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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0236

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5 Kommunale Wertevorstellungen in den arfes dzcHMd;

225

die kommunalen arics dzcfztudz als zeitgemäße und etikettenkonforme Formulierungen
Vorgaben, folgte den gültigen Vorstellungen in den Kommunen. Der Einfluss war dabei
wechselseitig, wirkten die arfes dzcfandz doch zugleich auf jene Vorstellungen zurück.
Die dort zur Grundlage von brieflicher Argumentation vorgegebenen Standardformu-
lierungen über die politische Ordnung oder über die hierarchischen Verhältnisse der
Kommunen waren nach den Vorstellungen der Lehrer und der Adressaten »richtig«,
das heißt sie entsprachen dem gesellschaftlichen Konsens und werden also von den
Studenten als gültig anerkannt/' Die Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Aus-
sage in einer bestimmten Gesellschaft überhaupt »sagbar« ist, hängt nämlich von den
Wissensbeständen und Überzeugungen der Gesellschaft und den sozialen und insti-
tutioneilen Kontexten abA »Institutionalisierte Redeweisen«, also stetig wiederholte
und damit alltäglich und selbstverständlich erscheinende Aussagen, sind die Folge
von Ordnungskonfigurationen/' die Wahres von Falschem, Sagbares von nicht Sagba-
rem trennen/"
Im Folgenden sollen die Bezugnahmen der arfes dzchtndz auf die kommunale Herr-
schaftsstruktur analysiert werden. Es soll die Verankerung kollektiver Werte und
Normen als Grundvoraussetzung für die Stabilität der Gesellschaft im kommunalen
Diskurs untersucht werden, für den die arfes dzchtndz den direktesten Zugang bieten.
Welches sind die geteilten Werte und Normen? Wo werden sie überliefert und an ein
breiteres Publikum weiter gegeben? Wie können die Werte und Normen schließlich in
ein allgemein geteiltes Wissen transformiert werden?
Decef cryo czues CMW du/'Hzs concordzfer uz'ucrc - Bürger sollen mit Bürgern einträchtig
Zusammenleben/" Das Zitat, das sich wie die Präambel einer Verfassung oder die Ma-
xime kommunaler Statuten ausnimmt, entstammt den Rahones dzchtndz prosazce Hugos
von Bologna, einem der frühesten Beispiele kommunaler ars dzchtmznzs zu Beginn des
12. Jahrhunderts. Diese und weitere, in eine ähnliche Richtung weisende Formulierun-
gen sind Beispiele dafür, inwieweit die arfes dzchtndz als rhetorische Lehrbücher neben
ihrem genuinen Anliegen - der Unterweisung im kunstgerechten Abfassen von Brie-
fen - kommunale Wertesysteme und Deutungsmuster transportierten, die unmittelbar
zur Verbreitung eines kommunalen Wertekanons und zur Konstruktion einer kommu-
nalen Identität beitrugen. Gerade die zunehmende Formalisierung des dzcfamen und
seine abnehmende Individualität^ führten zu einer Homogenisierung oder Standardi-
sierung der Sprache, die zugleich auf die Standardisierung von Werten und damit auch
auf einen gesellschaftlichen Konsens ausgerichtet war/'
Die Bedeutung der kommunalen arfes dzchtndz für die Erforschung kommunaler
Wertesysteme ist in der Forschung noch nicht erkannt worden. Dabei ist nur allzu be-
kannt, dass Denkkategorien und Wahrnehmungsschemata insbesondere über Schulen
und ähnliche Einrichtungen, jedenfalls über Instrumentarien der Lehre vermittelt wer-

Vgl. zum Verhältnis von normierter politischer Sprache und der Gesellschaft in anthropologi-
scher Perspektive BLOCH, Introduction, besonders S. 4.
LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren; DERS., Macht - Diskurs - Wissen; DERS., Diskursge-
schichte.
Zum Konzept WEiNFURTER, Ordnungskonfigurationen; ScHNEiDMÜLLER/DERS., Ordnungskonfi-
gurationen.
LANDWEHR, Geschichte des Sagbaren.
Hugo von Bologna: Rah'ozzes dz'cfazzdz prosaz'ce, S. 74; ähnlich auch der anonyme Lombardische
Traktat, der um 1124 in Oberitalien entstanden ist, vgl. Wien, ONB 2507, f. 12V.
Wi l l, Rhetoric and Reform, S. 56, spricht von der »tyranny of stylistic prescriptions«.
Zur soziologischen Deutung etablierter Standardsprache vgl. WEBER, Standardsprache.
 
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