Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1913)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0406

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Doch Fritz Schiller merkte seiner Freunde verehrende Blicke nicht; sein
Kopf, der sich zum erstenmnl getraut hatte, eine geistige Autorität anzu-
tasten, sah nun auch in eigner Sache klar: Was er bis heute geschrieben
hatte, war schlecht. Die Erkenntnis stand plötzlich vor ihm: Man durfte
nicht mit kleinlichen Mittelchen arbeiten, wollte man etwas Großes,
Weltumfassendes, leisten.

O

Die Nachahmung gelingt nur den Halbbegabten; die Nichtkönner und
die Begnadeten müssen darin versagen.

Viel hatte der treue Scharffenstein zu stützen, seit der Traum des
Kunstwerkes in Schiller zu Ende war.

Selbst weh im Herzen, streichelte Scharffensteins Wort den Freund:

„Was hast du, Schiller? Sei nicht kleinmütig; auch ich bin gescheitert
mit der Poesie. Wir alle!"

„O Scharffenstein, euch war es nur Spiel; bei mir ist nun alles aus
und vorbei."

„Hast nicht dn die gleiche Zukunft vor dir wie wir andern? Ich werd
Offizier, das ist nicht viel bei den jetzigen Zeiten, du kannst Sekretär und
mehr werden."

„Du malest schön; dir ergibt sich die Kunst auf anderm Gebiet; mir
bleibt das traurige Verzichten!"

„Schiller! Wie kannst du so sprechen! Du, dem die Verse vom
Munde fließen wie andern nicht die gewöhnliche Rede."

„Scharffenstein, sag das nochmals!"

„Ia, ich fühl deine Sendung, du beißest dich durch! Du darfst nicht
verzagen! Du mußt durch Dick und Dünn gehen. Du darfst nicht
den andern gehorchen — nicht einmal dir selbst, wenn du schwach bist!"

„And wenn es fehl geht?"

„Dann — dann muß Gott helfen! Aber: es wird gelingen! Und
sonst: Du bist auch dann noch ein Mensch, der Arme und Beine hat."

„O Scharffenstein, dir blühet noch ein anderes Leben; du bist stark
und schön, du wirst im Felde sterben als kühner Soldat oder die Fahne
in der Faust die feindlichen Schwadronen verjagen und den Dank aus
des Fürsten Tochter Hand empfangen, im Angesichte des siegreichen
Heeres. Ich aber: Ich bin häßlich und der Schlechteste im Fechten und
Voltigieren und jeder lacht, der mich sieht. Widersprich nicht, deine Güte
des Mitleides schmerzte mich; ich will dir nur klar auseinanderlegen,
warum ich als Poet Karriere machen muß! Ich bin zum Geistigen ge-
drängt; was euch ein mißglücktes Spiel war und bleiben wird, mir wäre
es ein zerbrochenes Leben; ich wäre am Ende. Was soll ich auch als
blecherner Iurist mit all dem Formelkram? Kühn werf ich ihn ab und
recke mich; gut, aber: Scharffenstein, was soll ich Klassenletzter und
einzige Hoffnung meiner Familie, meinem Vater sagen? Und zu anderm
tauge ich nicht! Ich seh nimmer aus vor Herzensbangigkeit und quälender
Angst. Mir brennt nur mehr dieses eine Licht, vielleicht erwisch ich
noch das wahre Leben, das die Menschen ehrt, statt der Paragraphen
und Gamaschen, in die man mich preßt . . .

Scharffenstein, Gott muß mir helfen, denn er ist barmherzig. Du
hast recht: er wird mir helfen! Nuhig werd ich dereinst vor seinem

236 Kunstwart XXVI, ss
 
Annotationen