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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0252

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5 Kommunale Wertevorstellungen in den arfcs dzHazzd;

241

5.4 Ausblick

Bemerkenswerter als die Aussage an sich, dass sich die Konsuln an Recht und Ge-
setz halten und Eintracht unter den Bürgern stiften und bewahren sollen, ist der Um-
stand, dass sich derartige Formulierungen immer wieder in den azTcs dzcfandz wieder-
holen, mithin in einem Genre, das von seiner ursprünglichen Zielrichtung her nicht
dazu prädestiniert zu sein scheint, politisch-moralische Wert- und Deutungssysteme
vorzugeben. Die Lektüre offenbart dagegen sehr deutlich, dass die kommunalen arfes
dzcfandz ganz bestimmte Vorstellungen von der sozialen Wirklichkeit verinnerlicht und
als etwas Selbstverständliches weitergegeben haben. Die kommunalen Eliten, denen ja
üblicherweise auch die angehenden Notare und die Schüler in der arfes dzcfandz ange-
hörten und die für die öffentliche Kommunikation in den, für die und zwischen den
Kommunen verantwortlich waren,'"' prägten vermittels ihrer so geäußerten Definition
von Gesellschaft, Verfassung und kommunalen Leitideen den politischen Diskurs.' " Sie
verbreiteten ihr Gedankengut über ihre eigenen Schriften und Briefe, wobei ihnen ihre
Autorität auch die Macht verschaffte, ihren Leitideen Geltung zu verschaffen.'^
Die Performanz brieflicher Kommunikation, das laute Verlesen der Schriftstücke
in der kommunalen Öffentlichkeit, führte dazu, dass im legitimen öffentlichen Raum
immer wieder dieselben Deutungsmuster und Ordnungskonfigurationen beschworen
wurden. Auch durch diese performative Präsentation ließen sich die darin beschwore-
nen Werte und Normen, Deutungen und Kategorisierungen leicht verankern. Die arfes
dzchiüdz erlauben uns einen Einblick in jene Deutungsmuster, mit denen kommunale
Briefe im Exordium regelmäßig begannen. Die in den arfes dzcfandz durchscheinenden
Leitideen wird man deswegen wohl - in Anlehnung an die Institutionsforschung und
an die Sozialkapitalkonzepte - als sozialen Kitt der Kommunen definieren können. In
dieser zunächst als randständig ignorierten Quellengattung finden wir also eines jener
Medien, die zur Verbreitung der kommunalen, legitimierenden Leitideen dienten."
Sie waren sicher nicht das einzige und nicht das wichtigste Medium im Symboli-
sierungsprozess der Leitideen, das auf eine Öffentlichkeit ausgerichtet warA" Aber die
arfes dzcfandz bieten uns in Ermangelung anderer Quellen aus der Frühzeit der Kommu-

156 Die Lehrer und Verfasser der arfes dz'cfazzdz sowie ihre Schüler sind in ihrem sozialen Kontext
zwar nicht immer eindeutig einzubetten, insgesamt aber wohl doch der städtischen Elite zuzu-
rechnen, vgl. dazu die Ausführungen oben in Anm. 142.
157 \/gl. die allgemeine, nicht an Beispielen ausgeführte These bei BANKER, Giovanni di Bonandrea
and Civic Values, S. 12: »The dz'cfafores were the guardians of social categories. Treasuring and
teaching the appropriate divisions of society and the paradigms for each, the dz'cfafores forma-
lized and preserved social distinctions«.
158 Vg] LANGEn, Cancellierato, S. 254: »Ad aiutare le cittä nella costruzione di un'autonomia poli-
tica e di una nuova ideologia civile furono i gruppi intellettuali locali, ugualmente versati nella
documentazione, nel governo dei rapporti collettivi, nelle pratiche letterarie«.
'5'' Die Zitation dieser Leitideen in den arfes dz'cfazzdz belegt ihre Fundierung im kommunalen Dis-
kurs; die Berufung auf diese Leitideen dürfte also üblich und auch in den Volksversammlun-
gen etabliert gewesen zu sein. Die Transparenz von Norm und Praxis in den Kommunen war
eine Voraussetzung für ihre Akzeptanz, vgl. SCHULTE, Die Kontrolle kommunalen Handelns in
Como, S. 522.
i60 KELLER, Die Verantwortung des Einzelnen, S. 186, bezeichnet etwa die Eide als »Selbstbindung
an Prinzipien des Zusammenlebens in der Gemeinschaft«. Zur theoretischen Einordnung sei
nochmals verwiesen auf BRODOcz, Behaupten und Bestreiten, S. 16; REHBERG, >Öffentlichkeit<
der Institutionen, S. 183.
 
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