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irgendwo, so verlangen wir hier für unsere Phantasie das
Gefühl der Befreitheit von all der Menschenordnung und
Menschensatzung, die unser Thun und Lassen im mühenden
Leben beengt.
Jedes Hin und Her, jede Zerrissenheit einer Stimmung
ist unlustvvll, nur im Gesühle der Einheit mit nns selbst
und der Umgebung können wir uns beruhigen; deshalb
soll der Friedhos als Ganzes die Stimmung wiederspiegeln
und verstärken, die der Besucher empsindet. Der ästhetische
Ausdruck der Trauer über das allen Menschen gemeinsame
Leid, der Wehmut über die Vergänglichkeit alles Lebens ist
das Elegische. Elegie also müßte die Grundstimmung
unserer Friedhöfe sein. Wie verträgt sich damit die
Kasernirungsanlage, das Zusammendrängen, das für kräs-
tiges Strauch- und Baumwerk keinen Platz läßt, das
peinlich immer wieder erneuerte Vergolden der Jnschriften,
die wohl gar ein Glaskasten schützt, das renommistische
Prunken überhaupt? Es ist gedankenlos und es ist
gesühllos.
Aber auch die besondere Form der Trauer um diesen
und jenen Einzelnen kann bei der modernen Art der An-
lage städtischer Friedhöfe kaum se zur Geltnng kommen.
Das wäre nur möglich, wenn jedes Grab sür das Auge
soweit abgelöst werden könnte von seiner Umgebung, daß
diese wohl noch wie ein stimmungergänzender Hintergrnnd,
nicht aber als ein beinah gleichwichtiger Teil des Einzel->
bildes erschiene.
Es würde sich nach all dem das Ideal eines Fried-
hofs etwa so gestalten:
Jn möglichst schöner Lage, mit weitem Ausblick über
eine ruhige Landschaft, ein geräumiger Park mit ernsten
hohen Bäumen in feierlichen Gruppen und reichem Strauch-
werk, das auch den Vögeln Platz zum Geniste gäbe.
Malerisch frei verteilt dazwischen die Gräber und Mäler,
hier eines nahe einem ehrwürdigen Stamm, dort eines
von Rosengebüsch umschattet, dort eines frei auf der Wald-
wiese, einzeln dieses, jenes mit andern verwandtschaftlich
und freundschaftlich vereint. Wenn irgend möglich, wäre
in die Komposition des Ganzen das Element des Wassers
mit Bach, Fluß, Teich oder See- oder Meeresufer ein-
zubeziehen, des Wassers, das mit seinem geheimnisvollen
Weben, mit seinem Murmeln oder Rauschen das befriedende
Gefühl der Einheit mit der Natur so wundersam stärken
würde wie der Gesang des Windes in den Wipfeln.
Nur ein derartiger „Friedenshain" gäbe auch die
Möglichkeit, die einzelnen Gräber persönlich zu gestalten.
Schon durch die Platzwahl würde eine Mannigfaltigkeit
der Wirkung geboten werden, von der wir jetzt nichts
wissen. Ferner würde das gegenseitige Uberschreien und
Niederdrücken der Gräber zum mindesten weit mehr be-
schränkt, als bei den heut üblichen Anlagen thunlich ist.
Die stolze Marmorstatue träte ja gar nicht in Wettbewerb
mit dem schlichten Hügel, wenn beide nicht in die Reihe
nebeneinander gestellt, sondern durch Baum und Busch
oder auch nur ein (Ltück Wiesengrund getrennt wären.
Selbst sarben- und sormenlaute Geschmacklosigkeiteu störten
weit minder, nun der Akkord des Grüns sich mächtig über
Alles breiten könnte. Wie viel würdiger aber könnte auf
solchen Stätten im Dienste des Einzelnen wie des Ganzen
die Lildende Kunst in allen ihren Formen sich ausleben,
als aus den Gräberhöfen von heute!
Die Römer stellten ihre Grabmäler an die Landstraßen;
vorbei der Rnhe des Todes schritt das rüstige Leben
des Verkehrs. Uns ist die Empsindung fremd geworden,
von der solche Gewohnheit zeugt, und schwerlich könnte der
Brauch in dieser Form wieder ausleben. Aber das ängst-
liche Vermeiden jeder Erinnerung an den Tod, das uns
den Anblick von Gräbern als Störung empfinden läßt,
wenn uns eine besondere Stimmung nicht gerade veranlaßt,
sie zwischen den Friedhofsmauern aufzusuchen, scheint wohl
dauernder Pflege auch kaum würdig. Vielleicht, daß ein
späteres Geschlecht dem Tvde wieder ruhiger ins Auge schaut
und sich nicht scheut, auch auf seinen Erholungsgängen im
Park in schön elegischer Weise an die vorausgegangenen
Lieben erinnert zu werden — das Beispiel der Römer
mit ihren Gräberstraßen beweist immerhin, daß nichts
allgemein Menschliches dem widerspricht, und für den
Christen im Besondern sollte ja wohl der Tod noch weniger
Schrecken haben, als für die alten Heiden. Entwickelte
sich wieder eine solche Empsindnngsweise, so wäre das
Problem wahrhast schöner und würdiger Friedenshaine ein
großes Stück Weges seiner Lösung näher gerückt, da viele
der vorhandenen Parkanlagen in Friedenshaine verwandelt
werden könnten.
Aber wenn dies .auch nicht geschieht: daß wir nicht
Träume von Unmöglichem darstellen, bezeugt das Beispiel
eines Volkes, dem kein Deutscher allzu große Schwärm-
seligkeit nachsagen wird. Die Amerikaner, die in ästhetischen
Dingen nicht immer so schlimm sind, wie wir denken, be-
sitzen bereits einige Anlagen, die den von uns gewünschten
nahe kommen. Wahrscheinlich, daß bei uns die Verhält-
nisse das Schaffen würdiger Gräberstätten schwieriger
machen als jenseit des Meeres. Volkswirtschaft, Hygieine
und wohl vor allem die Macht der Gewohnheit mit ihren
Söhnen und Töchtern, den Schutzgedanken und Schutz-
gefühlen, die zur Erhaltung des Alten Vorwände hergeben,
sie tverden gar mancherlei gegen unsre Vorschläge einwenden.
Was davon berechtigt ist, hat zu gelten, geht es doch im
Menschentreiben nicht wohl ab ohne Kompromiß. Wir
verlangen nicht mehr, als daß gerade auf diesem Gebiete,
wo die Schönheit so wohlthun könnte, die Stimme des
Kunstbedürsnisses im Rate der andern ernsthafter angehört
werde, als bisher.
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