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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 8 (2. Januarheft 1913)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0149

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Aähigsten gelangten dann znr Herrschaft. Die Ehelosigkeit ihrer Diener
würde dem altruistischen Gedanken die Regierung sichern. Denn wer
das Steuerruder führt, muß dem Schiffe rückhaltlos ergeben sein. Keine
andern Interessen als die der Allgemeinheit dürfen ihn leiten. Das
einheitliche Oberhaupt würde den Völkern den ewigen Frieden sichern.
Iedes Lalent könnte sich in diesem großen Rahmen frei entfalten — die
Staatskunst, die Wissenschaft und der Handel. Nur kämen seine Früchte
der Allgemeinheit zugute. Das erhöhte Ansehen, die Achtung, mit der
man ihm begegnet, würde sicherlich jedem hervorragend Begabten als
genügender Ansporn dienen — denn das wahre Genie findet seinen
Lohn und seine Befriedigung nicht im äußern Erfolge, sondern in der
Vetätigung seiner Begabung!"

Or. David horchte auf. Mußte es nicht befremden, denselben Satz,
fast sogar in dieselben Worte gekleidet, den Priester verkünden zu hören,
den gestern der reiche Baron Isak im Speisesaal der bhzantinischen
Villa so leidenschaftlich verteidigt hatte? (Als er nicht im Besitz, son--
dern im Erwerben den Genuß pries, in der Betätigung seines
Talents!)

So grundverschieden und widersprechend die Lebensansichten dieser
zwei, nach ihren Grundsätzen streng konsequent lebenden Männer auch
waren, beiden lag dieselbe These als schlagendster und triftigster Beweis
ihrer Lehre zugrnnde. Der Priester sowohl, der freudig die Armut und
Entbehrung aus Aberzeugung umarmt, als auch der Millionär, der un-
ersättlich nach neuen Goldquellen suchte, sie beide erkannten nur die
Arbeit als die Quelle der Freude. In gewissem Sinne bestätigte daher
sogar die Ausführung Isaks die Ansichten Iosephs. Aber der kluge,
alte David gab sich noch nicht zufrieden. Er mußte sich eingestehen, daß
die Worte des Neffen nicht spurlos an sein Ohr geschlagen hatten. Ein
großer, edler Zug des Entsagens lag in seincr Lehre, der in jeder fühlen-
den Seele Widerhall zu findcn sicher war. Um so mehr störte den Arzt
der antisemitische Beigeschmack, der nun einmal am Ende des (9- Iahr-
hunderts allen sozialen Bestrcbungen anhaftet, und von dem auch die
^ätigkeit des Pfarrers von Siegling nicht ganz frei war.

»And der Rassenhaß!" rief er daher ziemlich unvermittelt, „den ihr
^icht müde werdet, anzufachen. Wie willst du den entschuldigen? Meinst
du etwa, daß ein so sorgfältig gepflegtes Unkraut mit einem Schlage ver-
schwinden würde, selbst wenn dein Traum einer universcllen Christen-
gemeinde in Erfüllung ginge?"

»Der Rassenhaß?" Ein spöttisches, überlegenes Lächeln umspielte
die ausdrucksvollen Lippen des Priesters. „Der Rassenhaß?" wieder-
holte er. „Was ist das für ein Kindermärchen! Glaubst du denn wirk-
Uch, Onkel David, daß in der Entwicklung der Menschheit krumme und
gerade Nasen, schwarze und blonde Haare eine Nolle spielen?"

»Nun, ich denke doch, daß wir in letztcr Zeit etwas davon zu hören
bekommen haben!" warf der Greis trocken ein. „Und die Kirche duldet
Zum mindesten eine derartige verrohte Sprache!"

»Weil man einem Kindc das Lallen nicht wehren darf, soll es einst
sprechen lernen!" fiel ihm Ioseph rasch ins Wort. „Wie könnte eine
Neligion den Stamm verfolgen, aus dem der Erlöser hervorgegangen
und dem seine vornehmsten Apostel angehört! Lies die Geschichte mit

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