Verinummung erzählt er: »Deuke dir, mein Liebchen, was ich
im Traume gesehn —dann warnt er: »Fischerin, du kleine,
fahre nicht alleine —«, zur saftigen Zote übergehend, jauchzt
er: »Auf der Vogelwiese hab ich fie gefragt —«, zappelt uud
ftrampelt danu aus vollster Überzeugung: »Gigerl seiu, das ist
fein«, und wälzt sich eudlich in den schönen Versen: »Jm Grune-
wald ist Holzauktiou« nach Herzeuslust in dem Schlamme des
^ widerwärtigsten Blödsiuns. So wenig Mittel, und so viel Er-
^ folg! Das tönt von der Possen- und Operettenbühne, das klingt
j vom Konzertpodium, das quiekt aus dem Leierkastcu, das liegt
allen, groß nnd klein, Mann, Weib und Kind, im Munde und
pflanzt sich mit erstauulicher Geschwindigkeit fort.
Der Nührboden dicser neuen Volkspoesie ist Berlin, und
ihr Duft erinnert ja auch lebhaft an die eigentümliche, aus
Mist- und Asphaltgeruch zusammengesetzte Großstadtluft, wie
sie nach heißen Tageu aufsteigt uud Herrn Oskar Blumenthal
so erfreuliche Tantiemen abwirft. Notabcne: ist es nicht be-
zeichnend, daß auf dem Höhepunkt der Blumenthalschen Farce
ein Gasseuhauer (»Mit meiner Mandoliue«) steht?
Der Gassenhauer hat mit praktischem Blick die ganz und
gar nicht mehr metaphysischen Bedürfnisse des modernen Men-
scheu erkaunt uud feiert fie in Ton und Wort. Seiu Gift
schleicht sich in die Seelen der jungen Leute, ja der Kinder.
Ruhig hören 'die Eltern ihren Jungen das fchönc Lied von
der Holzauktion plärren oder auf dem Klavier hümmern, sie
lachen wohl gar darüber und summen mit. Und so ergreist
durchs Ohr hiudurch die Trivialität, die Gemeinheit schnell
und fest Besitz von deu Seelen und vertilgt auch die letzteu
Reste von Schönheitssiuu und Harmonie. Des Knaben Wun-
derhorn hat ausgeklungen. Das Volkslied ist tot — es lebe
das Pöbellied!"
Steht es wirklich ganz fo schlimm? Hat es nicht vielleicht
zu allen Zeiten ueben deu guten Volksliedern schlechte Gassen-
hauer gegeben, die uur verscholleu sind, weil sie sich schnell ab-
nutzten und weil danu keiner mehr den Heller für einen Silber-
ling nahm? Wie manche jener Silbergroschen der guten alten
Zeit, die auch nur nach Silber aussahen, fo lange sie nen
waren. Und trägt nicht wenigstens einen Teil der Schuld
am Verkümmern des Volksliedes die Thatsache, daß jetzt neben
Schlcchtem auch manches Gnte aus der Knnstlyrik zum Volks-
liede wird, Keinem zum Schaden?
Tbeater.
* Micbtigere Zebüuspiel-AuMbrlmgen. XI.VIII.
Das Berliner Residenztheater, diese Festung des Fran-
zosentums im deutschen Bühnenreiche, hat, scheint es, einen
ersten Schritt zur Kapitulation gethan: es hat Max Halbes
„Jugend" ausgesührt, ein seinem innersten Wesen nach rein-
deutsches Stück. Da von dem Werke selber auf diesen Blättern
schon geschrieben worden ist, verzeichnen wir heute nur sröhlich
das Zeichen der Zeit.
