Lweites Oovember-Dett 1S92.
«ßV M Scbiclk i>6
Lrscbetnt
Derausgeber:
Ferdinand Nvenarius.
Lesrellprets:
vierteljährlich 2>/r Nlark.
i Anzeigen - 3 gesp. Nonp.-Zeile 40 ssf.
S. Zabra.
Die Lpultung der Freien Volksbükne.
^ie Kunstwurt-Leitung hnt mich eiugeladeu,
über die Spaltuug der Freieu Volksbühne
zu Berlin zu berichten und zu urteilen.
Dies zuvörderst festzustellen, veranlaßt
mich die Taktik gewisser gegnerischer Fanatiker, welche
der alteu Freien Volksbühue Benehmeu auch dadurch
zu bemänteln suchen, daß sie das uahezu einmütige
Eiutreten der „bürgerlichen" Presse für meine Persou
auf Jnspirationen meinerseits zurückführen. Für-
wahr nicht leicht fällt es mir, in dieser Angelegeuheit
die Feder zu führen; denn obwohl mein Rücken breit
und meine Haut ziemlich abgehärtet ist gegen Ver-
leumdungeu und Angriffe aller A,rt, so hat doch das
ununterbrochene Aufmerken auf die Volksbühnen-
Streitigkeiteu, zu dem die letzteu Monate mich nötigten,
in mir ein lebhaftes Verlangen erweckt, endlich ein-
mal erquicklichere Diuge zu betrachten, als diese Freie
Volksbühne nnd mein belangloses Äußeres, an dem
ich nun so ziemlich jeden Schmutzspritzer kenue. Jminer-
hiu bin ich der Kunstwart-Leitung recht dankbar da-
für, daß sie mir genug Sachlichkeit zutraut, um über
einen Konflikt, in dem ich als Partei gelte, hicr be-
richten zu dürfen. Und mit Jnteresfe mache ich Ge-
brauch von dieser Gelegenheit, meinen Erfahrungcn
auf dem Gebiete volkspädagogischer Kunstpflege vor
Freunden der Kunst Ausdruck zu verleihen. Ja, von
Erfahrungen, Abstraktionen, wie sie bei Beobachtungen
der Volksbühne und ähnlicher Einrichtungen mir
aufgingen, will ich hier sprechen, weniger von den
kleinlichen, persönlichen, häßlichen Einzelheiten.
Als ich vor mehr als zwei Jahren zur Gründung
der Freien Volksbühne aufforderte, wurde mein Unter-
nehmen von vielen Blättern kurzweg als ein sozial-
demokratisches bezeichnet. Man rechnete einfach so:
Der Aufruf zur Gründuug steht im Hauptorgan der
Sozialdemokratie, spricht vvn „Kapitalismus" und
„revolutionärem Geiste", wendet sich an die fast
völlig sozialdemokratische Berliner Arbciterschaft uud
rührt von einem sozialistischen Wortsührer her. Doch
man irrte sich: Nicht als Parteimauu, souderu als
Jndividuum hatte ich gehandelt: Ohne Auftrag „vou
obeu", ja ohne Erlaubnis der Kommandeure, völlig
aus Eigenem heraus, nur von privater „Jdeologie"
getrieben, und nicht um einer „Partei" zu dieueu,
sozialpolitische Propagauda zu treibeu und die Kunst
solchen Agitationszwecken zu unterwerfen, sondern um
zwei Lieblinge meiues Herzens, Volk und Kunst, zu
einander zu führen, damit sie sich gegenseitig förderu
und veredeln, damit insbesondere das arbeitende Volk,
diese schwer bedrückte, an Geist und Gemüt vielfach
verkümmerte, der geistigen Speise nicht minder wie
der leiblichen bedürftige große Masse die erhebenden
und befreienden Wirkungen der Kunst verspüre. Und
das Gegenstück zur materiellen Begehrlichkeit uud
Emanzipation, das ich auf geistigem Gebiete hervor-
bringeu wollte, bezweckte nicht etwa Normalisirung
der Geister im Siuue einer politischen Partei, sondern
Jndividualisirung der Masse, Erfüllung des Publikums
mit deu individualistischeu, konkreteu, vom Schema-
Charakter deukbar reinsten Anreguugen: den An-
regungeu echter Kunst, reiner Poesie, von der ein
antiker Denker mit Recht hervorgehoben hat, daß sie
noch philosophischer sei als die Geschichte, und deren
Bildungskräfte von einem Lessing, einem Schiller,
einem Richard Wagner so hoch geschätzt wurden.
Doch die reale Bewegung ist etwas andres als
das angestrebte Jdeal. Zumal eine Organisation,
die Tauseude von Köpfen umfaßt. und deren ideelle
Leitung abhüngig ist vom Willen dieser Tausende,
kann leicht ihre ursprüngliche programmatische Richtung
verlieren. So erging es auch der Freien Volks-
bühne. Anfangs hatte ich als Begründer und be-
liebte Persönlichkeit in der Berliner Arbeiterwelt so
viel — ich gestehe es mit Bedauern — Autorität,
-w —
«ßV M Scbiclk i>6
Lrscbetnt
Derausgeber:
Ferdinand Nvenarius.
