Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0322

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3 Fazit

Auch frei erfundene Briefe, die zu didaktischen Zwecken mit den arfes dzcfandz verbun-
den und als fester Bestandteile der Rhetoriklehre verstanden wurden, lassen sich bei
entsprechender methodischer Analyse als Quelle für reale Geschichte auswerten. Auf
der einen Seite geben die fiktiven Briefe im Kontext der arfes dzcfandz Einblicke in die
Vorstellungswelt der Autoren. Anhand der Briefmuster Magister Guidos lässt sich gut
veranschaulichen, wie der Verfasser von den politischen und sozialen Problemen seiner
Zeit unterrichtet war. Darüber hinaus vermittelt er ein Bild davon, wie er selbst und
möglicherweise auch viele andere aus seinem Umfeld die Machtverhältnisse vor Ort,
die politischen Entwicklungen und die Erfolgsaussichten des in Italien kämpfenden
Kaisers einschätzten.
Auf der anderen Seite konnte am Beispiel der Aussagen über das frühe Studium in
Bologna gezeigt werden, dass auch fiktive Briefe nicht nur Fiktives berichten. Von den
insgesamt 212 Musterbriefen bei Adalbertus Samaritanus, Hugo von Bologna, in der
Gemma und bei Magister Guido betrifft fast ein Fünftel die Belange von Studen-
ten. Diese Briefe berühren am unmittelbarsten die Lebenswelt der Adressaten dieser
arfes dzcfandz. Wenn hier in stilistisch mustergültiger Form Anwerbeschreiben von an-
gesehenen Lehrern oder Hilfegesuche von Not leidenden Studenten erfunden wurden,
dann dürfte den Schülern der fiktive Charakter des einzelnen konkreten Schreibens
zwar bewusst gewesen sein. Zugleich wird man aber annehmen dürfen, dass die An-
stellung von Lehrern in der Form geschah, die in diesen Briefen vorgeschlagen wurde.
Für eine Alltagsgeschichte des Studiums in der Frühphase der Bologneser Uni-
versität bieten die arfes dzcfandz deswegen auch in ihren fiktiven Briefen eine Vielzahl
aufschlussreicher und ernst zu nehmender Hinweise. Allen konnte hier nicht nachge-
gangen werden. Insbesondere die noch unedierten Briefsammlungen versprechen In-
formationen, die ein buntes Bild von den Anfängen der Universität in Bologna zeichnen
lassen. Obwohl, oder besser, gerade weil es nicht in der Absicht der dzcfafores lag, der
Nachwelt mit diesen Briefen ein klares Bild der damaligen Strukturen von Lehre und
Universität zu hinterlassen, erweisen sie sich als höchst authentische Quellen. Sie stam-
men mitten aus dem Leben und dem Erfahrungshorizont von Lehrern und Schülern in
einer Phase, als die Universität in Bologna sich auszuprägen begann. Was Lehrer und
Schüler beschäftigte und sie prägte, wird dabei konturenreich deutlich gemacht. Eine
detaillierte Analyse aller Quellen unter einer spezifischen Fragestellung ist für vertie-
fende Studien zu den Anfängen der Universitätslehre in Bologna vielversprechend.
Die fiktiven Briefmuster Magister Guidos erweisen sich demgegenüber als hervor-
ragende Quellen für die Wahrnehmung und Bewertung politischer Ereignisse und Ent-
wicklungen. Die Briefe aus dem Jahr 1159 zeigen deutlich, mit welcher Entschiedenheit
Guido, der den conti Guidi nahe stand und damit vielleicht auch die Deutungsmuster
dieser den Staufern nahe stehenden Familie wieder gibt, die Rechtmäßigkeit kaiser-
licher Herrschaftsansprüche verteidigt. Seine Bewertungskategorien stehen damit auch
denen der Bologneser Juristen nahe, was sich durch die Nähe Guidos zur Bologneser
Rhetorikschule ebenfalls leicht erklären lässt.
 
Annotationen