Dann gab man im Residenztheater ein Dramolet von
Richard Skowronnek, „Verspielt". „Skowronnek sah
wohl selbst ein", sagt Schönhoff, „daß sein kleines Schauspiel
eine lose skizzirte Arbeit sei, und gab ihm darum die nähere
Bezeichnung: Letzter Akt eines Dramas. Der Autor rust
damit selber um Pardon. Kein seelischer Prozeß wird ent-
wickelt, sondern ein Ergebnis wird klargelegt. Es ist möglich,
daß eine Leidenschast, eine Gewohnheit Denken und Empfinden
eines Menschen dnrchaus gesangen nimmt; aber in der Be-
sessenheit wird sich ein Menschengebilde vom anderen wohl
abheben. Skowronnek macht es, wie es etwa Jsfland und
die Bühnennovellisten jener Zeit thaten: die gaben ein typisches
Krankheitsbild; und wir wollen das Entstehen und die Ent-
wicklung einer Leidenschaft bei der und jener ganz bestimmten
Einzelperson kennen. So ist bei Skowronnek sein Held
Heinrich »Der Spieler« schlechtweg. Jm letzten Akte eines
Spielerdramas konnte sich freilich kaum andeuten, geschweige
denn entwickeln lassen, was unsern Heinrich dem Kartenteufel
zutrieb. Der Znschaner erfährt, daß Heinrich ein verbummeltcr
Schriftsteller ist, der sich um Weib und Kind nicht kümmert,
wenn ihn der Dämon am Kragen hat. Er schwört sich nnd
seinem Weib immer aufs Neue, diesmal habe ihn der Reiz
des Nachtkaffees zum letzten Male verführt, und immer wieder
erliegt er dem Versncher. Seine Gattin Anna kommt schon
ans den verzweifelten Gedanken: wenn Heinrich sich nur ein
Leid anthüte. Die gequülte Frau denkt an die Zukunft ihres
Kindes und meint, dann würden ihr doch von der Versicherungs-
gesellschast ein paar tausend Mark zufließen. Als Heinrich
das Letzte verspielt hat, als die Frau ihn verläßt, weil sie
allen Glauben an ihn verloren hat, da rafft sich der Spicler
denn wirklich zum letzten Entschluß auf und tötet sich durch
einen Pistolenschuß."
Ein verunglückter Versuch war die Anfführung von
Robert Kohlrauschs „Menschen" im Berliner Lessing-
theater. „Kohlrausch ist sonst ein feiner Kopf", sagt Heinrich
Hart dazu, „ein Schriftsteller, der was kann, aber wenn der
Theatergeist über ihn kommt, dann gerät er leicht ins Purzel-
baumschlagen. Sein Lnstspiel enthält einige sröhliche Szenen,
ein paar hübsche Einfälle, aber der Ton des Ganzen ist auf
eine Kindlichkeit gestimmt, wie sie eben nnr die Theaterwut
zu zeitigen pflegt. Daß die Menschen in diesen »Menschen«
lauter Karikatürchen sind, das brancht nicht weiter glossirt
zn werden, das ist sür Lustspielwesen schon selbstverständlich
geworden. Aber das Benehmen dieser Leute, ihre Reden, ihre
Witze, — die erinnern lebhast an die Schilderungen, an die
Sprache, wie sie in Sekundaneraufsätzen gang und gäbe ist.
Aus der »Jdee« hätte sich denn doch wohl etwas machen
lassen. Ein Mann, der des gesellschaftlichen Unsinns, der
Vorurteile, der Puppen ohne inneres Leben müde ist und der
nun Menschen, wahre Menschen von ursprünglichem, eigen-
artigem Empfinden im »Volke« sucht, um schließlich zu erkennen,
daß auch da unten die Menschen selten weiße Raben sind, -
der Mann hat gewiß ein Anrecht, als tragikomischer Held zn
figuriren. Aber er dars nicht selbst eine Theaterpuppe sein,
die weiter nichts vollbringt, als in jedem Akt einige triviale
Phrasen über die Thorheit der Welt anszuseufzen. Wir
müssen sehen, wie dem Manne aus bitteren Erfahrungen seine
Anschauung erwächst, wir müssen merken, daß seine Endeckungs-
fahrt ins Volk einem leidenschaftlichen Empfinden mit Not-
wendigkeit entspringt, nicht aber von vornherein als ein
alberner Schwankstreich aufzufassen ist. Statt immerfort
Shakespeare zu zitiren, hütte Kohlrausch lieber von Shakespeare
lernen sollen, wie solch ein neuer Timon zu charakterisiren
wäre. Man muß auch eine Lustspielidee ernst nehmen und
sie nicht, wenn ihr ein ernster Sinn zu Grunde liegt, in lauter
Schwank nnd Theaterei anslösen, das heißt im Hanswurstrock
predigen wollen".
