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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0223

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Teil III: Die arfos dzcfamh als Spiegel des Diskurses

PMrc/üones, düces, cowzfes, cp/'srop/, abbafcs, abbaüssae, prcposd? dzacones H aLz waynafes; als
Personen mittleren Ranges gelten sacerdofes, wzLfes, czues, barycnscs?"
Die scharfe Grenze, die die Autoren kommunaler arfes dzcfandz hier zwischen Ad-
ligen als mazores und Bürgern als medzocres ziehen, mag zunächst überraschen, passt
aber bestens zu den Ergebnissen der langjährigen Forschungen HAGEN KELLERS über
den Einfluss und die Sonderstellung des Adels in den Kommunen. KELLER kam zu dem
Ergebnis, dass »eine adlige Lebensform [...] ganz selbstverständlich auch in der städ-
tischen Gesellschaft anerkannt wurde«/' Letztlich kommen bei der Beschreibung des
Adels also die Hierarchievorstellungen im Rahmen des rhetorischen Regelsystems mit
den neuen Forschungen zur Verfasstheit der italienischen Kommunen zur Deckung.
Der Vergleich mit KELLERS Forschungsergebnissen zeigt, dass die kommunalen ar-
fes dzcfandz Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit widerspiegelten. Indem nun in
den Lehrwerken diese hierarchische Ordnung wiederholt und vor immer neuen Lesern
oder Hörern eingeschärft wird, zementieren sie die bestehenden Hierarchievorstel-
lungen. Denn im Mittelalter [war] » alle Reflexion über Stände zugleich eine Reflexion
über transzendent gesetzte Ordnung, eine Reflexion über Gott als Schöpfer und über
die Ordnung des von ihm geschaffenen Kosmos«?" Daher sind diese Reflexionen auch
in ihrer Deutung »dem Grundgedanken einer >Harmonie der Ungleichheit< verpflich-
tet«?" denn wer wollte sich Gottes Ordnung widersetzen ?'" Grundlage dieses mittelal-
terlichen Deutungsschemas dürfte wohl Augustinus sein, dem zufolge » die Ordnung
aller Geschöpfe von der Spitze bis ganz nach unten in angemessenen Stufen angelegt
[ist]«?" Indem dieses Ordnungsschema auch für die kommunale Gesellschaft in der ge-
rade skizzierten Form eingeschärft wurde, gab es die Grundregeln richtigen Handelns
vor, »denn das Wissen der Ordnung bindet das Handeln an sie [diese Ordnung] und
begrenzt den Menschen auf diese Weise in der Ordnung seines Lebens und Standes«?"

Henricus Fra neigena: Aurea Gemma, Paris, BN, MS nouv. acc. 1. 610, f.2gr-v.
KELLER, Adel in den italienischen Kommunen, S. 266; ausführlicher dazu bereits DERS., Adels-
herrschaft und städtische Gesellschaft.
OEXLE, Die Entstehung politischer Stände, S. 161.
OEXLE, Die Entstehung politischer Stände, S. 161.
Vgl. JussEN, Ordo, S. 236-239, mit der kritischen Frage, inwieweit diese eklektisch immer wie-
der herangezogenen Idealzitate Bernhards von Clairvaux tatsächlich »Ausdrucksmuster«
einer zeitgemäßen politischen Sprache oder eventuell doch nur einseitige Fokussierungen der
Forschung auf wenige literarische Texte sind: »Der Weg von den Argumenten eines einzelnen
Autors oder einer Autorenfiliation zu den impliziten Grundorientierungen und automatisierten
Ausdrucksgewohnheiten vieler Zeitgenossen ist methodisch nicht geregelt« (ebd., S. 239).
Augustinus: De Ffvro arMhz'o, III, 9, 24, S. 289: S;' d/xonf; >Ncm erat tarnen dz^'ede auf Mzonösam om-
m'pofenh' deo af omm'a ^HaecHm^He/ecd sie daueren! ordz'nem saarn af aaHa creatnra ast?ao ad mz'serz'am
perpenz'ref; non enz'm doc aal omnz'pofens non pofnd aal Amas z'nUdz'C, rospondelw ordz'nem croafararam
a summa ast?ao ad z'nji'mam gradDas z'ash's da docurrere af die z'nm'deaf t?a;' düerd: >Fsfa non essef<; aus-
führlich dazu vgl. RiEF, Der Ordobegriff des jungen Augustinus; vgl. jetzt aber relativierend
JussEN, Ordo, S. 233 f.
OEXLE, Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit, S. 79. Bezeichnend und bislang in der
Forschung völlig übersehen ist der Umstand, dass es keinerlei Ansätze gab, die neuen Stadt-
bewohner als einen eigenen Stand zu definieren. Die stabilisierende Wirkung von allgemein
implementierten Vorstellungen über Stratifikationssysteme beschreibt letztlich auch BouRDiEus
Habituskonzept, (Der soziale Sinn, S. 101, Anm. 1), wonach »die Gesellschaftsordnung in der
Hauptsache in den Hirnen und auf dem Habitus [beruht], d. h. der von der Gruppe angeeignete
und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Organismus funktioniert wie die Materialisierung des
kollektiven Gedächtnisses, indem er in den Nachfolgern reproduziert, was die Vorläufer erwor-
ben haben«.
 
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