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Weber, Wilhelm; Königliche Museen zu Berlin / Ägyptische Abteilung
Mitteilungen aus der Ägyptischen Sammlung: Text — Berlin, 2.1914

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Arbeit. Stil.

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Grundlage nachempfunden, um für gewisse Kreise gewisse äußerliche Schemata, gewisse Grund-
gedanken, die jedem geläufig waren, zu erhalten3). Die sie schufen, hatten anders sehen gelernt4).
In der großen Masse der Terrakotten beobachten wir zunächst griechische Gelöstheit5), dazu
aber bestimmte, gleichmäßig wiederkehrende Züge. Fremden Trachtapparat als Aufputz von
ganz naturalistisch empfundenen Figuren, Stellungs- und Haltungsschemata, endlos wiederholt,
als seien sie erstarrt6), bizarre Silhouetten, Gebundenheit im Widerstreit mit plastischer Freiheit,
den Kampf zwischen der Flächenhaftigkeit und Vollkörperlichkeit. Es ist keine reine Legierung
aus der Mischung zweier Welten hervorgegangen7). Das ist ein schwaches Produkt geworden, das
über die alten klassischen Formsysteme hat hinaushelfen sollen8).
Aber es scheint, daß wir auch Metamorphosen des Stils innerhalb der parallelen Reihen wahr-
nehmen können. Es bedeutet dabei viel, daß das Stoffliche durch gewisse Ansprüche streng ge-

3) Für einzelne (Anm. 2) zeigt es auch die Technik (S. 8), daß wir sie griechischen Kreisen zuzählen dürfen, andere
(S. 5, Anm. 8) sind gewiß ungriechisch, aber in gewissen Dingen auch wieder von griechischen Prinzipien beeinflußt. Es wäre
an der Zeit, daß jemand diesen Einfluß auf die gesamte Großkunst umschriebe (s. v. Bissing, in den Textabschnitten zu v. Bissing-
Bruckmann, letzte Tafeln). — Hier kann vielleicht am besten noch ein Wort über die Sockelformen stehen. Wir finden eine
brettartige Standfläche bei ägyptischen Stücken (198 etc.); mehr oder minder reich, nach griechischen Profilierungen gewählte
Postamente, die oval, fast rund, vieleckig sein können, bei der Hauptmasse; ägyptisierende Motive wie Kapitelle, pflanzliche
Untersätze jeweils aus besonderer Veranlassung (mythologisches, nicht zuerst dekoratives Schema! s. jeweils im Text.) Bestimm-
tes läßt sich vorläufig noch nicht daraus ableiten; die große Zahl der Varianten zeigt nur, wieviel aus der Großkunst der beiden
Völker verwendet und geläufig war; die regelmäßige Wiederkehr lehrt, wie sehr man sich gegenwärtig hielt, daß plastische
Motive einen richtigen Untersatz verlangen.

