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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0200

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2 Sozialer Stand und »Self-fashioning« der dzchdozvs

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mehrmals aus Ciceros De zzzuezz/zozze. Gleich zu Beginn seines ersten erhaltenen Werkes
erklärt er in Anlehnung daran, dass Weisheit, Beredsamkeit und Staatskunst ursprüng-
lich eine Einheit gebildet hätten, die erheblich zur Entwicklung der menschlichen Kul-
tur beigetragen habe.'"' Die dzchz/wes in Bologna kannten diese Definition und mussten
sie wie selbstverständlich auch auf ihre Zeit und auf sich selbst beziehen. "
Wenn die dzchz/wes ihre selbstbewussten Äußerungen über den Nutzen ihrer Gat-
tung immer wieder verbreiten konnten, müssen sie damit auch die Vorstellungswelt
ihrer Leser bedient haben. Sie verfügten als Lehrer und Kenner ihrer Materie über eine
Autorität, die ihnen ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit sicherte. Mit ihren Bewer-
tungen und Setzungen erreichten die Verfasser der a?Tes dzc/azzdz deswegen nicht nur
eine Vielzahl von Studenten gehobenen Standes, sondern sie konnten diesen Setzun-
gen kraft ihrer Autorität auch Glaubwürdigkeit verleihen. Schon im Umfeld der Pataria
konnte Landulf Cotta in seinem reformerischen Einsatz gegen die Priesterehe seine
Schüler, sco/ares t?MOS /zähere poferaf, zum Eid für seine Sache verpflichten. Gleiches be-
richtet Landulf der Ältere über Ariald, szzos tytzos regehaf sco/ares zu eodezzz z'zzrazzzczz/o eos/rz'zz-
yezzs.^^ Lehrer gaben also nicht nur ein bestimmtes Bildungswissen an die Söhne der
politischen Führungsschicht weiter, insbesondere die grammatischen und rhetorischen
Gr u rtd fä h igkeitert,'sondern auch politische Meinungen. Und infolge der Autorität, die
die Lehrer bei ihren Schülern genossen, folgten diese - freiwillig oder unfreiwillig -
den politischen Setzungen ihrer Lehrer.
Sie schlossen damit an ohnehin bestehende Wahrnehmungsmuster an. Schließlich
begegneten sie damals in den konsularen Ämtern nicht selten Notaren oder Juristen,
die nicht nur über besondere rhetorische und juristische Kenntnisse verfügten, sondern
darüber hinaus von hoher sozialer Abstammung waren."'" Die Vermutung, dass die dzc-
fafores ihre Standpunkte mit Aussicht auf Glaubwürdigkeit vertreten konnten, betrifft
aber nicht nur das Self-fashioning der dzcZafores und den Nutzen der ars dzcfazwzzzzs. Ähn-
lich einflussreich dürften ihre Deutungen sozialer und politischer Fragen gewesen sein,
wenn sie im Rahmen ihrer Stillehre gesellschaftliche Hierarchisierung und moralische
Kategorisierung beschreiben, die ein jeder dzc/zz/or beim Verfassen von Briefen zu be-
achten hatte. Deswegen werden in den folgenden Kapiteln jene Äußerungen der kom-
munalen azTcs dzcfazzdz analysiert, die kollektive Wert- und Normvorstellungen, soziale
Schichtungen und Hierarchien in den Kommunen betreffen.

Cicero, De bweafzoae, 1,1-5.
102 \/gl. NEDERMAN, The Union of wisdom and eloquence, S. 94, der gegen ältere, dort zitierte For-
schungstendenzen belegt, dass schon im 12. Jahrhundert das von Cicero geprägte und vermit-
telte Ideal vom weisen Redner bekannt war und schließlich um 1200 das intellektuelle Umfeld
der Kommunen insbesondere im Kontext der ars areagaadz geprägt hat. Die Verbreitung dieses
Rednerideals gehe spätestens auf den Kommentar zu De zmvwhowe von Thierry von Chartres
zurück, der auf 1150 zu datieren sei, ebd., S. 8ß-86. Dahinter steht eine durchaus elitäre Vorstel-
lung der gelehrten Rhetoriklehrer, die sich, wenn auch von NEDERMAN nicht erkannt, mit den
Formulierung der dzefafores des 12. Jahrhunderts deckt, die ja ebenso die einschlägigen Passa-
gen aus De bwewfzowe kannten. Eine frühere Rezeption des Ciceronianischen Rednerideals hält
NEDERMANN, S. 94, ausdrücklich für möglich.
Landulphus senior, Ffz'sfon'a Medz'oZaaezzsz's, III, 5, S. 87.
104 Vgl. BoRDONE, La societä cittadina del regno d'Italia, S. 49: »La scuola episcopale dove insegna-
vano chierici versati nelle arti liberali aveva formato dei quadri dirigenti laici che ora condizio-
navano, nella loro interpretazione civile e politica della realtä, il modo di pensare e di agire di
ecclesiastici come Landolfo di S. Paolo«.
105 Vgl. BoRDONE, I ceti dirigenti urbani, S. 49; die scharfe Trennung zwischen Notaren und Juristen
in Ausbildung, Tätigkeit und Ansehen konstatiert MEYER-HoLz, Collegia Iudicum, S. 2ß, erst für
das Spätmittelalter.
 
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