Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0218

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4 Ars als Spiegel
der hierarchischen Gliederung
in den Kommunen

Für das soziale Verhältnis zwischen den Briefpartnern sind die Anrede des Empfängers
und die Selbstbezeichnung des Absenders von erheblicher Aussagekraft.' Die Soziolin-
guistik hat seit den 1960er Jahren die Anrede als eigenständiges Thema erkannt/ Dabei
wurde herausgestellt, dass Anreden - im Rahmen kommunikativer Regelsysteme -
existierende oder imaginierte soziale Beziehungen widerspiegeln/ Dass diesbezüg-
liche, sozial etablierte Regeln in der praktischen Kommunikation angewandt wurden,
ist also längst anerkannt/ Die arfos dzcfamE übertreffen die authentischen Briefe in die-
ser Hinsicht aber insofern, als hier nicht nur praktische Muster der sozialkonformen
Anrede vorgelegt, sondern auch theoretische Vorüberlegungen über die hierarchischen
Verhältnisse zwischen fiktiven Briefpartnern oder Amtspersonen angestellt werden,
die einen unmittelbaren Einblick in das zeitgenössische Verständnis sozialer Schich-
tung erlauben.

4.1 Theoretische Vorüberlegungen der dicMorcs zur s%M%ü'o

Dass das Feld der Briefanrede durchaus heikel war und in seinen Feinheiten auch regis-
triert wurde, belegt eine bereits in einem vorangehenden Kapitel zitierte Episode aus
der Herrschaftspraxis Friedrich Barbarossas. Im Jahr 1158 kam es zum endgültigen Zer-
würfnis zwischen dem Kaiser und Papst Hadrian IV. Aus Verärgerung darüber, dass
der Papst dem kaiserlichen Kandidaten für den Erzstuhl in Ravenna die Zustimmung
verweigerte, griff dieser zu einer ungeheuerlichen Maßnahme. Rahewin berichtet:
RibH nofano, Mf in scnbondzs carhs nomon SMMm pro/orons Romani opzscopz snFse-
cnndef ei dicfioniFns sinyniaris nnmeri ipsnm aiiopnafnr. Qni mos scriFondi cnm

LANDWEHR, Das Sichtbare sichtbar machen, S. 83: »Die Macht [...] Klassifizierungen und Katego-
risierungen zu schaffen und sie durch Benennungen überhaupt erst existent werden zu lassen,
stellt nach Bourdieu eine außergewöhnliche gesellschaftliche Macht dar. Sie ist beispielsweise
in der Lage, soziale Gruppen zu erzeugen, indem sie die Wahrnehmung von diesen Gruppen
erzeugt, im wörtlichen Sinn also einen >common sense< herstellt«.
BRAUN/KoHz/ScHUBERT, Anredeforschung, S. XVII.
BRAUN/KoHz/ScHUBERT, Anredeforschung; einen Überblick über die weitere Forschung bietet
HACK, Codex Carolinus, S. 339-345.
BouREAu, The Letter-Writing Norm, S. 49, nennt die dz'cfafores » specialist[s] in the Organization of
societies«.
 
Annotationen