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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0207

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Teil III: Die arfcs d/chmd; als Spiegel des Diskurses

für historische Fragestellungen abtun, wie es bislang üblich war." In den zahlreichen
Freundschaftsbriefen wurde offenbar eine Vorstellung ausformuliert, die auf einem
»unantastbaren Gesellschaftsideal« basierte, und in der Grundidee auf Ciceros Freund-
schaftstheorie fußt, wonach alle guten Menschen die Tugend in den anderen lieben/"
Zudem ist zu betonen, dass die arfes dzcfandz als Gattung ein didaktisches Ziel
verfolgten. Sie stellten den Studenten die Grundregeln brieflicher Kommunikation
theoretisch vor und veranschaulichten sie anhand von fiktiven, aber plausiblen Mus-
terbriefen. Die Musterbriefe dienten dabei nicht nur zur Demonstration der stilistischen
Fähigkeiten des Autors, sondern sie sollten auch einen unmittelbaren Nutzen für die
Studenten haben. Das heißt, der Inhalt musste so ausgewählt sein, dass er zumindest
theoretisch auch relevant für die Schüler war und von ihnen zu gegebenem Anlasse
wieder verwendet werden konnte.
Versteht man die Briefe damit als plausible Spiegelung sozialer Wirklichkeit, dann
beginnen auch diese erfundenen Briefe zu sprechen. Der zitierte Briefwechsel der bei-
den Adligen W. und G. zeigt, dass nach schriftlicher Anbahnung die praktische Ini-
tialisierung der Freundschaft durch persönliche Treffen realisiert wurde. Das, was der
Brief hier als theoretische Fiktion formuliert, könnte - in den Augen der Studenten -
tatsächlich so geschehen sein. Folgt man dieser Annahme, dann waren Freundschaften
wie jene zwischen G. und W. üblich in der kommunalen Welt. Grundsätzlich wird der
Befund nicht überraschen. Freundschaften wurden überall und zu allen Zeiten einge-
gangen. Allerdings wird die zentrale Bedeutung von Freundschaften zwischen Adli-
gen, die durch die prominente Positionierung der beiden Briefe ganz am Beginn der
Briefsammlung zum Ausdruck gebracht wird, dann zu einem Problem, wenn diese bi-
lateralen Freundschaften von Adligen innerhalb der Kommune stärker werden als die
Anerkennung der kommunalen Eintracht insgesamt/"
Die noMes, deren Vertreter auch an der Spitze der kommunalen Regierung
standen/" schlossen unter sich bilaterale Freundschaftsbündnisse, durch die sie zu
wechselseitiger Hilfe und Unterstützung verpflichtet waren/" Diese freundschaftliche
Allianz zwischen zwei Adligen barg in sich den Keim von Fraktionen innerhalb der
Kommune/" Zwar waren Adlige auch Träger und Förderer des kommunalen Gedan-
kens/" Aber es blieb gleichwohl eine Grundkonstellation der gesamten kommunalen
Geschichte, dass sich auf der einen Seite der Adel als organisierte Gruppe und auf der
anderen Seite eine viel breitere bürgerliche Gruppierung gegenüber standen/" HAGEN
KELLER hat nachhaltig auf die »Gegenüberstellung von ständisch nicht eindeutig defi-
nierter Gesamtgemeinde und adliger Sonder gruppe« hingewiesen/" Das Hauptziel der

3? Als »schematische Freundschaftswerbung« und »ausgesprochenes Schulprodukt«, in dem
»das Musterhafte stark ausgeprägt ist«, definiert HorpMANN, Briefmuster, S. 134 solcherlei
Briefe, ohne auf ihren sozialen Hintergrund weiter einzugehen.
33 Vgl. JAEGER, Ironie und Subtext in lateinischen Briefen, S. 188.
33 Vgl. zur Bilateralität in späterer Zeit Mum, The sources of civil Society, S. 394.
33 Zu den woMcs als Trägern der frühen Kommune vgl. wegweisend KELLER, Entstehung; DERS.,
Adelsherrschaft und städtische Gesellschaft.
"" Zu den Pflichten und Erwartungen von Freundschaften vgl. die breite Forschungsdiskussion
zur Freundschaft im Mittelalter: zur Definition etwa GARNIER, Amicus, S. 3; Epp, Amicitia, S. 307;
allgemein ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue.
33 Als Beispiel dient Adalbertus Samaritanus: Praeceph? dz'cäwHMMm, Nr.iy, S. 68-70.
33 Vgl. KELLER, Entstehung; DERS., Adelsherrschaft und städtische Gesellschaft.
33 Vgl. HyDE, Society and Politics, S. 104 f.; DARTMANN, Furor, S. 12g f.; früher bereits FASon, Ricer-
che sulla legislazione antimagnatizia; vgl. auch Cpis i iANi, Nobiltä e popolo.
33 KELLER, Entstehung, S. 198 f.
 
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