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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 7 (1. Januarheft 1893)
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Das Gastspiel der Duse
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0105

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echter Kunst snlben znmeist anch dcn Birtnnsenschädel.
Aber der ganze schnuspielerische Knnstler erlebt nicht
nnr, hingerissen vvn Angenblicken, einzelne Sitn-
ationen, dic cr spielt. sondern er erlcbt die
Menschen, die er spielt. Wcire das bei unsern
großen Mimen der Fall, sie wnrden, gleich der
Duse, niemals dnrch Posen darauf anfmerksam machen,
w'ie schön oder bedentcnd sie, Herr Nenmann und
Frl. Breslaner, doch aussehen können; sie wnrden,
gleich der Duse, nie dnrch Toiletten oder Brrllanten
prunken; sic würden, gleich der Duse, nie ihre cigenen
Persönlichkeiten zwischen den Mitspiclern vordrängen;
sie würden, gleich der Dusc, nie durch Mätzchen zum
Ichaden der voin Dichter gegcbcnen Charakteristik
ihr wertes Jch in bengalische Bcleuchtnng stellen.
Sie wnrdcn das alles nicht können: denn wenn
sie sich anf der Bühne das ganze Stück hindurch als
Faust' oder Gretchen oder Hamlet oder Ophelia
sühlten, könnten sie ja nicht zugleich au Herrn
Neumann oder Frl. Breslauer und deren künstlerische
nnd menschliche Wünsche denken.

Vorbedinguug für einc uugewöhnliche Fähigkeit
dcr Phantasie, das Empfinden fremder Gestalten
nachzubilden, sind ein ungewöhnlicher Reichtnm au
Ersahrungen des Empfindungslcbens und eine un-
gewöhnlich leichte Reizbarkeit der Assoziationen. Die
Duse besitzt beides in stanneuerrcgendcr Weite. Und
iveil sie das Gauze der wiederzugebcuden Gestalt in
sich wiedcrschafst, wird in dcn einzelnen Angenblickcn
ihres Spiels nicht nur die gerade den Angenblick
be hc rrschende Stimmnng in ihr lcbendig, svndern
cs leben in ihr zngleich in Erinnernng oder Hoff-
nnng nnd Sorge die Vergangcnheit und die Zukunft
ans; dic Stimmeu des Gcwesenen nnd die Ahnungen
des Kommeudcn schwingeu also leise mit, und sie
gcbeu dcm lautcu Toue der gerade herrschenden
Stimmnng, wie Obertöne, die eigentümliche Klang-
sarbe. Die ungewöhnliche Reizbarkeit der Assozia-
tionen ihrerscits ermöglicht, daß jede so fein zn-
sammengesetzte Stimmung anch eine besondere Nuance
in Stimmfall und Bewcgnng auslöst. Der Eindrnck
einer stets geschlossenen, stcts ganzen Persönlichkeit
ist die Folge, eincs wirklich lebenden Menschen, dcr
„sich" in voller Natürlichkeit „giebt".

Das setzt voraus, sclbstverständlich, daß der
Körper auf das Leichteste den Antrieben der Seele
gehorcht. Wir wissen ja, wie viel mehr ohnehin er
das bei den Jtalienern thut, als bei uns Nord-
ländern, nnd cs ist deshalb ohne Weiteres znzngeben,
daß unsre Schanspieler in dieser Beziehung meist
eine schwierigerc Lehrzcit durchzumachen haben. als
die des Südens. Jm Allgemeinen sind wir ja stolz
ans nnserc größcre „Behcrrschnng" nnsrcr Körper,
preisen in nnsern Gescllschaftcn das langweilig Zn-
rnckhaltende als vornehm, finden wirklich noch recht
bcwegliche Mcnschen gar gcrn „exzentrisch", obgleich
nnsrc cigne Sprache wne in Erinncrung an natür-
liche Zeitcn nvch hente beweglichc Leute „lebeudige"
Leutc ncnnt, nnd übcrsehen. daß diese Bcherrschnng
nnr eine negative ist, man könnte übertreibcnd sagen:
nnr cine Art von künstlicher Lähmung nnsrcr Ans-
drncksmittel. Dcnn einc richtige „Beherrschnng"
miißte doch dcn Körper nicht nnr dazu bringcn könncn,
ans Wnnsch zu verschweigen, sondern anch daz», anf

