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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,2.1926

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Heft 10 (Juliheft)
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Kahane, Arthur: Vom Bildersehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8000#0241

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nen Herzen, aber, stolz nnd unbewegt wie sie, die furchtbaren Gefahren dieser Seelen
wie die leidenfchaftliche Glut der eigenen hinter fchinnnernden Panzern, seidener
Pracht und einer fürftlichen Haltung mit vornehm stiller Schamhaftigkeit ver-
steckte! Wie spüre ich deine Melancholie, Watteau, wenn du flüchtigen Stnnden
eines sehnsüchtig begehrten, trenlos entfchwindenden Glücks den leichten Schaum
abfängst und ihn über ländliche Szenen von unendlicher Unschuld und Heiterkeit
hinspritzest! Ein Tannenwald von CasparDavid Friedrich gemalt, nein, nicht
gemalt, in überströmender, dankbar zitternder Seele demütig fromm „auf den Knien
seines Herzens" empfangen, und einer liegt — ist es der Maler oder bin ich es? —
anf den kalten hellen Steinen und er sieht verzückt zu dem kleinen Stückchen Blau
über ihm auf, die leichten Wolken röten sich zart, und aus den schlanken Säulen
baut sich eine Wand vor ihm auf, und es ist, als wollten sie ihn brüderlich um-
armen, jenseits liegt vergessen die Welt, um ihn leben die Wurzeln, leben alle
Gräserchen, und die Erde lebt unter ihm und er wird ein Stück von dem allen, von
Gott geschaffen, selber Gott, der es schuf, und ich ein Stück von ihm, von ihm gefchaf-
fen, ich selber er, der es schuf. Jch habe die Zollstation von Henri Rousseau
gesehen und ich habe zum erstenmal erlebt, welche Beglückung es ist, das Un-
scheinbare zu lieben und daß Farbe die Sprache der Liebeserklärung sein kann:
zum erstenmal ging es mir auf, daß die Welt nur so ist, wie ein ganz einfaches
Herz sie sieht, so klar und übersichtlich und bunt, so stifterisch ordentlich und sauber
abgeteilt, Spielzeug in der guten Vaterhand des lieben Gottes. Und dann wicder
der Komplizierteste der Komplizierten, der Raffinierteste der Rasfinierten, Whistler.
Diese harte, hochmütige, aristokratische, kultivierte, einsame, kühle Seele, fast bis
zum FanatiSmus streng in der Exklusivität ihres artistischen Schönheitskultes, malt
in ihrer stillsten, tiefsten Stunde das Bildnis der Mutter. Eine strlle, feine, un-
endlich vornehme, ältere Dame, sehr milde, nachdenklich, vielleicht nur zu beherrfcht,
um traurig zu sein, sehr fchlank, in Grau und Schwarz. So liebt ein Mann nur
einmal und so liebt man nur seine Mutter. So kommt man immer wieder zurück,
aus den fernsten und verrufensten Bezirken eines maßlos wilden und stolzen Her-
zens, und wie hart einen auch das Leben gehämmert habe, so legt man, ganz weich,
ganz klein geworden, die müde Stirn in den einen Schoß und weiß, daß es nur
noch ein Glück, eine Zuflucht gibt, von diesen schmalen, kühlen Händen noch eiu-
mal leise gestreichelt zu werden. Einer liegt über seinem Tische, den wüsten,
schmerzenden Kopf auf beiden Händen aufgestüht, und starrt mit seinem weit auf-
gerissenen, fast irren Kinderblick auf ein Ding, das vor ihm steht. Er ist durch alle
Höllen hindurchgegangen, hat alle Martyrien der Krankheit, des Elendö, des Hun-
gers, der Enttäuschung, der Berbitterung, der Schmach am eigenen Leibe durch-
gemachk und weiß nun auf einmal: es gibt nur ein Glück: Sonnenblumen. Es
lohnt, gelebt zu haben, so lange es Sonnenblumen gibt. Es gibt einen Gott, denn
es gibt Sonnenblumen. Weil es diesen Gott gibt, weiß ich, wozu ich auf der Welt
bin. Und weil ich das Wunder: Sonnenblumen erlebt habe, kann ich nie wieder ganz
elend werden. Und van Gogh hat recht: weil es seine Sonnenblumen gibt, kann
man nie wieder ganz elend werden.

Warum sage ich das alles? Warum habe ich die Namen dieser sehr großen und
schr verfchiedenen Maler genannt? Warum habe ich versucht, aus Schächten vieler
Erinnerungen mir die unvergessenen Bilder einzelner unvergeßlicher Stunden her-
aufzurufen, deren Glück ich doch keinen andern nahebringen, gefchweige denn weiter-
geben kann? Nicht, weil ich sagen will: sehet so, wie ich sehe! Nicht, weil ich mir
einbilde, daß es möglich sei, dem Wunder der Formwerdung mit Worten näherzu-
kommen. Ach, im Gegenteil! Es ist, fasl gegen meinen Willen, ein subjektiveS Be-
kenntnis geworden, ein Grenzenziehen des eigenen Vermögens und Unvermögens.

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