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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 9 (Juniheft)
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Schumann, Wolfgang: Legende
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0192

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Wind stri'chen durch ihren Gesang . . ." Der junge Meister weinte iauter nnd die
Halme verstnmmten. Da rauschten die Bäume am User nnd sprachen: „Ja, sie
strichen durch ihren Gesang, und Gottes Atem wehte daraus. Dann aber schwieg sie,
beugte ihr Angesicht über deine Hand und küßte sie — weißt du es noch?" Der
junge Meister schluchzke laut. „Du aber hobst sehnlich die Hand ihr nach, als sie
hinwegschritt und schluchztest, wie jetzt..."

Da trugen den jungen Meister seine Füße aus den Berg. Sein Herz bebte, als er
anstieg, denn er hörte die Becken, die sie schlugen, indem sie Mirjam zum Grabe
geleiteten. Doch sie verklangen, und nur der Wind strich über die Höhe und kühlte
ihn, als er sich niederließ. „Seid ihr wieder da?" sprach es aus dem Busch, der
sich im Winde bewegte. Der junge Meister erschrak, da er dies hörte. Hier hatte
er vor wenig Tagen mit Mirjam gesessen, und mm saß er allein, und doch frug es:
Seid ihr wieder da? Er wollte rufen: Jch bin alleinl, aber er blieb stumm. Da
sprach eS süßer als zuvor aus dem Busch: „Seid ihr nun eins geworden, ihr Singen-
den?" Und mit hellem Herzen erkannte der junge Meister, daß der Busch es ver-
nommen hatte, wie Mirjam sang an ihrem letzten Tage von dem dumpsen Gestein
der Gebirge, von den Tieren und Vögeln, von den Menschen, die einst waren, und
von denen, die ihnen solgten und solgen würden, und von Gottes Willen. „Warum
singt ihr nicht?" sprach es wieder, so daß die Tränen erneut in des jungen MeisterS
Augen stiegen. Doch nun ward er inne, daß sein Herz mit Mirjam gesungen hatte,
wahrhast, und er hatte es nicht gewußt! „sgst das Blut geflossen?" srug es nun
scheu. Da schrie der junge Meister, denn er gedachte dessen, wie Mirjam verstummt
war und in der dunklen Nacht gesagt hatte: Jch bin ein Brunnen und Gott süllt mich,
ost will es mich sprengen unh nur wenn ich singe, wird mir leicht. Zlber wenn ich
unter den Menschen gehe, will es mich sprengen, eS steigt in mir auf bis zum Rande,
ich eile zu tun, was ich muß. .. aber es wird mich sprengen, Gott schüttet in mich
und schüttet und süllt mich, und ich weiß, wenn es überquillt, wird es Blut sein ...
Daran dachtc der junge Meister und schrie darum. Dann kehrte er heim und schlies.
Als er erwachte, war er taub. Wie Gespenster sah er die Menschen dahingehen und
strciten und werkeln und ihr Alltägliches reden — lautlos. Aber seine Augen waren
geschärst. Er sah, was sie dachten, während ihr Mund redete. Er sah, was sie
tricb, während ihre Arme und Beine sich regten. Und waS er sah, tat ihm weh.
Die Gesichter, die redeten, und er verstand sie nicht, bedrückten sein Herz. Die Hände,
öie sie bewcgten, schlugen ihn wie aus ossene Wunden. Die unhörbaren Lachen, die
ihre Münder verzerrlen, krampsten seinen Sinn zusammen. Warum gesckncht dieS
alles? slehte seine Frage zur Nacht empor. Da ging er weg von öen Nkenschen,
hinaus in die Wüste. Er lag unter den Sternen in der Nacht und sah ihren Wandel,
und mit dem srühen Sonnenlicht stand er aus und wanderte ohne ZjU durch die
Einsamkeit. Ost blieb er stehen, hob eincn Stein auf und blickte ihn lange an.
Oder er sah die Tiere dahinhasten und einen Bogel mit eiligem Flügelschlag über
sich hinstreichen. Alles dünkte ihn wundersam. Nichts tat ihm nun weh, nichts wohl.
Jn einer Nacht aber, a!s er wach lag, das Haupt auf eincn Stein und den Leib
in den Sand geschmiegt, da er noch vom Sonnenlicht warm war, hörte er. Er
bebte leise, weil nun der Strom wieder durch sein Ohr ging, und sorschte in seiner
Erinnerunq, was es sein mochte, das er nun hörte. Er konnte es nicht finden und
wurde darüber unruhig, da siel sein Blick auf die Sterne, und nun wußte er, daß
es der ächzende, dumpsc, gewaltige Laut der Gestirne war, dessen wilder Akkord
durch die Bäume schwang, den hörte er. Wie der Schrei einer Gcbärenden klang
es, einer Ungeheuerin, die im Kramps sich windet. Das hörte er nun jede Nacht,
bis er das dumpse Stöhnen tief im Herzen trug. Allmählich vermochte er ;u unter-
scheiden, wie über dem surchtbaren Groll leisere Töne die unendlichen Weiten durch-

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