Wnnsch recht dentlich zu sagen, was in der Seele
vorgeht. Die Duse hat also das Glück, Kind eines
Volkcs zu sein, das bekanntlich scin Hcrz nicht unr
anf den Lippen, sondern anch in dcn Fingcrspitzen
tragen soll. Dazu ist ihr seiner nnd zartcr Körper
der einer anch im AUtagsleben „hhperaesthetischen",
eincr überempfindlich ncrvösen Frau. Und sie stammt
aus einer alten Schauspielerfamilie. Das Ercrbte
ist durch ein Erwerben und Üben ausgebildet wordcn
zn einer verblüffenden Tcchnik, die aber unn, wenn
der Geist in der Sache ist, aus dem Bewußtsein
ansgeschaltet wird.

Es ergiebt sich aus dem Gesagten, daß die Dnse
nnr selten so schnell „bezanbert", „packt", „hinrcißt",
wie mitnnter wohl ctwa dic Bernhardt oder die
Wolter. Schon deshalb, weil sie sich als eine ihre
Nolle nachlebende Künstlerin uicht selber vor den
Mitspielern aufspielen kann. Denn das Spiel der
Mitspieler mnß ja bci gänzlichcr JUnsion übcrhanpt
nicht als solches, sondern als das Leben von Mit-
lcbenden empfnnden wcrdeu, und so paßt es die
cigenen Lebensäußerungen dem „Milieu" an. wie
das wirkliche Leben auch. Die Duse kann kanm
a 80I0 spielen, wie ihre Landslente sagen und wie
die meisten „großen Virtnosinncn" thnn. Sie schreit
uns nicht ihre Wirkungen ein, sie greist langsamer
und leiser in nnser Bewnßtsein, abcr anch eindring-
licher, zu den stillsten Tiefen unsrer eignen Erinner-
nngen und Erfahrungen. Bis wir sclbst die Ge-
stalten, die sie uns vorsührt, die sie gleichsam in
nns anregt, aus diesen Tiefen herans nachbilden,
nnn aber anch übcrzengt von ihrcr Wahrheit, nnn
an sie glanbend wie an selber Erlebtes.

Die Fähigkeit dcs Ancmpfindens iit bei der
Jtalienerin überans groß. Nnr in einer heiteren
Nolle zeigtc sie sich in Berlin, aber anch als Goldonis
Wirtin war sie interessant und reizvoll. Jn ihren
Shakcsspearischen Rollsu trat sie nicht anf, und so
ist es vieUeicht nur dic Folge ihrer auch durch
manche änßere Ilmstände beschränkten Berliner Spiel-
liste, daß sie uns vor allem als Darstellerin des
leidenschaftlichen und leidenden modernen Weibes groß
erscheint. Nicht nnr in den französischen Sitten-
stückcn. anch als Nora gab sie m eh r als der Dichter;
aber sie gab es dnrchaus im Sinne dcs Dichters.
Denn ihr Spiel crgünzte uur durch die Mittel
ihrer eigenen Knnst das vom Poeten innerlich Er-
schante, zn desseu Darstellung ihm selber nnr die
Mittel der seinigen znr Verfügung standen, nnr das
Wort, nicht aber TonfaU nnd Mimik.

Jn dem „Überblicke" über das gegenwärtige Kunst-
schaffen, den diesc Zeitschrift vor einem Vierteljahre
gebracht hat, ist die Erwartnng ansgesprochen wor-
den: die Erfolge dcr Duse würden im Sinne cincr
„schlichteu, kennzeichnenden, mätzchenfreicn" Schau-
spielkunst Gntcs stistcn nnd dem bloßen Virtnosen-
tnm, als dcsscn Vcrtreter dort Haasc gcnannt ist,
mchr nnd mehr die Gnnst des Pnbliknms entziehen.
Jch habe am Beginn dicser Zeilcn angedcntet, wo dic
Entwicklnng nach meincr Ansicht steht. Pon dem
nu m i ttelb arcn Einflnß der Dnsc anf nnsere
Schanspieler versprech ich mir wenig: er dürfte
sich znnächst äußern in cinem Nachmachen dcs Nach-
machbarcn, also ihrer persöiilichen Eigenheiten nnd

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