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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0296

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1 Fiktionen in der Realität

285

Es ist durchaus bemerkenswert, dass nicht nur Magister Guidos Schatten, sondern
auch eine Vielzahl weiterer Briefsammlungen und zzzdes dzchzndz des 12. und 13. Jahr-
hunderts eine besondere Nähe zum Haus der conti Guidi erkennen lassen. Mit ihrem
Haus-Kloster Camaldoli, das in den Briefen häutig Erwähnung findet, hatten die Guidi
auch enge Beziehungen zu einem der größten geistigen Zentren der Region. Die heute
noch beachtliche Biblioteca Rilliana in Poppi zeugt von dem kulturellen Reichtum so-
wohl dieses Konvents als auch der conti Guidi. Die auffallende Kenntnis über diese
Familie, die Magister Guido in seinen Briefen verrät, lässt sich nur erklären, wenn
der Magister in Kontakt mit der Dynastie stand. Noch Boncompagno da Signa war
zumindest in geistlicher Verwandtschaft mit dem Grafenhaus verbunden. So über-
schreibt er einen seiner Musterbriefe im BoncozupayziMS.' Liefere consolahonzs, pzzzzs dzrexz
cozuztzsse WzzMnzde commafn zuee post mortem uzrz szzz Gmdoms Gzzerre cozuztzs palatini/" Ne-
ben Guidos und Bernhards Werken aus der Mitte des 12. Jahrhunderts sind in diesem
Raum sonst nur noch die fntrodMctiones dictandi des Camaldulenser-Mönchs Paulus
überliefert. Sie stammen aus einem der Camaldulenser-Klöster in der Toskana,^ wahr-
scheinlich direkt aus Camaldoli, und stehen daher ebenfalls in direktem Kontakt zu
den conti Guidi.
Der Befund ist bemerkenswert. Eine Vielzahl der innovativen Arbeiten über Rhe-
torik und ars dzctzzzwzzizs aus der Mitte des 12. Jahrhunderts lässt eindeutige Verbindun-
gen zu jenem Grafenhaus erkennen, das in der Toskana einen großen Teil der Herr-
schaftsrechte aus dem Hause Canossa übernommen hat. Die Adoption Guidos V. durch
Mathilde von Canossa bot den conti Guidi dafür eine weitere Legitimation neben ihrem
umfangreichen Besitz in Tüszien und in der Emilia-Romagna.^ Damit machen es die ar-
ics dzchmdz wahrscheinlich, in den conti Guidi auch die Nachfolger des Hauses Canossa
auf dem Feld kultureller Patronage zu sehen. Dieses war im 11. Jahrhundert der wich-
tigste und wohlhabendste Förderer literarischer Arbeiten in Oberitalien." Die verschie-
denen rhetorischen Lehrwerke im 12. und mit Boncompagno im 13. Jahrhundert deuten
nun an, dass diese Förderung mit Mathilde von Canossa nicht ausgestorben ist, sondern
offenbar in den conti Guidi fortlebte.

1.2 Musterbriefe als Ausdruck
denkbarer Zukunftsentwicklungen

Die Briefe spiegeln offenbar ein allgemeines Interesse an den Ereignissen wider. Durch
die Kenntnis der aktuellen Entwicklungen machte sich Guido zugleich gewissermaßen
selbst zum Teil des Zeitgeschehens, inszeniert sich als Beteiligten im großen Spiel der
Mächte. Seine Briefe zeigen aber auch, dass die Gedanken um das aktuelle Zeitgesche-
hen kreisten. Wer sich beim Verfassen eines rhetorischen Handbuchs Musterbriefe be-
liebigen Inhalts ausdenken musste, der griff zu Themen, die in der Luft lagen, wählte

Boncompagno: BozzcozzzpagzzMS, ed. Wright, http://scrineum.unipv.it/wight/bon123.htm, 1.23.11.
WoRSTBROCK, Paulus Camaldulensis monachus, S. 87; vgl auch das Vorwort von Stvo, Le >Intro-
ductiones dictandi< di Paolo Camaldolese.
Vgl. zuletzt CoLLAviNt, Comites palatini, S. 62.
So die zentrale These bei W111, Two Latin Cultures.
 
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