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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0284

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gesetzt hat. Da hört der Scherz häufiger und häufiger in seiue
Fröhlichkeit seruen Schmerz herüberhalleu, daß sich der in seine
Weisen mischt, schier ohne daß er's selber merkt, und ihn um-
wandelt zum Humor. Heiterkeit aber bleibt doch die Grund-
stimmung des Werkes. Wir wollen von ihrer Art den Lesern
eine Probe hersetzen, an der gerade sie als Leser eines Knnst-
blattes vielleicht noch besonderes Gefallen finden:

Jch traf einen wunderlichen Mann,

Der sah das Land sich beinlings an:

Hängend nämlich den Kopf dnrch seine
Selbsteigen ihm gewachsnen Beine.

Das sah nicht eben zierlich aus;

Er selbst aber sand einen Äugenschmans;

Denn sein Entzücken hört ich klingen,

Als schwelgt er im Schann von Wnnderdingen.

Nun war die Landschaft leidlich schön:
Grünsreundliches Thal, ansehnliche Höhn;

Allein sür mein verwöhnt Gesicht
Ganz was Besondres war's doch nicht.

Nun hat der Mensch sich nichts so eigen,

Als was ihm andre Narren zeigen,

Zumal recht allerdümmste Sachen,

Ganz unverzüglich nachzumachen;

Und wenn gar Neugier uns noch treibt,

Kein Hemmen und kein Halten bleibt.

Steckt ich also den Kopf dnrch meine
Selbsteigen mir gewachsnen Beine.

Da merkt ich: Wirklich! Wunderbar!

Seltsam das Bild verwandelt war,

Und doch in Wahrheit nichts geändert,

Ganz wie zuvor gesormt, umrändert,

Berg, Thal, Dorf, Wald an gleicher Stätte,

Kein Strich, der sich verschoben hätte;

Blieb Alles höchst vernünftig stehn —

Und war doch anders anzusehn.

War Alles wie von sanften Wogen
Farbenschimmernden Dnsts umzogen.

Das schlichte Grün wie wohlig schön!

Glückseliges Thal! Goldsonnige Höhn!

Alles verklärt von zärtsten Hanchen
Schien in Wonne sich einzutauchen,

Alles durchwirkt von eigenem Leben
Schien zu wallen und leis zu schweben,

Alles dämmrig und Alles klar —

Kurzum, die Sache ist wunderbar,

Und ich begriff des Manns Entzücken;

> Hoff auch, so soll mir's ost noch glücken.

Das Kunststück lernt ich solcherweise.

Und als ich heimging sprach ich leise:

Und möcht dir's irgendwie gelingen,

Mit Leben und Welt so umzuspringen,

Die Wirklichkeit so neu zu sehn,

Und bliebe doch Alles in Ordnung stehn,

Nur in verklärtem Zauberschein —

Kerl, dn würdest ein Dichter sein!

Musik.

» M>usik--Ltteratur. XI.

Dudler und Dulder. Studien über Anmaßungen der
Tonkunst. Von einem alten Musikfreund. (Leipzig, Reißner).

Das übertriebene Musikmachen ist als ein besonders
schlimmer Auswuchs unseres Kunstlebens sast überreichlich be-
witzelt und verhöhnt worden. Man hat auch versncht, es kühl
logisch, mit allgemeinen Bernunftgründen, ja durch streng
wissenschaftliche Beweisführungen zu bekämpfen. Man hat
schwere Geschosse leidenschastlichen Zorns dagegen geschlendert,
wenn man zu den besonders hart Geprüften gehörte. Bis
heute hat All das nichts geholsen. Und eben so viel wird die
vorliegende Flugschrift eines „alten Musikfreundes" helfen.

Möglich, daß er aus Furcht vor den schwer beleidigten
Musikleuten, die nach Fanatikerart nicht mit sich spaßen lassen,
sich nicht genannt hat. Um so mehr, da er sich mit dem

„Wagner-Katholizimus" ziemlich scharf auseinandersetzt und
gar einen Hanslick als Eideshelfer braucht.