Über die neue Komödie „Oberst von Branitz," die Rudolf
Stratz durch das Lessingtheater bringen ließ, wollen wir
gleichsalls Schönhoffs Meinnng verzeichnen: „Stratz war,"
schreibt dieser in der „Franks. Ztg.", „bevor er zur Feder
griff, Offizier von Berus. Das besondere Leben, die besonderen
Empfindungen, von denen seine srüheren Berufsgenossen beseelt
sind, sucht er in seinen Bühnenwerken sestzuhalten. Das
strengere Bemühen, Alles zu vermeiden, wodnrch man in der
üblichen Lieutenants-Komödie so wohlfeilen Preis erringen
kann, macht mir seine letzte Bühnenarbeit wertvoller, als sie
— 373 —
im Traume gesehn —dann warnt er: »Fischerin, du kleine,
fahre nicht alleine —«, zur saftigen Zote übergehend, jauchzt
er: »Auf der Vogelwiese hab ich fie gefragt —«, zappelt uud
ftrampelt danu aus vollster Überzeugung: »Gigerl seiu, das ist
fein«, und wälzt sich eudlich in den schönen Versen: »Jm Grune-
wald ist Holzauktiou« nach Herzeuslust in dem Schlamme des
^ widerwärtigsten Blödsiuns. So wenig Mittel, und so viel Er-
^ folg! Das tönt von der Possen- und Operettenbühne, das klingt
j vom Konzertpodium, das quiekt aus dem Leierkastcu, das liegt
allen, groß nnd klein, Mann, Weib und Kind, im Munde und
pflanzt sich mit erstauulicher Geschwindigkeit fort.
Der Nührboden dicser neuen Volkspoesie ist Berlin, und
ihr Duft erinnert ja auch lebhaft an die eigentümliche, aus
Mist- und Asphaltgeruch zusammengesetzte Großstadtluft, wie
sie nach heißen Tageu aufsteigt uud Herrn Oskar Blumenthal
so erfreuliche Tantiemen abwirft. Notabcne: ist es nicht be-
zeichnend, daß auf dem Höhepunkt der Blumenthalschen Farce
ein Gasseuhauer (»Mit meiner Mandoliue«) steht?
Der Gassenhauer hat mit praktischem Blick die ganz und
gar nicht mehr metaphysischen Bedürfnisse des modernen Men-
scheu erkaunt uud feiert fie in Ton und Wort. Seiu Gift
schleicht sich in die Seelen der jungen Leute, ja der Kinder.
Ruhig hören 'die Eltern ihren Jungen das fchönc Lied von
der Holzauktion plärren oder auf dem Klavier hümmern, sie
lachen wohl gar darüber und summen mit. Und so ergreist
durchs Ohr hiudurch die Trivialität, die Gemeinheit schnell
und fest Besitz von deu Seelen und vertilgt auch die letzteu
Reste von Schönheitssiuu und Harmonie. Des Knaben Wun-
derhorn hat ausgeklungen. Das Volkslied ist tot — es lebe
das Pöbellied!"
Steht es wirklich ganz fo schlimm? Hat es nicht vielleicht
zu allen Zeiten ueben deu guten Volksliedern schlechte Gassen-
hauer gegeben, die uur verscholleu sind, weil sie sich schnell ab-
nutzten und weil danu keiner mehr den Heller für einen Silber-
ling nahm? Wie manche jener Silbergroschen der guten alten
Zeit, die auch nur nach Silber aussahen, fo lange sie nen
waren. Und trägt nicht wenigstens einen Teil der Schuld
am Verkümmern des Volksliedes die Thatsache, daß jetzt neben
Schlcchtem auch manches Gnte aus der Knnstlyrik zum Volks-
liede wird, Keinem zum Schaden?
Tbeater.
* Micbtigere Zebüuspiel-AuMbrlmgen. XI.VIII.
Das Berliner Residenztheater, diese Festung des Fran-
zosentums im deutschen Bühnenreiche, hat, scheint es, einen
ersten Schritt zur Kapitulation gethan: es hat Max Halbes
„Jugend" ausgesührt, ein seinem innersten Wesen nach rein-
deutsches Stück. Da von dem Werke selber auf diesen Blättern
schon geschrieben worden ist, verzeichnen wir heute nur sröhlich
das Zeichen der Zeit.
