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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 24 (2. Septemberheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0387

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» Eine Ausstellung kür /löalteebnik hat München in
diesem Jahre noch neben seinen beiden Kunstausstellungen. Sie
soll dazn beitragen, die Bestrebungen, die auf eine Reform der
Maltechnik gerichtet sind, zu fördern und führt deshalb nicht
nnr die in der Malerei gebrüuchlichen Materialien und Gerüte,
sondern auch, an belehrenden Mnftern, die Malverfahren alter
und neuer Zeit vor. Die Bearbeitung des durch die Aus-
stellung gelieferten Stoffs soll ein Ende September abzuhal-
tender Kongreß übernehmen, der Normen für Herstellung der
Farben und Malmittel und für deren Anwendung festzustellen
hütte. Eine Aufstellung solcher Normen würe aber, selbst
vorausgesetzt, daß sie muftergültige Vorschriften für die Her-
stellung der Malmittel enthielten, doch nur dann von Wert,
wenn begründete Hofsnung bestünde, daß die Farbenfabrikanten
sie als maßgebend anerkennten. Eine „technische Frage" be-
fteht ja nur insofern, als durch die Einführnng der fabrik-
mäßigen Herstellung der Malmittel die Qnalität der letzteren,
besonders die der Farben, sich verschlechtert hat. Die einfachste
Lösung der technischen Frage würe also Wiedereinführnng der
unter der unmittelbaren Aufsicht der Maler arbeitenden Farben-
reiber. Da diese Lösung aus verschiedenen Gründen nicht
möglich ist, so werden auch alle Ausstellungen und Kongresfe
an den bestehenden Verhältnissen nichts ündern, es wär edenn,
daß die auf der Ausftellung znr Anschauung gelangende Kon-
kurrenz die Farbenfabrikanten selbst zu höheren Leistungen an-
spornte.

Für den Maler haben solche Ausstellungen nur einen ge-
ringen Wert, den eines nicht immer ganz zuverlässigen Muster-
lagers; denn seine Technik wird er sich stets auf Grund eigener
Versuche selbst bilden müssen. H. S.

Dermiscbtes.

* „Äber ästbetlscbe Oaturbetracbtung" verösfent-
licht RoLert Vischer in der „Deutschen Rundschau"
einen Aussatz, der sich hauptsächlich mit der Frage be-
schäftigt: „Wie kommt es, daß uns eine Landschaft

seelenvoll erscheinen kann, als ob etwas darin enthalten
wäre, was unserem menschlichen Fühlen ähnlich, ja mit
ihm eines und dasselbe wäre?" Bringen auch
Robert Vischers Erörterungen das Problem seiner Lösung
nicht crheblich näher, so sind sie doch an seinen Bemerkungen
reich, an Aus- und Einblicken, die zum Verweilen bei dem
Erschauten einladen.

Bei der Verschmelzung unsrer Persönlichkeit mit der
Erscheinnng der Natur, so führt Vischer u. A. aus, sind
die verschiedenen optischen Funktionen maßgebend. Zunächst
das sensitive Sehen: das ästhetische Jnnenleben setzt
die physische Reizung durch das Auge zn einer seelischen
um, „so daß wir ihre äußere Oualität nüt der Qualität
unsres seelischen Gefühls verwechseln; und daher kommt es,
daß wir von zornigem Gewitterlicht, bangem Halbdunkel,
seligem Himmelsblau sprechen. Licht und Sehen sind
Wechselbegrifse. Das Licht will überall hin, hebt die
Dinge aus ihrer Jsolirung heraus, bringt sie in Zusammen-
hang, zcigt ihre Form, deutet in den Farben, die sie zurück-
werfen oder durchlassen, die Beschafsenheit ihres Zellen-
gefüges an, und alles dies thut mit dem Licht unser Blick,
unsere Phantasie."