Lesrellprets:
vierteljährlich 2>/r Nlark.
i Anzeigen - 3 gesp. Nonp.-Zeile 40 ssf.
S. Zabra.
Die Lpultung der Freien Volksbükne.
^ie Kunstwurt-Leitung hnt mich eiugeladeu,
über die Spaltuug der Freieu Volksbühne
zu Berlin zu berichten und zu urteilen.
Dies zuvörderst festzustellen, veranlaßt
mich die Taktik gewisser gegnerischer Fanatiker, welche
der alteu Freien Volksbühue Benehmeu auch dadurch
zu bemänteln suchen, daß sie das uahezu einmütige
Eiutreten der „bürgerlichen" Presse für meine Persou
auf Jnspirationen meinerseits zurückführen. Für-
wahr nicht leicht fällt es mir, in dieser Angelegeuheit
die Feder zu führen; denn obwohl mein Rücken breit
und meine Haut ziemlich abgehärtet ist gegen Ver-
leumdungeu und Angriffe aller A,rt, so hat doch das
ununterbrochene Aufmerken auf die Volksbühnen-
Streitigkeiteu, zu dem die letzteu Monate mich nötigten,
in mir ein lebhaftes Verlangen erweckt, endlich ein-
mal erquicklichere Diuge zu betrachten, als diese Freie
Volksbühne nnd mein belangloses Äußeres, an dem
ich nun so ziemlich jeden Schmutzspritzer kenue. Jminer-
hiu bin ich der Kunstwart-Leitung recht dankbar da-
für, daß sie mir genug Sachlichkeit zutraut, um über
einen Konflikt, in dem ich als Partei gelte, hicr be-
richten zu dürfen. Und mit Jnteresfe mache ich Ge-
brauch von dieser Gelegenheit, meinen Erfahrungcn
auf dem Gebiete volkspädagogischer Kunstpflege vor
Freunden der Kunst Ausdruck zu verleihen. Ja, von
Erfahrungen, Abstraktionen, wie sie bei Beobachtungen
der Volksbühne und ähnlicher Einrichtungen mir
aufgingen, will ich hier sprechen, weniger von den
kleinlichen, persönlichen, häßlichen Einzelheiten.
Als ich vor mehr als zwei Jahren zur Gründung
der Freien Volksbühne aufforderte, wurde mein Unter-
nehmen von vielen Blättern kurzweg als ein sozial-
demokratisches bezeichnet. Man rechnete einfach so:
Der Aufruf zur Gründuug steht im Hauptorgan der
Sozialdemokratie, spricht vvn „Kapitalismus" und
„revolutionärem Geiste", wendet sich an die fast
völlig sozialdemokratische Berliner Arbciterschaft uud
rührt von einem sozialistischen Wortsührer her. Doch
man irrte sich: Nicht als Parteimauu, souderu als
Jndividuum hatte ich gehandelt: Ohne Auftrag „vou
obeu", ja ohne Erlaubnis der Kommandeure, völlig
aus Eigenem heraus, nur von privater „Jdeologie"
getrieben, und nicht um einer „Partei" zu dieueu,
sozialpolitische Propagauda zu treibeu und die Kunst
solchen Agitationszwecken zu unterwerfen, sondern um
zwei Lieblinge meiues Herzens, Volk und Kunst, zu
einander zu führen, damit sie sich gegenseitig förderu
und veredeln, damit insbesondere das arbeitende Volk,
diese schwer bedrückte, an Geist und Gemüt vielfach
verkümmerte, der geistigen Speise nicht minder wie
der leiblichen bedürftige große Masse die erhebenden
und befreienden Wirkungen der Kunst verspüre. Und
das Gegenstück zur materiellen Begehrlichkeit uud
Emanzipation, das ich auf geistigem Gebiete hervor-
bringeu wollte, bezweckte nicht etwa Normalisirung
der Geister im Siuue einer politischen Partei, sondern
Jndividualisirung der Masse, Erfüllung des Publikums
mit deu individualistischeu, konkreteu, vom Schema-
Charakter deukbar reinsten Anreguugen: den An-
regungeu echter Kunst, reiner Poesie, von der ein
antiker Denker mit Recht hervorgehoben hat, daß sie
noch philosophischer sei als die Geschichte, und deren
Bildungskräfte von einem Lessing, einem Schiller,
einem Richard Wagner so hoch geschätzt wurden.
Doch die reale Bewegung ist etwas andres als
das angestrebte Jdeal. Zumal eine Organisation,
die Tauseude von Köpfen umfaßt. und deren ideelle
Leitung abhüngig ist vom Willen dieser Tausende,
kann leicht ihre ursprüngliche programmatische Richtung
verlieren. So erging es auch der Freien Volks-
bühne. Anfangs hatte ich als Begründer und be-
liebte Persönlichkeit in der Berliner Arbeiterwelt so
viel — ich gestehe es mit Bedauern — Autorität,
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