Bedingungen, unter denen ein Kunstwerk gemeiniglich entsteht.
Denn die Wahl des Stoffes (des Manifestations - Objektes) ist
nicht das Produkt der freien, unbeeinflußten Entschließung
des Künstlers, fondern die Frucht der Verhaltnisse, die auf
ihn wirken, der Atmofphäre, die er atmet. Die Stoffc fliegen
ihm zu, wie der Pflanze der Samen, seiu »Können« ist nur
der Nährboden, der den Sameu aufnimmt, um von ihm be-
fruchtet im Kunstwerk einer neuen Erscheinung Gestalt zu
leihen. Wer also den Realismus mit Erfolg bekämpfen wollte,
müßte seine Waffen gegen die Verhültniffe kehren, die ihu
zeitigten, will er nicht nach der Art törichter Ärzte die
Symptome des Übels statt deffeu Wurzel vernichten.
Überdies hat nur der Wechsel Auspruch auf Dauer. Dies
gilt auch für das Reich der Kunst, und so wird aller mensch-
lichen Voraussicht nach in nicht zu langer Zeit durch den
uatürlicheu Lauf der Dinge auch ohne ästhetische Kämpfe der
Realismus wieder seine Ablöfung durch den Jdealismus er-
halten. . . Das eiferne Gesetz der Langfamkeit, welches trotz
aller. gelegentlichen gewaltsamen Eruptionen noch immer jede
Kultur-Entwicklung beherrscht, wird auch iw Zukunft seine
Herrschaft geltend machen, und wenn dann der nervösen Hast
und Spannung der Gegenwart wieder ruhigere Zeiten folgen,
dann wird ein Überschuß von intellektuellem Jnteresse, das
jetzt ganz von der Gegenwart und der Rücksicht auf das
gemeiue Leben absorbirt wird, wieder srei werden.
Und wenn dieses sich dann der Betrachtung der Ver-
gangenheit oder einer mehr exklusiven Sphäre der Gegenwart
zuwendet, dann wird auch jene Richtung wieder an Krast
gewinnen, die, Menschen und Dinge in verschönerndem Lichte
zeigend, dem Streben nach Wahrheit vielleicht weniger genügt
als der Realismus, trotzdem aber — und gerade durch die
von ihr hervorgerufene Täuschung — unter geeigneten Ver-
hältnissen herzerquickend wirkt, und somit jene Lust gewährt,
die wir iu der Kunst suchen." —
Jn zwiefacher Weise kann sich das Können des Künstlers
bethütigen, „als klar erkennbares individuelles Können (Können
des Künstlers) oder als Vervollkommnung (Verfeinerung, Ver-
tiesung, Modifikation, kurz und gut als Lustvermehrung) dcs
Manifestations-Objektes." „Das meint man, wenn man in der
gewöhnlichen Sprache zwischen »technisch« und »durch das Sujet«
exzellirenden Werkeu unterscheidet." „Man hüte sich vor dem
Trugschlusse, daß das individuelle Können der Unterstützung
durch einen »vervollkommneten Gegenstand« bedürse. Denn der
vervollkommnete Gegenstand schließt ja bereits das individuelle
Können in sich."
Aus all seinen Untersuchungen beantwortet sich dem Ver-
sasser schließlich jene erste Frage, „ob der technische Gehalt
nicht schon ganz oder doch wenigstens bis zu einem hohen
Grade den »Zweck« der Kuust in sich schließe," dahin, „daß die
»Technik« nicht blos bis zu einem gewissen Grade, sondern
ganz und völlig den »Zweck« der Kunst in sich schließt, daß sie,
mit cinem Worte, nichts Anderes ist, als die Kunst selbst."
„An welchem Objekte sich die Technik manisestirt, ist be-
züglich ihrer künstlerischen Bedeutung völlig gleichgültig. Das
Objekt hat sür den Genießenden insofern Bedeutung, als er
sich den künstlerischen Genuß an der Technik dadurch nicht
schmälern lassen will; könnte das individuelle Können sich au
sich selbst manifestiren, bedürfte es nicht eines Gegenstandes,
an dem es sich manifestirt, so wäre letzterer überhaupt über-
flüssig und insofern er den reinen Kunstgenuß beeinträchtigt,
direkt störend. Lessing irrt also, wenn er neben dem indivi-
duellen Können noch einen vollkommenen Gegenstand ver-
langt, und in diesem Jrrtum thut er dem Pyreicus Unrecht;
umgekehrt müßte man sagen, daß der reine Kunstgenuß in
dem Maße sich steigert, wie der Gegenstand an Vollkommen-
heit abnimmt.
