Lweites Kmnmr-Dett 1693.
S. Stück.
Lrscbeinl
am Anfang und in der Mitte
>eden Monats.
Dersusgeber:
zferdtnand Nvenarius.
Lesrellprets:
vierteljährlich 2t/r Mark. 6. ANl)vg.
^ Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile 40 ssf. -—-
Nnrücktge Ktoke.
setvü.
^ie Debatte über „Suggestion und Dichtkunst"
will nicht verstummen. Kein Wunder. denn
das Thema ist unerschöpflich und endlos.
Da ist zuerst der Begriff der Suggestion
der völlig zerfließt und dcn begrifflich abzu-
grenzen eine echte Sisyphusarbeit darstellt. Da liegt
cs ferncr so nahe. den Naturalismus herbeizuzieheu
und dcssen Streitpunkte an einem konkreten Beispiel
wieder aufzuwärmen. Und endlich kann man noch
mit Leichtigkeit zur Frage der Zurechnungsfähigkeit
und Verantwortlichkeit übergehen, um schließlich in
einer uferlosen Debatte über Willcnsfreiheit sich zu
verlieren.
Unter den mannigfachen mit einander verhäkelten
Fragen taucht aber immer wieder, versteckt oder offen
ausgesprochen, die eine grundsätzliche Frage auf:
„Soll" oder „darf" überhaupt die Dicht-
kunst die Erscheinung derSuggestion ver-
werten?
Um gerecht zu seiu, muß man anerkenuen, daß
Herr Karl Emil Franzos an dieser Fragestellung —
unmittelbar wenigstens — unschuldig ift. Denn als
er in geschickter Erkenntnis von der „Aktualüät" des
Suggestions- und Hypnosen-Themas hervorragende
Fachmänner um Gutachten über diese Erscheinungen
ersuchte -— Gutachten, die vor Jahresfrist in dcr
„Deutschen Dichtung" erschienen und dann in einem
Bändchen gesammelt herausgegeben sind — da hat er
direkt nur die Möglichkeit gewisser Erscheinungen
zur Diskussion gestellt, insbesondere aber die Frage
aufgeworfen, ob denn die Art, wie „der" moderne
Naturalismus die Suggesttonserscheinungen verwertet
hat, der Wahrhcit entspräche. Wenn dem Heraus-
geber der „Deutschen Dichlung" vorgeworfen wurde,
er habe „Laien" aufgefordert, „eine äfthetische Frage
zu lösen und womöglich der Kunst Schranken zu
setzen", wie dies z. B. Franz Servaes im „Magazin
für Literatur" (vom 17. Dezember) gethan hat, so isl
das eine unberechtigte Unterstcllung. Wohl aber >st es
richtig, daß die ganze Art des FranzoSschen Nund-
schreibens eine unverkennbare Abneigung gegen die
Suggestion als Gegenstaud dichterischer Behandlung
zur Schau trägt; daß auch einigc der begulachtende»
Professoren sich veranlaßt fanden, die Frage auf die
Verwertbarkeit des in Rede stehenden Stoffes über-
haupt auszudehnen und diese Vcrwertbarkeit dann
durchgängig zu bestreitcn; ui.d daß endlich Tages-
presse und Kritik mit Vorliebe jene Fragestellung
alS die eigentlich wichtige und interessirende auf-
nahmen und erörterten.
„Darf" die Dichtkunst die Erscheinung der
Suggestion verwerten?
Jch will mich an dieser Stelle nicht mit dcn
Antworten befassen, die man auf diese Frage erteilt
hat, zumal da Gründe nicht selten ganz fehlten und
licber durch starke Betonung und Wiederholung eincs
kraftvollcn „Nein!" ersctzt wurden, oder doch von so
durchsichügcr Haltlosigkeit waren, daß ihre Wider-
legung nicht recht lohnt. Ich möchte viclmehr die
Gegenfrage aufwerfcn, ob es denn überhaupt zulässig
sei, irgend eine Erscheinung des Mcnschenlebens der
künstlerischen Verwertung zu verschließeu.
Es ist in dieser Zcilschrift schon oft betont wor-
den, daß cs sich bei der äfthetischen Beurteilung nichr
sowohl um das „Was" als um das „Wie" handele,
daß nicht sowohl der Stoff als vielmehr scine Gc-
staltung das Kunstwerk als solches charakterisire. Auch
der ärgste Gegner des Naturalismus wird doch ein
Ehebruchsdrama uicht deshalb ablehnen, wcil es den
Ehebruch überhaupt behandelt, sondern weil es diescn
Stoff in einer bestimmtcn Weise zur Darstellnug
bringt. Und wer mit Recht die große Menge der
Kriminalromane als unkünstlerisch verwirft, der thut
dies doch vernünftiger Weise nur. weil diesc den Stoff
-8)
N3
S. Stück.
Lrscbeinl
am Anfang und in der Mitte
>eden Monats.
