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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0179

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168

Teil III: Die zzrUs dzUzzzzd; als Spiegel des Diskurses

1.2 Schriftliche und mündliche Rhetorik

Das Verfassen von Briefen scheint zunächst mit der öffentlichen Rede nicht unmittelbar
vergleichbar. Da die Verfasser von zzrfes dzchzndz allerdings bisweilen auch Regeln für
den mündlichen Vortrag aufgestellt haben, da jeder Brief im Mittelalter in Hinblick auf
dessen lautes Vorlesen konzipiert war^ und da im iß. Jahrhundert aus der zzrs dzcfzzzwzzizs
mit der ars zzzvzz^zzzzdz oder ars cozziz'ozzzzzzdz und der ars pnzedzcandz separate Lehrbücher
für die Rede in der Volksversammlung und die Predigt hervorgegangen sind, ist der
Unterschied zwischen Briefrhetorik und Oratorik tatsächlich wesentlich geringer, als es
zunächst in Fortführung der klassisch-antiken Rhetorik erscheint.
Heute wird zwischen Lesen und Reden scharf getrennt. Das leise Lesen ist zur
Normalität, der laute Vortrag zur Ausnahme geworden. Im Mittelalter war bekanntlich
der laute Vortrag die Norm. Aus der daraus resultierenden Untrennbarkeit von Rede
und Brief erklärt sich die Notwendigkeit, den Spuren der ars dzcfzzzwzzizs in den kommu-
nalen Reden vor dem Volk oder in unterschiedlichen Gremien nachzugehen. Jüngst hat
MARTiAL STAUB nochmals auf die Verzahnung von ars dzcfzzzwzzizs und den für den münd-
lichen Vortrag entworfenen Redesammlungen für kommunale Amtsträger hingewie-
sen. Die besondere Hochachtung gegenüber der rhetorischen Schulung in Norditalien
erklärt sich gerade aus den öffentlichen Debatten im kommunalen Leben. " Zu Recht
wurde darauf verwiesen, dass diese öffentlichen Reden als Teil einer Inszenierung be-
reits getroffener Entscheidungen zu verstehen waren. Sie dürfen daher nicht primär als
argumentativ-persuasive Diskursformen verstanden werden.^ Gleichwohl wurde in
den kommunalen historiographischen Quellen der Wert stilistisch geschulter Reden
nicht infrage gestellt.
Das Verhältnis zwischen der artifiziellen Sprache nach den Regeln der zzrs dzcfzz-
zwznzs und dem gesprochenen Wort ist methodisch schwer zu definieren, weil wir nie
mit Bestimmtheit den Wortlaut einer in der Form tatsächlich gehaltenen mündlichen
Ansprache rekonstruieren können, offenbar weil das Bedürfnis fehlte, den Wortlaut
zu überliefern. So bleibt letztlich auch die Vermutung spekulativ, dass es »[wjährend
der Versammlung [...] vor allem zum Austausch feierlicher, zuvor festgelegter oder
durch die Routine autorisierter Sprechakte gekommen zu sein [scheint] «V Die dzcfzzfores
vertraten zwar die Lehre: Epzsfolzz esf onzfzo ex zzdnhzztz's szue pzzzdz'bzzs cozz^zmzc coztzposzYzz/"
setzen also Briefrhetorik und (mündliche) Oratorik gleich. Allerdings beziehen sie sich
dabei nur auf Fragen der Anrede, der Etikette und der Gliederung. In der Realität unter-
schied sich der Stil beträchtlich.
Einen Einblick gewähren uns zwei im Folgenden zitierte Schriftstücke aus dem
Archiv von Cremona aus dem Jahr 1218. Damals hatten sich die Cremonesen - entgegen
einem früheren Bekenntnis gegenüber Friedrich II. - dem Schiedsspruch des Papstes

KÖHN, Latein und Volkssprache, S. 352 f.; CONSTABLE, Letters and Letter-Collections, S. 11; HACK,
Codex Carolinus, S. 444.
STAUB, Die Republik der Universitäten, S. 41; zu den öffentlichen Versammlungen in der Kom-
mune vgl. CoLEMAN, Representative Assemblies; MARONGtu, 11 parlamento in Italia; RuiiiNi,
I sistemi di deliberazione; CELLI, 11 ruolo del parlamento.
CoLEMAN, Representative Assemblies, S. 206; CELLI, Pour l'histoire des origines de pouvoir
populaire, S. 28 f.; PELTZER/ScHWEDLER/TÖBELMANN, Einleitung, S. 13; DARTMANN, Zwischen de-
monstrativem Konsens und kanalisiertem Konflikt, S. 33 f.
DARTMANN, DiE Repräsentation der Stadtgemeinde, S. 101.
Magister Bernhard: Summa dz'cfamz'zzum, Redaktion A, BAV, Cod. pal. lat. 1801, f. yr.
 
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