Nur lusterregend muß er bleiben; die Vollkommenheit
des Gegenstandes, dessen Wirkung wir von der Gesamtwirkung
des Kunstwerks während des Genusses ja nicht zu trennen
vermögen, kann die besondere Wirkung des individuellen
Könneus, die ja alleiu künstlerisch ist, nur beeinträchtigen.
Sind wir darum dem Künstler gram, wenn er uns einen
vollkommenen Gegenstand bietet? Keineswegs; ebenso-
wenig wie wir dem Gastgeber, der uns zum Essen einladet,
gram sind, wenn er uns neben dem Essen noch eine schön
! dekorirte Tasel, angenehme Unterhaltung, musikalische Genüsse
und ähnliche Annehmlichkeiten bietet. Aber alle diese An-
nehmlichkeiten sind bezüglich des Essens doch nur akzessorisches
Beiwerk, das Essen selbst wird durch sie nicht besser und
nicht schlechter.
Gewiß wird Mancher, der auf eiu kunstvoll zubereitetes
Esseu wenigcr Wert legt, als auf eine würzige Unterhaltung,
sich, wenn er letztere gesunden, auch dann befriedigt von der
Tafel erheben, wenn diese den Ansprüchen des Gourmands
nichts weniger als genügt hat, und ebenso wird mancher von
eiuem Kuustwerk, das den Kenner wegen seiner mangelhaften
Technik unbefriedigt läßt, höchlichst entzückt sein, wenn das
Manifestations-Objekt ihn anzieht.
Beide Nichtkenner haben Recht, sich zu freuen, denn der
Geschmack ist souverän krast seiner Subjektivität. Aber der
Eine darf sich nicht einbilden, daß er einen Gourmand-, und
der Andere nicht, daß er einen Kunst-Genuß gehabt habe.
Genüsse, die das Kunstwerk uns außerhalb seiner Technik
bietet, können wir uns auch auf anderm Wege als durch die
Kuust verschaffen; was das Kunstwerk zum Kunstwerk macht,
ist der technische Gehalt, das hervorragende individuelle
Können, und dieses kann nur die Kunst uns bieten." —
Wollte man Hörmanns Abhandlung den Vorwurf machen,
sie erörtere nur alte Fragen mit anderer Terminologie, wie
ja ihre Ergebnisse in der That nicht neu sind, so betrachtete
man sie in falschem Licht. Bei so sehr noch schwankenden Be-
griffen, wie denen der naturwissenschaftlich - psychologischen
Ästhetik, ist eine feste Namengebung leicht eine Gefahr, weil
sie zu voreiliger Festlegung der Begriffe und in der Folge
zu dem Glauben verführen kann, mit Steinen zu mauern,
! während man mit Eisstücken mauert, die gelegentlich schmelzen
können. Gerade durch seine Selbständigkeit in den Begriffs-
und Benennuugsbildungen erweist der Verfasser eigene Ge-
dankenarbeit. Aber er giebt auch wohl Neues besonders in
seinen Beispielen (so in denen über die Tragödie), so daß wir
seine kleine Schrist denkfreudigen Lesern recht sehr empfehlen.
Eine „leichte Lektüre" ist sie allerdings nicht, und besonders
die Anordnung des Ganzen hätte in der That übersichtlicher
! und klarer sein können. Es hätte auch zum Vorteil des Ver-
ständnisse's weiterer Kreise immer noch eindringlicher, als ge-
schehen ist, darauf hingewiesen werden dürfen: daß der Ver-
sasser ganz und gar uicht die Berechtigung bedeutender Stoffe
sür Kunstwerke bestreiten, daß er nur die Berechtigung auch
unbedeutender Stoffe nachweisen und zu der so dringend not-
wendigen Unterscheiduug der Lust am Gegenstand von der Lust
am Können auch seinerseits führen will. Denn das Publikum
der Durchschnitts-„Laien" wie der Durchschnitts-„Fachleute"
versteht in dieser Beziehung ganz sicher salsch, was sich bei
gutem Willen nur irgend salsch verstehen läßt.
