12
Einleitung.
bunden war, und daß gerade in dieser Bindung sich der Zusammenhang mit der großen Kunst im
Land ergibt. Waren doch dadurch die Töpfer an der freien Gestaltung, der Linienführung ge-
hindert, größeren Gesetzgebern untergeordnet.
Ein Vergleich zwischen 15 und 16 zeigt das gleiche Sujet einmal blühend naturalistisch, das
andere, in die Breite gedrückt, geplattet, ornamental. Das ist kein Zufall. Denn 86, 87, im Ver-
gleich mit 83 oder 89 lehren dasselbe. Deutlicher noch 100 verglichen mit 99 (dies naturalistisch
bewegt, jenes starr im Profil, steif und mit geometrisierten Linien; oder die Tierfiguren 434, 435,
436 mit 444, 448, 449. Oder 154 verglichen mit 483, 484, 485 (s. S. 262)). Da ergibt sich sofort
ein wesentlicher zeitlicher Unterschied. Diese letztere Beobachtung wird gestärkt durch die Reihe
217, 218, 239. Runde Formen noch bei den ersten, breite Flächen, geometrische Umrisse, nur auf
der Oberfläche sitzende Gliederung bei der zweiten, und bei 239 ein scharfer Kontur, eine platte
Masse, die nur in einer Ebene verläuft, deren Innengliederung in flüchtigen Linien aufgemalt ist.
Wir wissen, daß Figuren wie 239 in koptischen Schutthügeln gefunden werden, also zu den letzten
Erzeugnissen der figürlichen Tonbildnerei in Ägypten gehören9). Wir beobachten daher hier den
Weg von der naturalistisch-plastischen Klarheit hin zu Linie und Fläche. Und wenn wir die glotzen-
den Riesenaugen betrachten (218, Tafel 23, 247, 349, 444, 458), die genau ebenso an den großen
Porträts der spätrömischen Epoche wiederkehren10), so sehen wir, daß über die Entartung und
Unfähigkeit der Töpfer hinaus11) da ganz prinzipielle Stilwandlungen im Zusammenhang
mit der großen Kunst vorliegen. Wir verfolgen den Prozeß des Übergangs in die neue Kunst,
wie er sich lange Zeit hindurch wie in der großen Kunst vorbereitete und konstatieren, daß wie
einst der griechische nun der neue Stil mit gleich zerstörender Gewalt12) bis in die entlegensten
Winkel der Kultur hinausgedrungen ist.
Wo liegen die Wurzeln dieses neuen Stils? Es will doch scheinen, als sei die Ausschaltung
des klassisch-griechischen Ideals, das mit der ägyptischen Art die Welt zu sehen, sich nicht ver-
tragen hatte, verbunden mit dem Absterben seiner schalgewordenen Motive, die hier fast am läng-
sten im Zusammenhang zu beobachten sind, und mit dem Sieg einer auf neuer religiöser Grundlage
internationalisierten Menschheit, die ins Weltweite und Kolossale zu sehen sich gewöhnt hatte.
Motive.
Das Verhältnis des Töpfers zu seinem Stoff ist besonders beachtenswert. Die Tausende von
Terrakotten stellen einen sehr engen Kreis von Motiven dar; viel Abwechslung herrscht nicht.
Hunderte sind häufig wiederholte Bildchen von Göttern oder göttlichen Wesen, oft begegnen
Tierdarstellungen, seltener Nachbildungen von Architektur oder Kleinkunst, erstaunlich wenig
— und doch ist das gewiß kein Zufall — Bilder des griechischen Menschen. Wir finden wohl
9) Einzelnes über die Chronologie s. noch unten S. 16.
1°) Ich erinnere an das bekannte Porphyrporträt in Kairo (Borchardt, Kunstwerke aus dem Museum von Kairo, Taf. 18),
um dem Einwand zu begegnen, daß das nur im Westen vorkomme. Jeder kennt A. Riegls Untersuchungen über diese Fragen.
Ich setze sie ebenso wie Strzygowskis Arbeiten als bekannt voraus. Ein kleiner Irrtum Riegls ist unten S. 216, Anm. 20 be-
seitigt. 0. Weinreich, Sitzb. Heidelb. Akad. 1913, 5, S. 23ff., hat die gleichen Beobachtungen eben an lykischen Reliefs gemacht.
1λ) Ich leugne nicht, daß die Figuren 230 ff-, 344 ff., 455 ff. nicht zu den schönsten Produkten der Handwerkskunst
gehören. Aber damit sind sie nicht abgetan. Wer will denn erklären, daß da zuletzt jener uralte Frauengestus vorkommt?
Wer will erklären, warum, wie bei diese» Hexe 238, großplastische Männerstatuen mit Stoffüberzug existieren (S. 146)?
12) Tatsache ist, daß die figürliche Tonkunst fast vorbei ist, als dieser Stil gewütet hatte. Kann das auch damit zusammen-
hängen, daß der Darstellende, um sein Wollen vollkommen zu verwirklichen, zu anderem Material griff, das seiner Absicht mehr
entsprach? In Holz, Knochen, Stein schnitzt man auch fröhlich von dieser Art des Hellenismus herzuleitende Figuren
weiter, weil diese Stoffe der neuen Art am meisten entgegenkommen.
