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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0107

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Teil II: Philologisch-historische Entwicklung der ars EcöwüUs

gelsystem der Briefrhetorik reagiert werden musste.' " In der zumindest partiell hori-
zontal verlaufenden Hierarchiestruktur wurden neue Kommunikationsregeln etabliert.
Statt der zuvor vorherrschenden Befehlsstruktur, konnte es nun unter Umständen tat-
sächlich auf die richtige Argumentation ankommen. Briefe mussten nun, vielmehr als
in streng hierarchisch strukturierten Sozialgebilden, auch überzeugen. Befehle wurden
durch Bitten und Argumente ersetzt.^ Dabei konnten der argumentativ strukturierte
Briefaufbau und der geschulte Briefanfang mit passender Saüdaüo und treffendem Exor-
dzMm wesentlich entscheidender sein als noch zuvor.'"* Diese Gründe für die inhaltliche
und strukturelle Anpassung von Alberichs BreuzanMTM an die kommunalen Bedürfnisse
ist allerdings nur einer von vielen Faktoren, die den rasanten Bedeutungsanstieg der ars
dzchtmznzs in den Kommunen erklären.
Mit der Konsolidierung der konsularen Gewalt in den Kommunen formierte sich
zudem eine neue politisch-soziale Struktur, die eine Neubewertung oder Aufwertung
der Schrift oder des schriftlichen Aktes als eines obligatorischen Instrumente in der
Präsentation von Macht oder als Mittel von Macht überhaupt mit sich brachte.'"' Da in
Bologna das Lebensumfeld, die Bedürfnisse, die Sprache, kurz: der Diskurs ein ganz an-
derer war als an dem Entstehungsort von Alberichs BrepzarzMW, gewann hier zu Beginn
des 12. Jahrhunderts die ars dzcfawmzs erst ihre eigentliche Form.'"' War das BrcAanüia
noch allein dem reformpäpstlichen Umfeld zuzuordnen, so mischte sich in den frühen
Bologneser arfes dzcfandz der städtisch-kommunale Diskurs mit den reformkirchlichen
Einflüssen. Letztere kennzeichneten nicht nur die Anlage von Alberichs BrcAanüia.
Auch für die frühen Kommunen gilt die Nähe zu reformkirchlichen Gedanken als cha-
rakteristisch.^
Im kommunalen Umfeld wurden vermehrt der kommunale, weltliche Brief- und
der allgemeine Kommunikationsstil gelehrt, und diese Form der Lehre sollte für den
weiteren Erfolg der ars dzcfamznzs verantwortlich sein. So ist die Kommune nicht der An-

172 Vgl. WoRSTBROCK, Die Anfänge der mittelalterlichen Ars dictandi, S. 31.
' 72 Zur Bedeutungsvielfalt der der peh'h'o zwischen flehender Bitte und Befehl im Rahmen der
Brieflehre vgl. schon BÜTOw, Die Entwicklung der mittelalterlichen Briefsteller, S. 71.
174 Vgl. DE Moos, Dialektik und »civilis scientia«, S. 149.
175 Vgl. BANTi, 11 notaio e l'amministrazione del comune, S. 132: »L'acquisizione del potere politico
e il consolidarsi nella gestione di esso da parte di quel ceto dirigente che si suol denominare
>aristocrazia consolare<, ando di pari passo con il formarsi di una struttura statuale piü orga-
nica della czüzfas, che porto anche alla graduale riaffermazione della scritura e dell'atto scritto
come strumento necessario e obligatorio, anche sotto l'aspetto giuridico, nella gestione del po-
tere e come strumento di potere«.
'75 Insofern handelt es sich bei der langen Forschungsdiskussion um die Anfänge der ars dzcfawHWZS
letztlich nur um eine Frage der Deutung, um eine Entscheidung darüber, inwieweit man von
der ersten ars dz'cfawHWz's schon die volle Berücksichtigung aller genrespezifischen Charakteris-
tika erwarten darf.
177 Vgl. zum Zusammenhang von reformreligiösen Entwicklungen und den Anfängen der Stadt-
kommune ZuMHAGEN, Religiöse Konflikte, besonders mit den Ergebnissen S. 204 f.; für die fran-
zösischen Kommunen so schon VERMEESCH, Essai sur les Origines; nach STOCK, Implications of
Literacy, S. 238, sei die Pataria-Bewegung als Vorreiter der Kommune in Mailand zusammen
gesetzt gewesen aus einem »literate inner core«, das er mit reformerischen der Geistlichkeit
identifizierte, und einer »wider, unlettered membership united orally to the same norms«; vgl.
auch VON HÜLSEN-EscH, Romanische Skulptur in Oberitalien, S. 232, die in den Skulpturen der
Kommunen des 12. Jahrhunderts »eine vollständige Durchdringung realtagspolitischer und
eschatologischer Momente« ausmacht, dabei also kommunal-politische mit den reformerisch-
theologischen Voraussetzungen der kommunalen Kunst verbindet.
 
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