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Denn die Wahl des Stoffes (des Manifestations - Objektes) ist
nicht das Produkt der freien, unbeeinflußten Entschließung
des Künstlers, fondern die Frucht der Verhaltnisse, die auf
ihn wirken, der Atmofphäre, die er atmet. Die Stoffc fliegen
ihm zu, wie der Pflanze der Samen, seiu »Können« ist nur
der Nährboden, der den Sameu aufnimmt, um von ihm be-
fruchtet im Kunstwerk einer neuen Erscheinung Gestalt zu
leihen. Wer also den Realismus mit Erfolg bekämpfen wollte,
müßte seine Waffen gegen die Verhültniffe kehren, die ihu
zeitigten, will er nicht nach der Art törichter Ärzte die
Symptome des Übels statt deffeu Wurzel vernichten.
Überdies hat nur der Wechsel Auspruch auf Dauer. Dies
gilt auch für das Reich der Kunst, und so wird aller mensch-
lichen Voraussicht nach in nicht zu langer Zeit durch den
uatürlicheu Lauf der Dinge auch ohne ästhetische Kämpfe der
Realismus wieder seine Ablöfung durch den Jdealismus er-
halten. . . Das eiferne Gesetz der Langfamkeit, welches trotz
aller. gelegentlichen gewaltsamen Eruptionen noch immer jede
Kultur-Entwicklung beherrscht, wird auch iw Zukunft seine
Herrschaft geltend machen, und wenn dann der nervösen Hast
und Spannung der Gegenwart wieder ruhigere Zeiten folgen,
dann wird ein Überschuß von intellektuellem Jnteresse, das
jetzt ganz von der Gegenwart und der Rücksicht auf das
gemeiue Leben absorbirt wird, wieder srei werden.
Und wenn dieses sich dann der Betrachtung der Ver-
gangenheit oder einer mehr exklusiven Sphäre der Gegenwart
zuwendet, dann wird auch jene Richtung wieder an Krast
gewinnen, die, Menschen und Dinge in verschönerndem Lichte
zeigend, dem Streben nach Wahrheit vielleicht weniger genügt
als der Realismus, trotzdem aber — und gerade durch die
von ihr hervorgerufene Täuschung — unter geeigneten Ver-
hältnissen herzerquickend wirkt, und somit jene Lust gewährt,
die wir iu der Kunst suchen." —
Jn zwiefacher Weise kann sich das Können des Künstlers
bethütigen, „als klar erkennbares individuelles Können (Können
des Künstlers) oder als Vervollkommnung (Verfeinerung, Ver-
tiesung, Modifikation, kurz und gut als Lustvermehrung) dcs
Manifestations-Objektes." „Das meint man, wenn man in der
gewöhnlichen Sprache zwischen »technisch« und »durch das Sujet«
exzellirenden Werkeu unterscheidet." „Man hüte sich vor dem
Trugschlusse, daß das individuelle Können der Unterstützung
durch einen »vervollkommneten Gegenstand« bedürse. Denn der
vervollkommnete Gegenstand schließt ja bereits das individuelle
Können in sich."
Aus all seinen Untersuchungen beantwortet sich dem Ver-
sasser schließlich jene erste Frage, „ob der technische Gehalt
nicht schon ganz oder doch wenigstens bis zu einem hohen
Grade den »Zweck« der Kuust in sich schließe," dahin, „daß die
»Technik« nicht blos bis zu einem gewissen Grade, sondern
ganz und völlig den »Zweck« der Kunst in sich schließt, daß sie,
mit cinem Worte, nichts Anderes ist, als die Kunst selbst."
„An welchem Objekte sich die Technik manisestirt, ist be-
züglich ihrer künstlerischen Bedeutung völlig gleichgültig. Das
Objekt hat sür den Genießenden insofern Bedeutung, als er
sich den künstlerischen Genuß an der Technik dadurch nicht
schmälern lassen will; könnte das individuelle Können sich au
sich selbst manifestiren, bedürfte es nicht eines Gegenstandes,
an dem es sich manifestirt, so wäre letzterer überhaupt über-
flüssig und insofern er den reinen Kunstgenuß beeinträchtigt,
direkt störend. Lessing irrt also, wenn er neben dem indivi-
duellen Können noch einen vollkommenen Gegenstand ver-
langt, und in diesem Jrrtum thut er dem Pyreicus Unrecht;
umgekehrt müßte man sagen, daß der reine Kunstgenuß in
dem Maße sich steigert, wie der Gegenstand an Vollkommen-
heit abnimmt.
