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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0244

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5 Kommunale Wertevorstellungen in den arfcs dzHand;

233

5.3 Normvorstellungen in den kommunalen

Die Rationalität, die hinter den arfes dzcfandz steckte, konnte, da diese Texte von zahl-
reichen Studenten als verbindlich angesehen wurden, auch zur Norm ihres sozialen
Handelns werdend Anschließend an die wissenssoziologische Arbeit STEFFEN PATzoLDs
über die Bischöfe im 9. Jahrhundert lässt sich in Bezug auf die kommunale Welt pos-
tulieren: Die Macht der kommunalen Eliten »beruht auf Wissen, das dazu neigt, sich
selbst zu bestätigen «A° Die Gestaltung und Produktion des Diskurses, in dem sol-
ches Wissen fixiert wird, steht deshalb auch im Zusammenhang mit der Verteilung
von Macht.'"' Dieses Wissen beinhaltet auch die Vorstellung darüber, wer die legitime
Macht ausüben kann. »Die Streuung von Wissen ist aus dieser Sicht demnach nicht nur
ein Indikator für die Verteilung von Macht, sondern sie konstituiert Macht«."'" Denn
derjenige, der diese Macht ausübt, bestimmt auch den Diskurs darüber, wer die Macht
ausübt, festigt darüber also seine eigene Stellung diskursiv. Die Verbreitung jenes Wis-
sens, das auf die soziale Zuschreibung von Macht einwirkt, geschieht dabei keineswegs
intentional oder zumindest nicht zwangsläufig in der Absicht, ein bestimmtes Gesell-
schaftsmodell und die Macht einer bestimmten Elite zu festigen.
Die Schüler in den italienischen Kommunen übernahmen die in den arfes dzcfazrdz
als verbindliche Muster vorgegebenen Kategorien, zunächst in Bezug auf die korrekte
Anwendung beim Verfassen von Briefen, dann aber auch - unbewusst und nicht zwin-
gend mit dem Ziel der Manipulation ihrer Kommunikationspartner - in Bezug auf ihre
eigene Deutung sozialer Wirklichkeit. Die Lehrbücher beziehungsweise der mündliche
Vortrag durch den Magister fungierten als Multiplikatoren. Durch die wiederholte Be-
tonung dieser Kategorien und Kommunikationsregeln in immer neuen arfes dzcfazrdz
und Musterbriefen sowie vor immer neuen Generationen von Schülern verfestigten sich
diese zu einem allgemein verbreiteten Wissen. Die Schüler übernahmen die inhärenten
Deutungsmuster, wandten sie später im praktischen Dienst in ihren eigenen Briefen an
und gaben sie zudem innerhalb ihres gelehrten Umfeldes weiter.
Hugo von Bologna etwa behandelt in seinen Rafzones dzcfandz prosazce im Rahmen
unterschiedlicher Argumentationsstrategien, die im Exordium verwendet werden kön-
nen, das Ideal der kommunalen Eintracht:
Sz causam, pzza czudafcs szizr! condzf^ czucs mcmorz^ teueren!, cpnabdzns afpzzc con-
sfanczns dzzmazi^ res sese /zageren!. Es! cnzm czuzfas plnrznm ad zzzrc pzucndnm do-
mznnm congrcgafzo, zd, pzzod przzzs ^aczcdaf uel rcrzzm uzolenfa aMafzo sen pcrsona-
rzzm znzpna dampnafzo, docposfea^aceref uel dzmzdcrcf omnzdns par ef ordznafa rafzo.
Qzzod sz rafzonc non pzodn?; donnm cznzfafnm prznczpznm non rccodfnr. Decef ergo
czues cum rz'ndnzs eozzeordz'tcr nz'ncrc, et adcrzzzzz adcrz z'nstz'rz'a/n cxtcndcrc, tpranno-
rnm pnopnc ozm oz ef rafzono repedered^

STOCK: The Implications of Literacy (wie Anm. 26), S. 523.
St. PATZOLD, Episcopus, S. 41, der an dieser Stelle verweist auf HAUGAARD, The Constitution of
Power, S. 31, und BARNES, The Nature of Power, besonders S. 60-73.
"" Hier berührt sich die auch von PATzom aufgegriffene Wissenssoziologie von BERGER/LucK-
MANN, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, mit der Diskurstheorie FoucAULTs;
vgl. etwa DERS., Die Ordnung der Dinge; vgl. zu letzterem und seiner Verknüpfung von Diskurs
und Macht LANDWEHR, Historische Diskusanalyse, S. 72-73; DERS. Macht - Diskurs - Wissen.
102 PATZOLD, Episcopus, S. 41.
i°3 Hugo von Bologna: Raü'oars dz'chmdz prosaz'cr, S. 74.
 
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