Dersusgeber:
zferdtnand Nvenarius.
Lesrellprets:
vierteljährlich 2t/r Mark. 6. ANl)vg.
^ Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile 40 ssf. -—-
Nnrücktge Ktoke.
setvü.
^ie Debatte über „Suggestion und Dichtkunst"
will nicht verstummen. Kein Wunder. denn
das Thema ist unerschöpflich und endlos.
Da ist zuerst der Begriff der Suggestion
der völlig zerfließt und dcn begrifflich abzu-
grenzen eine echte Sisyphusarbeit darstellt. Da liegt
cs ferncr so nahe. den Naturalismus herbeizuzieheu
und dcssen Streitpunkte an einem konkreten Beispiel
wieder aufzuwärmen. Und endlich kann man noch
mit Leichtigkeit zur Frage der Zurechnungsfähigkeit
und Verantwortlichkeit übergehen, um schließlich in
einer uferlosen Debatte über Willcnsfreiheit sich zu
verlieren.
Unter den mannigfachen mit einander verhäkelten
Fragen taucht aber immer wieder, versteckt oder offen
ausgesprochen, die eine grundsätzliche Frage auf:
„Soll" oder „darf" überhaupt die Dicht-
kunst die Erscheinung derSuggestion ver-
werten?
Um gerecht zu seiu, muß man anerkenuen, daß
Herr Karl Emil Franzos an dieser Fragestellung —
unmittelbar wenigstens — unschuldig ift. Denn als
er in geschickter Erkenntnis von der „Aktualüät" des
Suggestions- und Hypnosen-Themas hervorragende
Fachmänner um Gutachten über diese Erscheinungen
ersuchte -— Gutachten, die vor Jahresfrist in dcr
„Deutschen Dichtung" erschienen und dann in einem
Bändchen gesammelt herausgegeben sind — da hat er
direkt nur die Möglichkeit gewisser Erscheinungen
zur Diskussion gestellt, insbesondere aber die Frage
aufgeworfen, ob denn die Art, wie „der" moderne
Naturalismus die Suggesttonserscheinungen verwertet
hat, der Wahrhcit entspräche. Wenn dem Heraus-
geber der „Deutschen Dichlung" vorgeworfen wurde,
er habe „Laien" aufgefordert, „eine äfthetische Frage
zu lösen und womöglich der Kunst Schranken zu
setzen", wie dies z. B. Franz Servaes im „Magazin
für Literatur" (vom 17. Dezember) gethan hat, so isl
das eine unberechtigte Unterstcllung. Wohl aber >st es
richtig, daß die ganze Art des FranzoSschen Nund-
schreibens eine unverkennbare Abneigung gegen die
Suggestion als Gegenstaud dichterischer Behandlung
zur Schau trägt; daß auch einigc der begulachtende»
Professoren sich veranlaßt fanden, die Frage auf die
Verwertbarkeit des in Rede stehenden Stoffes über-
haupt auszudehnen und diese Vcrwertbarkeit dann
durchgängig zu bestreitcn; ui.d daß endlich Tages-
presse und Kritik mit Vorliebe jene Fragestellung
alS die eigentlich wichtige und interessirende auf-
nahmen und erörterten.
„Darf" die Dichtkunst die Erscheinung der
Suggestion verwerten?
Jch will mich an dieser Stelle nicht mit dcn
Antworten befassen, die man auf diese Frage erteilt
hat, zumal da Gründe nicht selten ganz fehlten und
licber durch starke Betonung und Wiederholung eincs
kraftvollcn „Nein!" ersctzt wurden, oder doch von so
durchsichügcr Haltlosigkeit waren, daß ihre Wider-
legung nicht recht lohnt. Ich möchte viclmehr die
Gegenfrage aufwerfcn, ob es denn überhaupt zulässig
sei, irgend eine Erscheinung des Mcnschenlebens der
künstlerischen Verwertung zu verschließeu.
Es ist in dieser Zcilschrift schon oft betont wor-
den, daß cs sich bei der äfthetischen Beurteilung nichr
sowohl um das „Was" als um das „Wie" handele,
daß nicht sowohl der Stoff als vielmehr scine Gc-
staltung das Kunstwerk als solches charakterisire. Auch
der ärgste Gegner des Naturalismus wird doch ein
Ehebruchsdrama uicht deshalb ablehnen, wcil es den
Ehebruch überhaupt behandelt, sondern weil es diescn
Stoff in einer bestimmtcn Weise zur Darstellnug
bringt. Und wer mit Recht die große Menge der
Kriminalromane als unkünstlerisch verwirft, der thut
dies doch vernünftiger Weise nur. weil diesc den Stoff
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