Nur lusterregend muß er bleiben; die Vollkommenheit
des Gegenstandes, dessen Wirkung wir von der Gesamtwirkung
des Kunstwerks während des Genusses ja nicht zu trennen
vermögen, kann die besondere Wirkung des individuellen
Könneus, die ja alleiu künstlerisch ist, nur beeinträchtigen.
Sind wir darum dem Künstler gram, wenn er uns einen
vollkommenen Gegenstand bietet? Keineswegs; ebenso-
wenig wie wir dem Gastgeber, der uns zum Essen einladet,
gram sind, wenn er uns neben dem Essen noch eine schön
! dekorirte Tasel, angenehme Unterhaltung, musikalische Genüsse
und ähnliche Annehmlichkeiten bietet. Aber alle diese An-
nehmlichkeiten sind bezüglich des Essens doch nur akzessorisches
Beiwerk, das Essen selbst wird durch sie nicht besser und
nicht schlechter.
Gewiß wird Mancher, der auf eiu kunstvoll zubereitetes
Esseu wenigcr Wert legt, als auf eine würzige Unterhaltung,
sich, wenn er letztere gesunden, auch dann befriedigt von der
Tafel erheben, wenn diese den Ansprüchen des Gourmands
nichts weniger als genügt hat, und ebenso wird mancher von
eiuem Kuustwerk, das den Kenner wegen seiner mangelhaften
Technik unbefriedigt läßt, höchlichst entzückt sein, wenn das
Manifestations-Objekt ihn anzieht.
Beide Nichtkenner haben Recht, sich zu freuen, denn der
Geschmack ist souverän krast seiner Subjektivität. Aber der
Eine darf sich nicht einbilden, daß er einen Gourmand-, und
der Andere nicht, daß er einen Kunst-Genuß gehabt habe.
Genüsse, die das Kunstwerk uns außerhalb seiner Technik
bietet, können wir uns auch auf anderm Wege als durch die
Kuust verschaffen; was das Kunstwerk zum Kunstwerk macht,
ist der technische Gehalt, das hervorragende individuelle
Können, und dieses kann nur die Kunst uns bieten." —
Wollte man Hörmanns Abhandlung den Vorwurf machen,
sie erörtere nur alte Fragen mit anderer Terminologie, wie
ja ihre Ergebnisse in der That nicht neu sind, so betrachtete
man sie in falschem Licht. Bei so sehr noch schwankenden Be-
griffen, wie denen der naturwissenschaftlich - psychologischen
Ästhetik, ist eine feste Namengebung leicht eine Gefahr, weil
sie zu voreiliger Festlegung der Begriffe und in der Folge
zu dem Glauben verführen kann, mit Steinen zu mauern,
! während man mit Eisstücken mauert, die gelegentlich schmelzen
können. Gerade durch seine Selbständigkeit in den Begriffs-
und Benennuugsbildungen erweist der Verfasser eigene Ge-
dankenarbeit. Aber er giebt auch wohl Neues besonders in
seinen Beispielen (so in denen über die Tragödie), so daß wir
seine kleine Schrist denkfreudigen Lesern recht sehr empfehlen.
Eine „leichte Lektüre" ist sie allerdings nicht, und besonders
die Anordnung des Ganzen hätte in der That übersichtlicher
! und klarer sein können. Es hätte auch zum Vorteil des Ver-
ständnisse's weiterer Kreise immer noch eindringlicher, als ge-
schehen ist, darauf hingewiesen werden dürfen: daß der Ver-
sasser ganz und gar uicht die Berechtigung bedeutender Stoffe
sür Kunstwerke bestreiten, daß er nur die Berechtigung auch
unbedeutender Stoffe nachweisen und zu der so dringend not-
wendigen Unterscheiduug der Lust am Gegenstand von der Lust
am Können auch seinerseits führen will. Denn das Publikum
der Durchschnitts-„Laien" wie der Durchschnitts-„Fachleute"
versteht in dieser Beziehung ganz sicher salsch, was sich bei
gutem Willen nur irgend salsch verstehen läßt.
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