Dann wirkt die motorische Funktion im Sehen.
„Der Blick schweift mit Muskelbewegungen des Angapfels
an der Oberfläche der Dinge hin, folgt den llmrissen eines
Bergs, dem Wuchs eines Baums, der Richtung eines
Wegs, und zugleich mit ihm bewegt sich der innere Sinn
auf denselben Bahnen. So scheinen diese für sich wie

lebendig zn rinnen und zn laufen. Die Lust der Be
wegungsgefühle, die sonst wirklich Bewegtes, wie z. B.
das brandende Mer, ein Pferd im Sprung, ein Vogel
im Flug erzeugen, schafst sich die Phantasie in sukzessiver
Anschauung der Formen, Dimensionen, Linien eines un-
bewegten Objektes. Das bekundet auch die Sprache, indem
sie Räumliches nüt Zeitbegrissen schildert. Man sagt z. B.:
der Berg steigt allmählich, oder: plötzlich. Jn Wahrheit
steigt ja nicht der Berg, sondern unsre Anschauung all-
mählich oder plötzlich an ihm empor. Unser bcwegtes
Schauen besteht in einem innern Umrcißen, Übersahren,
Nachtasten, Zeichnen. Künstlerische Darstellung regt sich
schon im betrachtenden Sinn. Pinsel nnd Modellirholz
folgen den Bahnen des Blicks." Aber dieses Nachfühlen,
dieses Nachtasten mit dem Auge braucht nicht rein äußer
lich zu bleiben. Der hinter ihm arbeitende innere Sinn
„fühlt an der Form auch ihre Fülle", versetzt sich z. B.
in den Bauin, dessen Triebkraft er mitfühlt, dessen Gestalt
er nachbildet von innen heraus, mit dem er sich aufrichtet,
mit dessen Zweigen er schwankt, mit dessen Blättern er
zittert: Einfühlung nennt das Vischer.

Wir verweisen jene, die der „sehr dunkle Vorgang"
näher interessirt, „in welcher Art des Übertritts sich diese
Einfühlung mit den Naturgebilden verbindet", auf die
llntersuchungen des Verfassers selbst. Nur auf Weniges
daraus können wir hier zu sprechen kommen. Vischer
erinnert daran, daß die cinfühlende Betrachtung ein inneres
Nachahmen sei. „Dieses unbewußte Nachahmeu setzt
sich aber aus Bewegungen zusammen. Wenn nns nun in
einer Landschaft etwas anmutet wie Sinnen, Gemüts-
stimmung, Afsekt, so wird dies wohl daher kommen, daß
sie durch ihre Formen, Lichter und Farben unsern innern
Menschen zu sympathischen und reaktiven Bewegungen reizt,
wonüt unser wirklicher Leib im realen Leben Zustände und
Erregungen der Seele auszudrücken pflegt. Daher sehen
wir sanftes, nachdenkliches Gleiten der Wolken, zorniges
Aufzucken des Blitzes, ängstlich zusammengedrängte, bescheiden
oder traurig in sich geneigte Büsche, stolz oder trotzig
ragende Felsen, entrüstet hervorbrechende Fluten, selig
strahlendes Abendlicht; daher berührt uns der Wetterschlag
wie eine Entscheidung; daher hören wir im Wind ein
Klagen, im Wind ein Grollen. Jn optischer Hinsicht —
und auf Erscheinungen solcher Art müssen wir uns hier
beschränken — handelt es sich dabei nicht nur um aus-
greifende, agirende Bewegungen, sondern auch mn das
feinere Wesen der Gebärdensprache. Die menschliche
Mimik bezieht sich nicht nur aus wahrnehmbare Gegen-
stände, nicht nur auf Sinneseindrücke, sondern auch auf
vorgestellte geistige Qualitäten, ethische Werte, die mit
sinnlichen Gebärden beantwortet werden, als ob sie physisch,
räumlich wären, aber mit Gebärden, die dnrch den geistigen
Charakter ihres Gegenstandes eine gewisse Verklärnng und
Weihe erhalten, wodurch sie von den Gebärden physischer
Bedeutung unterscheidbar sind. So findet der einfühlende
Sinn in irgend einer Landschaft, weil ihre Erscheinnng
mimisch gemahnt, d. h. weil er sich in sie persönlich, also
auch mimisch versetzt, etwas Seelisches, einen seelisch be-
rührenden Ausdruck."

Bischer meint, aus diesem Wege der Lösung der Frage
immerhin näher zu kommen, als durch Heranziehung der
Jdeenassoziation: stellen wir uns ernstlich auf den
Standpunkt des optischen Formgefühls, so haben die an
schießenden Vorstellungen nur nebensächlichen Wert, sagt
er, „denn hier handelt es sich um das Bild selbst, nicht

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