Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0154

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4 Die Auseinandersetzung mit der französischen ars däTaanazs

143

umfassenden Zugriff, beginnt allerdings direkt mit den praktischen Handreichungen
für die dzchdores, ehe er im zweiten Teil die gesamte antike Rhetoriktradition referiert/"
dabei aber auch die Bedeutung des CürsMS erkennen lässt/' Hier erst bringt er auch die
einzelnen colores r/rcion'd ins Spiel.

4.2 Literarische Erweiterungen

Zeitgleich mit den skizzierten Entwicklungen zeigt sich, wiederum zuerst bei Boncom-
pagno, ein völlig neuartiges Phänomen, auf das ebenfalls schon RoBERT BENSON auf-
merksam gemacht hat. " Wohl auch auf französischen Einfluss geht die Tendenz zurück,
sich in den Musterbriefen nicht allein auf schematische Stilmuster zu beschränken,
sondern phantasievoll kreative Briefe, Briefpaare, bisweilen gar Anfänge von Briefro-
manen einzufügen, die neben dem stilistischen Lehrzweck vor allem der Unterhaltung
gedient zu haben scheinen/'* Boncompagnos R/mfonca and/aa, die besser unter dem Na-
men Bcmcompa^mts bekannt ist, enthält Briefpaare und Briefserien, die nicht nur Früh-
formen von Briefromanen darstellen, sondern erkennbar satirische Züge tragen. Am
bekanntesten ist die traditionelle antiklerikale Satire, in der Boncompagno die sexuel-
len Gelüste von Bischöfen und Kanzlern zum Thema macht/" Allerdings beschränkt
sich die Kritik des Autors wohl nicht allein auf diese Briefserie. Die sorgfältige, kritische
und vergleichende Lektüre des Bcmcompa^mts verdeutlicht, dass noch weitere Teile des
Werkes einen ironischen Hintergrund haben/" Immerhin weist Boncompagno in seinen
Werken selbst eindeutig auf den Einsatz von Ironie h i n V Die Irrwege, die Boncompa-
gno in der jüngeren Entwicklung der ars dzcfamzms ausmachte, werden nicht nur offen
angesprochen, sondern auch ironisch verarbeitet. Denn im Laufe der Zeit hatten die
diversen arfes dzcfamü eine absurde Vielzahl von Musterbeispielen für alle Lebenslagen
angeboten, dazu gesellten sich endlose Reihungen von einleitenden Sprichwörtern für
alle erdenklichen Fälle. So war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Parodien
auf diese in ihren Formalismen gefangene Gattung erschienen.
Zur Veranschaulichung dieser Parodierung ist zunächst ein traditionelles Brief-
muster vorzuführen. Ein Trostbrief, von denen es Hunderte weiterer Muster gab/" aus
der Aarca Gemma illustriert, in welcher sprachlichen und stilistischen Form Beileid zu
bekunden war:

Guido Faba: Saamia dz'cfaaa'az's, ed. GAUDENzi.
FAULHABER, The SaamM dz'cfaaa'az's of Guido Faba, S. 109.
BENSON, Protohumanism, S. 45 f.
Vgl. BENSON, Protohumanism, S. 35.
BENSON, Protohumanism, S. 43.
Vgl. GARBiNi, Boncompagno da Signa e l'autobiografia, S. 278; ähnlich auch JoNES, The Italian
City-State, S. 524; vgl. auch schon SuTTER, Aus Leben und Schriften des Magister Boncompagno,
S. 40.
Boncompagno: Boacoaipagaas, 1,4, 2. zur Ironie bei Boncompagno KNOx, Ironia, S. 38 f.; beispiel-
haft für die beißende Ironie auch Boncompagnos Gegenentwurf zur Ciceronianischen Freund-
schaftslehre mit der Typologie von 26 Formen der egoistischen Instrumentalisierung von
Freundschaft; vgl. Boncompagno: Lz'Fer & aaa'cdM.
Zur Gattung und ihrer Kommentierung durch Boncompagno vgl. VON Moos, Consolatio, Band I,
S. 404.

63
 
Annotationen