gesehen und so mannigfaltig ansgesprochen, wie
die Gri'echen, deren ganze Erziehung und damit Kultur auf der Nacktpflege beruhte,
die durch sie zu den geistigen Gipfeln klommen und ihr sogar ihre politischen Erfolge
danktcn, und die ebensalls durch sie und ihre Auswirkungen politisch und geistsg zu-
grunde gingen. Hellas starb mit an den Mächten des RauscheS, der seine Großen
 
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