Dann gab man im Residenztheater ein Dramolet von
Richard Skowronnek, „Verspielt". „Skowronnek sah
wohl selbst ein", sagt Schönhoff, „daß sein kleines Schauspiel
eine lose skizzirte Arbeit sei, und gab ihm darum die nähere
Bezeichnung: Letzter Akt eines Dramas. Der Autor rust
damit selber um Pardon. Kein seelischer Prozeß wird ent-
wickelt, sondern ein Ergebnis wird klargelegt. Es ist möglich,
daß eine Leidenschast, eine Gewohnheit Denken und Empfinden
eines Menschen dnrchaus gesangen nimmt; aber in der Be-
sessenheit wird sich ein Menschengebilde vom anderen wohl
abheben. Skowronnek macht es, wie es etwa Jsfland und
die Bühnennovellisten jener Zeit thaten: die gaben ein typisches
Krankheitsbild; und wir wollen das Entstehen und die Ent-
wicklung einer Leidenschaft bei der und jener ganz bestimmten
Einzelperson kennen. So ist bei Skowronnek sein Held
Heinrich »Der Spieler« schlechtweg. Jm letzten Akte eines
Spielerdramas konnte sich freilich kaum andeuten, geschweige
denn entwickeln lassen, was unsern Heinrich dem Kartenteufel
zutrieb. Der Znschaner erfährt, daß Heinrich ein verbummeltcr
Schriftsteller ist, der sich um Weib und Kind nicht kümmert,
wenn ihn der Dämon am Kragen hat. Er schwört sich nnd
seinem Weib immer aufs Neue, diesmal habe ihn der Reiz
des Nachtkaffees zum letzten Male verführt, und immer wieder
erliegt er dem Versncher. Seine Gattin Anna kommt schon
ans den verzweifelten Gedanken: wenn Heinrich sich nur ein
Leid anthüte. Die gequülte Frau denkt an die Zukunft ihres
Kindes und meint, dann würden ihr doch von der Versicherungs-
gesellschast ein paar tausend Mark zufließen. Als Heinrich
das Letzte verspielt hat, als die Frau ihn verläßt, weil sie
allen Glauben an ihn verloren hat, da rafft sich der Spicler
denn wirklich zum letzten Entschluß auf und tötet sich durch
einen Pistolenschuß."
Ein verunglückter Versuch war die Anfführung von
Robert Kohlrauschs „Menschen" im Berliner Lessing-
theater. „Kohlrausch ist sonst ein feiner Kopf", sagt Heinrich
Hart dazu, „ein Schriftsteller, der was kann, aber wenn der
Theatergeist über ihn kommt, dann gerät er leicht ins Purzel-
baumschlagen. Sein Lnstspiel enthält einige sröhliche Szenen,
ein paar hübsche Einfälle, aber der Ton des Ganzen ist auf
eine Kindlichkeit gestimmt, wie sie eben nnr die Theaterwut
zu zeitigen pflegt. Daß die Menschen in diesen »Menschen«
lauter Karikatürchen sind, das brancht nicht weiter glossirt
zn werden, das ist sür Lustspielwesen schon selbstverständlich
geworden. Aber das Benehmen dieser Leute, ihre Reden, ihre
Witze, — die erinnern lebhast an die Schilderungen, an die
Sprache, wie sie in Sekundaneraufsätzen gang und gäbe ist.
Aus der »Jdee« hätte sich denn doch wohl etwas machen
lassen. Ein Mann, der des gesellschaftlichen Unsinns, der
Vorurteile, der Puppen ohne inneres Leben müde ist und der
nun Menschen, wahre Menschen von ursprünglichem, eigen-
artigem Empfinden im »Volke« sucht, um schließlich zu erkennen,
daß auch da unten die Menschen selten weiße Raben sind, -
der Mann hat gewiß ein Anrecht, als tragikomischer Held zn
figuriren. Aber er dars nicht selbst eine Theaterpuppe sein,
die weiter nichts vollbringt, als in jedem Akt einige triviale
Phrasen über die Thorheit der Welt anszuseufzen. Wir
müssen sehen, wie dem Manne aus bitteren Erfahrungen seine
Anschauung erwächst, wir müssen merken, daß seine Endeckungs-
fahrt ins Volk einem leidenschaftlichen Empfinden mit Not-
wendigkeit entspringt, nicht aber von vornherein als ein
alberner Schwankstreich aufzufassen ist. Statt immerfort
Shakespeare zu zitiren, hütte Kohlrausch lieber von Shakespeare
lernen sollen, wie solch ein neuer Timon zu charakterisiren
wäre. Man muß auch eine Lustspielidee ernst nehmen und
sie nicht, wenn ihr ein ernster Sinn zu Grunde liegt, in lauter
Schwank nnd Theaterei anslösen, das heißt im Hanswurstrock
predigen wollen".
Über die neue Komödie „Oberst von Branitz," die Rudolf
Stratz durch das Lessingtheater bringen ließ, wollen wir
gleichsalls Schönhoffs Meinnng verzeichnen: „Stratz war,"
schreibt dieser in der „Franks. Ztg.", „bevor er zur Feder
griff, Offizier von Berus. Das besondere Leben, die besonderen
Empfindungen, von denen seine srüheren Berufsgenossen beseelt
sind, sucht er in seinen Bühnenwerken sestzuhalten. Das
strengere Bemühen, Alles zu vermeiden, wodnrch man in der
üblichen Lieutenants-Komödie so wohlfeilen Preis erringen
kann, macht mir seine letzte Bühnenarbeit wertvoller, als sie
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