Einleitung.
bunden war, und daß gerade in dieser Bindung sich der Zusammenhang mit der großen Kunst im
Land ergibt. Waren doch dadurch die Töpfer an der freien Gestaltung, der Linienführung ge-
hindert, größeren Gesetzgebern untergeordnet.
Ein Vergleich zwischen 15 und 16 zeigt das gleiche Sujet einmal blühend naturalistisch, das
andere, in die Breite gedrückt, geplattet, ornamental. Das ist kein Zufall. Denn 86, 87, im Ver-
gleich mit 83 oder 89 lehren dasselbe. Deutlicher noch 100 verglichen mit 99 (dies naturalistisch
bewegt, jenes starr im Profil, steif und mit geometrisierten Linien; oder die Tierfiguren 434, 435,
436 mit 444, 448, 449. Oder 154 verglichen mit 483, 484, 485 (s. S. 262)). Da ergibt sich sofort
ein wesentlicher zeitlicher Unterschied. Diese letztere Beobachtung wird gestärkt durch die Reihe
217, 218, 239. Runde Formen noch bei den ersten, breite Flächen, geometrische Umrisse, nur auf
der Oberfläche sitzende Gliederung bei der zweiten, und bei 239 ein scharfer Kontur, eine platte
Masse, die nur in einer Ebene verläuft, deren Innengliederung in flüchtigen Linien aufgemalt ist.
Wir wissen, daß Figuren wie 239 in koptischen Schutthügeln gefunden werden, also zu den letzten
Erzeugnissen der figürlichen Tonbildnerei in Ägypten gehören9). Wir beobachten daher hier den
Weg von der naturalistisch-plastischen Klarheit hin zu Linie und Fläche. Und wenn wir die glotzen-
den Riesenaugen betrachten (218, Tafel 23, 247, 349, 444, 458), die genau ebenso an den großen
Porträts der spätrömischen Epoche wiederkehren10), so sehen wir, daß über die Entartung und
Unfähigkeit der Töpfer hinaus11) da ganz prinzipielle Stilwandlungen im Zusammenhang
mit der großen Kunst vorliegen. Wir verfolgen den Prozeß des Übergangs in die neue Kunst,
wie er sich lange Zeit hindurch wie in der großen Kunst vorbereitete und konstatieren, daß wie
einst der griechische nun der neue Stil mit gleich zerstörender Gewalt12) bis in die entlegensten
Winkel der Kultur hinausgedrungen ist.
Wo liegen die Wurzeln dieses neuen Stils? Es will doch scheinen, als sei die Ausschaltung
des klassisch-griechischen Ideals, das mit der ägyptischen Art die Welt zu sehen, sich nicht ver-
tragen hatte, verbunden mit dem Absterben seiner schalgewordenen Motive, die hier fast am läng-
sten im Zusammenhang zu beobachten sind, und mit dem Sieg einer auf neuer religiöser Grundlage
internationalisierten Menschheit, die ins Weltweite und Kolossale zu sehen sich gewöhnt hatte.
Motive.
Das Verhältnis des Töpfers zu seinem Stoff ist besonders beachtenswert. Die Tausende von
Terrakotten stellen einen sehr engen Kreis von Motiven dar; viel Abwechslung herrscht nicht.
Hunderte sind häufig wiederholte Bildchen von Göttern oder göttlichen Wesen, oft begegnen
Tierdarstellungen, seltener Nachbildungen von Architektur oder Kleinkunst, erstaunlich wenig
— und doch ist das gewiß kein Zufall — Bilder des griechischen Menschen. Wir finden wohl
9) Einzelnes über die Chronologie s. noch unten S. 16.
1°) Ich erinnere an das bekannte Porphyrporträt in Kairo (Borchardt, Kunstwerke aus dem Museum von Kairo, Taf. 18),
um dem Einwand zu begegnen, daß das nur im Westen vorkomme. Jeder kennt A. Riegls Untersuchungen über diese Fragen.
Ich setze sie ebenso wie Strzygowskis Arbeiten als bekannt voraus. Ein kleiner Irrtum Riegls ist unten S. 216, Anm. 20 be-
seitigt. 0. Weinreich, Sitzb. Heidelb. Akad. 1913, 5, S. 23ff., hat die gleichen Beobachtungen eben an lykischen Reliefs gemacht.
1λ) Ich leugne nicht, daß die Figuren 230 ff-, 344 ff., 455 ff. nicht zu den schönsten Produkten der Handwerkskunst
gehören. Aber damit sind sie nicht abgetan. Wer will denn erklären, daß da zuletzt jener uralte Frauengestus vorkommt?
Wer will erklären, warum, wie bei diese» Hexe 238, großplastische Männerstatuen mit Stoffüberzug existieren (S. 146)?
12) Tatsache ist, daß die figürliche Tonkunst fast vorbei ist, als dieser Stil gewütet hatte. Kann das auch damit zusammen-
hängen, daß der Darstellende, um sein Wollen vollkommen zu verwirklichen, zu anderem Material griff, das seiner Absicht mehr
entsprach? In Holz, Knochen, Stein schnitzt man auch fröhlich von dieser Art des Hellenismus herzuleitende Figuren
weiter, weil diese Stoffe der neuen Art am meisten entgegenkommen.