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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0019

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Teil I: Einführung

cassino."' Die neu geschaffene Gattung setzte sich von den frühmittelalterlichen Formel-
büchern, die bis dahin zur Lehre des Briefwesens verwendet wurden, vor allem da-
durch ab, dass nun nicht nur Beispiele von Briefen, sondern auch deren theoretische
Durchdringung angestrebt wurden." Zwar haben alle Generationen zuvor bereits in
Schulen das Verfassen von Briefen gelernt. Doch hatte man in der Lehre bis zum Auf-
kommen der ars dicDminis auf Julius Viktor, Donatus, Priscian" und natürlich auf
Ciceros De Inucnh'onc sowie auf die damals Cicero zugeschriebene Eizctorüa an Heren-
ninnD und Quintilian" zurückgegriffen. Daneben schulte man den Briefstil vor allem
anhand von Briefsammlungen, wie sie Ambrosius, Hieronymus, Gregor der Große oder
etwa Petrus Damiani und Hildebert von Lavardin hinterlassen hatten."
Einzig Julius Viktor stellte im dritten nachchristlichen Jahrhundert an das Ende
seiner Ars rl?efonca einen separaten Abschnitt De episfoiis, der allerdings in dem insge-
samt 65 Druckseiten umfassenden Traktat gerade eine einzige Seite ein nimmt.' Auch
die Gesamtanlage seines Werkes verdeutlicht die insgesamt geringe Wertschätzung der
Briefrhetorik. Denn die antike Rhetoriklehre hatte bekanntlich die mündliche Rede als
Basis sozialer Ordnung verstanden und deswegen die orale weit über die schriftliche
Rhetorik gestellt. Entsprechend war die Brieflehre immer nur ein - unbedeutender -
Nebenaspekt der allgemeinen Rhetorik, der in den Lehrwerken deswegen an den Rand
gedrängt wurde. Verbreiteter als brieftheoretische Schriften waren in der Antike Brief-
muster." Eine Brieftheorie, wie sie dann im 12. Jahrhundert entworfen wurde, hatte auch
Julius Viktor noch nicht ausgearbeitet.'' Gleichwohl hat er mit seiner Aufforderung,
beim Verfassen von Briefen immer von der Perspektive des Empfängers auszugehen,"
die dichüores des 12. Jahrhundert beeinflusst. Prägend für einige von diesen war auch
die Unterscheidung der Briefe in negohaies und /amiiiarcs. Für Erstere empfahl Julius
Viktor: NeyohaUs SMnf aryMmenfo neyoüoso et yrauz. fn itoc yenere et sententiarMm pondera
et uerhoruw Dan'na et //'yararaa; Ds/'yn/'a conpendii opera repMzrMHtmV Die Anpassung des
Stils an den Briefinhalt sollte dann auch zur wichtigen Anforderung an den mittelalter-
lichen dictator werden.

Vgl. HARTMANN, Enchiridion.
'' Vgl. schon BÜTOw, Die Entwicklung der mittelalterlichen Briefsteller, S. 15.
Einen kurzer Überblick über die spätantiken Grammatiklehrer bietet mit Blick auf die schrift-
liche Rhetorik LANHAM, Writing Instruction, S. 8ß f.
13 Zu den beiden Letzteren WARD, Ciceronian Rhetoric in Treatise; Cox, Ciceronian Rhetoric in
Italy.
14 Allgemein verbreitet als eines der wichtigsten Werke zur Rhetorik war die instihdio oraforia frei-
lich erst seit Poggios Entdeckung der vollständigen Handschrift in St. Gallen im Jahr 1416; zur
Stellung Quintilians im Mittelalter vgl. WARD, Quintilian and the Rhetorical Revolution.
i3 Zur mittelalterlichen Brieflehre vor dem Aufkommen der ars dicfann'nis vgl. MuRPHY, Rhetoric,
S. 194-205; ausführlicher, aber weniger deutlich LANHAM, Writing Instruction; in knapper Skiz-
zierung auch ScHALLER, Dichtungslehren, S. 257-259; zu den essentiellen Neuerungen der ars
dicfann'nis auch WoRSTBROCK, Anfänge der mittelalterlichen Ars dictandi, S. ßi.
16 Gaius Julius Victor: Ars r/zeforica, S. 447 f. Er beginnt diesen Abschnitt, S. 447, freilich mit der
Feststellung, dass viele der oratorischen Regeln auch für die Briefrhetorik gälten.
'3 Vgl. CoNRtNG, Hieronymus als Briefschreiber, S. 15 f.
i3 Vgl. KosENNtEMi, Studien, S. ßi; LANHAM, Sa in tat io, S. 89 f.
" Victor Gaius Julius: Ars rdeforica, c. 27, S. 448; Epz'sfHia, si SHpcrz'orz scrifas, ne ioerdaris sif; si pari, ne
indunzana, si in/eriori, ne snperfa,' netpze docto zhcHriosc, netpze indocto intelligenter, nee coMz'MMch'ssz'mo
translatitie, nee nzinns/anziliari non amicc; ähnliche Differenzierungen unter Bezugnahme auf per-
sonal SHperiores, pares und inferiores finden sich dann auch in den artes dictandi des 12. Jahrhun-
derts.
3° Ebd., S. 447.
 
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