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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0203

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Teil III: Die arfcs d/chmd; als Spiegel des Diskurses

rene Gemeinschaft und die Teilhabe der unterlegenen Gruppe auf eine allzu harte
Probe gestellt/ Dass diese praktische Unmöglichkeit das Gemeinwesen hemmte und
zugleich innerstädtische Spannungen in besonderer Weise erkennbar machte, erklärt,
warum mit der Ausformung der Repräsentativverfassung eine alternative Form gefun-
den wurde, die die Einführung von Mehrheitsentscheiden ermöglichte/
JEAN-CLAUDE MAIRE ViGUEURhat gezeigt, wie streng die jeweils herrschende Elite in
der frühen Kommune bis etwa 1180 den Zugang zum Konsulat und zu anderen hohen
Ämtern beschränkte/" Zugleich bestand zwischen diesen elitären Familien ein enges
Vertrauensverhältnis, das dem typischen von Konkurrenz und Konflikt geprägten Ver-
hältnis zwischen einzelnen mzüfes gegenüberstand." Zum Erhalt ihrer einflussreichen
Stellung in den Kommunen galt es daher, die Einheit innerhalb der Elite zu fördern. Die
Methode war einfach: »favorire la rotazione delle cariche a tutti i livelli delTapparato
comunale«."
Die Möglichkeit zur Teilhabe am politischen Leben bestand für Familien niedriger
oder mittlerer Abkunft dagegen darin, Netzwerke zu bilden und ein System von Allian-
zen aufzubauen/" Sowohl für die restriktive Besetzungspolitik der Elite als auch für die
Bemühungen um politische Teilhabe auf Seiten der niederen Familien wird der Aufbau
von Netzwerken, politischen Freundschaften und Bündnissen zum zentralen Mittel po-
litischer Gestaltung.
Die große Bedeutung politischer Freundschaften in den Kommunen kann ins-
gesamt nicht überraschen." Allerdings sind die Belege in der kommunalen Historio-
graphie, insbesondere für die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts, in dieser Hinsicht sehr
dürftig. Der Aufbau von personellen Netzwerken ist dort jedenfalls an keiner Stelle
dokumentiert. Auch die - erst später überlieferten - Statuten verschweigen diesen in-
formellen Weg der Herrschaftsausübung aus verständlichen Gründen, und in diplo-
matischen Quellen wird dieser Aspekt ebenfalls verborgen. Dass Freundschaften,
Netzwerke, Werbungen um politische Freunde, der Aufbau von Familienbündnissen
über Ehearrangements und ähnliche informelle Beziehungsformen zum politischen
Alltag gehörten," ist gleichwohl zu vermuten. Für die Analyse der Freundschaft in den
Kommunen hat man bislang allerdings nie auf die kommunalen arfes dzcfandz zurück-
gegriffen. Doch wenn in ihnen auffallend häufig das Thema Freundschaft theoretisch
behandelt wird und in Musterbriefen auch praktisch Freundschaften geknüpft, bestä-
tigt, erweitert werden," dann verweist diese Zentralität auf einen quasi alltäglichen
Diskurs in den kommunalen Gesellschaften. Anders als beispielsweise die traditionel-
len Freundschaftsbekundungen im Rahmen der Briefe des Frühmittelalters haben die

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Vgl. ähnlich, aber nicht in Bezug auf innerstädtische Abstimmungen KELLER, Mehrheitsent-
scheidung und Majorisierungsproblem, S. 40.
Vgl. auch HARTMANN, Ubi multa consilia.
MAiRE ViGUEUR, Cavalieri e cittadini, S. 452.
MAiRE ViGUEUR, Cavalieri e cittadini, S. 452.
MAiRE ViGUEUR, Cavalieri e cittadini, S. 453.
MAiRE ViGUEUR, Cavalieri e cittadini, S. 434; auf Aufbau neuer Netzwerke insbesondere in der
Zeit zwischen 1100 und 1130 verweist GREBNER, Kultureller Wandel und Generationswechsel,
S. 36.
Neuansätze gingen erst von einer Tagung in Ascoli Piceno im Dezember 2010 aus; die Tagungs-
akten sind im Druck.
Vgl. HASELDiNE, Understanding the language of am/'cdm, S. 240: »fAJwHcdM was not an expres-
sion used to denote personal, subjective whims or individual affections, but to describe a sphere
of social, political and public activity«.
Angedeutet wird dieser Befund bei GREBNER, Kultureller Wandel und Generationswechsel,
S. 39.
 
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