4) Wie tief dieser Gegensatz in den Völkern sitzt, wissen wir daraus, daß schon früher die Kunst im griechischen Gebiet,
wo sie von der Klassik Ägyptens etwas übernahm, adaptierend es in ihren optischen und psychischen Zusammenhang einwob
und als etwas ganz Neues gestaltete (Kretisches, Archaisches). Aber wie das die Jahrhunderte hindurch andauert (hier liegt
eine der Wurzeln für griechisches Gemeinsamkeitsgefühl), mögen zwei Beispiele der spätesten Römischen Zeit zeigen: Schenute
von Atripe, der christliche Ägypter, wettert gegen des Aristophanes naturalistisches κοάξ, κοάξ (Erman, Äg.
Zeitschr. 1894, 134 ff.); doch wohl nur aus der Abneigung gegen solche „Kunstexperimente". Andererseits: Zacharias,
Schol. vit. Severi p. 9,1 (bei Schwartz, Joh. Rufus, Sitzb. Heid. Akad. 1912, 16, S. 27 aus dem Syrischen ins Griechische
übertragen) erzählt, wie in Menuthis eine Menge ägyptischer Götterstatuen in einem Versteck gefunden, nach Alexandrien
gebracht, vor dem Tychaion in Gegenwart der Behörden verbrannt wurden. Der Pöbel begleitet das Autodafe mit Hohn-
rufen auf die heidnischen Götzen; ein Witzbold ruft dazwischen: οτι κηρωματίτης ούκ εστιν αύτοϊς. Das Randscholion erklärt
das so: ότι ονκ εστιν αντοϊς εν χερσιν και ποσ'ιν άρθρα ώστε κάμπτειν αύτάς διδασκομένονς τό κήρωμα. Schwartz weist wohl auf die
Bedeutung „Turnlehrer" für κηρωματίτης hin, denkt aber selbst an den „Feldscher", der die gebrochenen Arme und
Beine nicht heilen könne. Bleiben wir bei jener, der nächstliegenden Bedeutung, so ist der Witz beißend wie selten:
Die Statuen brauchen den Turnlehrer, denn sie haben keine Gelenke. Darin offenbart sich das Griechische
Gymnasion! Ägyptische Kunst konnten die, denen das γνμνάσιον Ideal war, nie begreifen. Aber nicht allein dies. Es
offenbart sich darin auch das Prinzip, nach dem die griechische Kunst die ägyptische Religion, religiöse Kunsttypik, Typik
überhaupt den Griechen erschlossen und besiegt hat. Im Augenblick, wo der Grieche des frischen Hellenismus die ägyptische
Isis in ihrer Starrheit sah, mußte er sie zum Leben erwecken, die Gelenke ihr lösen (S. 33). Erstaunlich, daß dieser Grund-
gegensatz so krass noch bis in diese späte Zeit lebt. Hinzufügen kann ich noch den Hinweis auf Nordens Antithesen über
die Formen des religiösen Redestils im Orient und Okzident (Agnostos Theos 222 ff.). Das ist demnach zu erweitern auf
die allgemeine psychische Konstitution der Völker. Es ist nun klar, daß, wenn solche ägyptischen Figuren (Anm. 2) grie-
chischer Faktur in möglichst gebundenem Stil begegnen, ein gewisser Zweck verfolgt wird. Der kann nur darin bestehen,
Absatz auch bei den reinen Ägyptern zu finden. Aber wie selten sind diese. Und wie stark überwiegen die hellenisierten.

5) Einzelnes: z. B. das Sitzen auf dem Thron; das Halten der Attribute; das Stehen; das Hocken; das Reiten
(Pferd im Profil, Reiter dreht den Kopf; vgl. das — natürliche — Profil der Tiere ; vgl. das Drehen des Kopfes bei Tieren, abhängig
von ägypt.Kunst) ; das Stehen, Liegen derTiere ; den umgeschlagenen Schwanz bei Katzentieren (äg.). Das geometrische Erheben
des Armes zum Stoß (82, ägyptisch); die geschlossene Stellung; die Schönheitsgruben über dem Becken der Frau, das Dreieck
der Schamhaare, die zu den unvermeidlichen Dingen seit der altägypt. Frauendarstellung gehören.

6) Vgl. etwa 83: nicht nur der ägyptisch-griechische Stoff; auch die Kreuzung in der Faktur, der griechische Denkmal-
typus des Pferds und die ägyptische Überschneidung. (Alexander z. B. stößt wagerecht; bei 82 liegt eine ägyptische Hand-
führung vor). — Interessant als Paradigma ist 102 (s. zur Stelle). Da hat man den Kontur und das Kompositionsschema fest-
gehalten. Aber der dem Schöpfer fremde Stoff ist versunken. Die Phantasie des Griechen hatin das unbesiegliche
Schema einen neuen Inhalt eingefangen. Das ist von prinzipieller Wichtigkeit.

7) Wir müssen freilich sagen, daß diese oft armseligen Terrakotten von der Großkunst ebensoweit entfernt sind wie ein
Öldruck in einem Bauernhaus von Raffaels oder Rembrands Originalen. Wir haben die große „Kunst" aber nur in solchen
Ablegern; steht uns da ein Urteil zu?

8) Natürlich gibt es noch viele Beispiele; auch noch viele Untergruppen, Übergänge; es kommt in dieser Skizze nur auf
Proben an. Daß mit dem stofflich-formalen auch die optisch-formale Darstellung sich ändert, zeigen Gruppen wie 36 und
Parallelen (s. S. 37), wo mit dem anderen Frauenideal andere Massenverteilung und Formwirkung verbunden ist. Vgl. auch 187
und 190.

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