Der Versasser eifert zunächst gegen die konventionelle
Rücksichtslosigkeit, die in der tumultuarischen Art unsres
Musiktreibens liegt. Er betont seufzend, wie in der Mnsik
jedes Zuviel aus einmal, wie das heute so beliebte Stapeln
von Eindrnck aus Eindruck eincm Schlemmen mit verschiedenen
Weinsorten entspricht. Den psychologischen Grund der
musikalischen Oberherrschast, die den übrigen Künsten Lnft
und Licht entzieht, sieht er mit Recht in dem vorwiegend
sinnlichen Jnteresse beim Mnfikgenießen, in der Abneigung des
Dnrchschnittspublikums gegen jedes geistige Mitschaffen beim
Genießen. Der Zauber des sinnlichen Wohlklanges, also rein
die Macht eines verhältnismäßig niedrigen Naturschönen ist
es, die der Musik schaarenweise die Verehrer zuführt. Wirkt
doch alles geistig Schöne thatsächlich in der Musik im Gegen-
satz zu der bildenden Kunst und der Dichtnng im Allgemeinen
erst in zweiter Reihe. Freilich, eine seelische Wirkung wird
vom Pnblikum gar gern erheuchelt. „Nicht nur Kinder im
zartesten Alter, nicht nnr Wilde, nicht nnr Kretins, nein,
sogar Tiere unterliegen dem allgewaltigen Zauber des sinn-
lichen Wohllauts, wie denn bekanntlich die Araber ihre müde
gewordenen Kameele dnrch den Klang eines Jnstrnmentes zu
ncuer Leistungssähigkeit anfeuern. Nur geben sich diese müde
gewordencn Kameele nicht sür Kunstkenner aus: das ist der
bedeutende Unterschied zwischen ihnen und der Mehrheit des
Publikums."

Die größere Hälste der lesenswerten Schrist betrachtet
die Anmaßnng der Musik vom theoretischen Standpunkt und
zeigt u. a., wie darnnter die Pflege und sreie Entwickelung
der Schwesterkünste zu leiden haben. Der Versasser sagt nicht
zu viel, wenn er behauptet, daß die Musikmanie und unsre
verderbliche mnsikalische Einseitigkeit die Grundpfeiler einer
gerechten sachgemäßen Ästhetik unterwühlen. Ungebührlich
lange polemisirt er gegen die sogenannten „ewigen Schönheits-
gesetze", über welchen phrasenhaften Begriff er reichlich kritischen
Eifer ausgießt. Der ziemlich ansgedehnte ästhetische Ansflug,
den wir hier mitmachen müssen, lehrt uns nichts irgendwie
Neues kennen — im Wesentlichen zeigt er nur geschickte
Aussührungen Schopenhauerischer Gedanken. Von Seite
an, wo der Versasser sich seinem eigentlichen Gegenstande
wieder zuwendet und anf seine wichtigste Seite, die musikalische
Praxis, zn sprechen kommt, solgen wir ihm lieber, wenn
wir gleich aus wirklich ernsthaft zu nehmende, d. h. aus-
führbare Reformgedanken auch hier nicht stoßen. Jn jovialem
Plandertone oder scheltend, je nachdem, auch wohl Anekdötchen
erzählend, zieht unser Musikfreund gegen seinen Feind zu
Felde. Recht hübsch wciß er die Gattung der Kunsthenchler
anss Korn zu nehmen, die ja gerade in der Musik so Tüchtiges
leisten, hier, wo man vorgiebt, „in Tönen zu denken". Es ist
wirklich gar nicht so übertrieben, wie es den Anschein hat,
daß der Verfasser die Menschheit in ihrem Verhältnis zur
Musik in zwei Klassen einteilt, in Dudler und Dulder. „Wenn
man bedenkt," sagt er, „daß aller materielle Fortschritt von
den geistigen Operationen abhängt, die sich am Schreibtisch,
im Laboratorium, im Bibliothekzimmer vollziehen, so wird
man sich kanm getrauen, die ungeheure Schädigung abzuschätzen,
die der Zivilisation lediglich aus der konventionellen Rück-
sichtslosigkeit der Musik erwachsen muß. . . Selbst Rubinstein
und Bülow, wenn er das Herrlichste vortrüge, was die gott-
begnadetsten Meister geschaffen haben, würde mich doch nur so
lange sesseln, wie ich im Stande wäre, ihren künstlerischen
Prodnktionen ohne Rückhalt zu lanschen. Sobald ich jedoch
lesen, studiren, arbeiten will, muß ich in einem Staate, der




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