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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0257

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Teil III: Die arfcs dkrhuid; als Spiegel des Diskurses

tion. Keine Kommune konnte es sich im Rahmen »außenpolitischer Beziehungen« er-
lauben, den etablierten Stil des kunstvollen dzcfamen vermissen zu lassen und Legaten
ohne Kenntnisse der gängigen Kommunikationsregeln in Verhandlungen mit auswär-
tigen Partnern zu schicken/* Immer wieder sind für die frühe Kommune der inszenierte
Empfang und das laute Verlesen von Briefen vor der versammelten Kommune belegt.
Typisch ist ein Beispiel aus dem Jahr 1159, das die Öffentlichkeit brieflicher Kommu-
nikation zwischen den Kommunen dokumentiert: ... Elfems mayni/irc recepfas, rondonc
EEco EaMfa, reczfare /cdnmsZ Wusste man allerorten um die Veröffentlichung solcher
Schreiben, so bot diese Inszenierung auch die Möglichkeit, die rhetorische Fähigkeit
der eigenen Kommune unter Beweis zu stellen.*' Die rhetorischen Kenntnisse hatten of-
fenbar eine symbolische und eine praktische Funktion; beide Faktoren werden im Fol-
genden eingehend analysiert.

6.1 Praktische Funktionen von Rhetorik

GlROLAMO ARNALDI, ANTONIO PLACANICA, FRANK ScHWEPPENSTETTE Und noch klarer
RicHARD ENGL und KNUT GÖRICH haben sich mit dem Nutzen kommunikativer Kennt-
nisse für kommunale Politiker beschäftigt/ Am Beispiel der zähen Verhandlungen
zwischen Pisa und Genua um Herrschaftsrechte über die Insel Sardinien konnten sie
zeigen, welchen Stellenwert Rhetorik im weitesten Sinn für eine erfolgreiche Verhand-
lungsstrategie hatte. Rhetorik meint in diesem Kontext auch die Argumentationsstra-
tegie im Alltagsverständnis der Kommunen und gerade nicht die ausschließliche Kon-
zentration auf sprachlich-figurale Gestaltung/ Ähnlich fordert JosEF KoppERscHMiDT,
»[d]ass sich eine nicht-reduktionistische Rhetoriktheorie daher so wenig als reine Ar-
gumentationstheorie konzipieren lässt wie erst recht nicht als bloße Figurenlehre«/
Überzeugen können Argumente, so versiert die stilistische Ausarbeitung auch sein
mag, nur, wenn sie sich dem kontextabhängigen Plausibilitätsreservoir der Empfänger
anpassen. Es musste dem Gesandten also darum gehen, an allgemein geteilte Werte an-
zuschließen."' Auch diese >strategische< Fähigkeit ist unter Eloquenz zu subsumieren.

Vgl. am Beispiel der Gesandten von Genua und Pisa vor Kaiser Friedrich Barbarossa GÖRiCH,
Sprechen vor dem Kaiser.
WiERuszowsKi, A twelfth-century > Ars dictaminis<, Nr. 13, S. 391.
Vgl. WEBER, Der performative Charakter brieflicher Kommunikation; zum Verlesen von einge-
henden (zur Information) und ausgehenden (zur Approbation) Briefen in den unterschiedlichen
Gremien der Kommune vgl. LANGEn, Cancellierato, S. 236.
ARNALDi, Cronache con documenti, PLACANICA, L'opera storiografica di Caffaro; ScHWEPPEN-
STETTE, Politik der Erinnerung; ENGL, Geschichte für kommunale Eliten; GÖRiCH, Sprechen vor
dem Kaiser; vgl. schon die Andeutungen bei PEm BALBi, 11 presente e il senso della storia, S. 33.
Vgl. GÖRiCH, Sprechen vor dem Kaiser, S. 130; HARTMANN, Funktionen der Beredsamkeit, S. 19.
KoppERscHMiDT, Oratorik, S. 33. Ob die so - m. E. zu Recht - monierte Engführung des Rheto-
rikbegriffes allerdings die Einführung der Oratorik als neuem Leitbegriff notwendig macht
oder eine historisierende Definition von Rhetorik den klassischen Begriff retten kann, mag an
anderer Stelle entschieden werden. Hier wird unter spezifischer Definition an dem Begriff der
Rhetorik festgehalten.
Vgl. dazu mit Bezug auf das republikanische Rom CoNNOLLY, The State of Speech, S. 63. Dem-
nach halten moralische Diskurse, deren Werte von den Hörern geteilt werden, eine Gemein-
schaft zusammen in der gemeinsamen Bestärkung von geteilten Werten. Diese Anknüpfung
 
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