Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weber, Wilhelm; Königliche Museen zu Berlin / Ägyptische Abteilung
Mitteilungen aus der Ägyptischen Sammlung: Text — Berlin, 2.1914

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/mitt_aegslg1914_text/0027

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stil. Motive.

13

Karrikaturen, Abnormitäten, fremde Rassen, Verwürfe des Straßenlebens; wir sehen wohl Figuren
des Zirkus, des Mimus, des Dramas, des Variete, Obscöna, wie der Orientale sie liebt, in großer
Zahl, Frauenmoden, landläufige Kindergruppen; Menschen in einer meist unedlen Tätigkeit, den
Mann aus der niedersten Sphäre. Es riecht alles nach Arbeit und Volk. Die Darstellung des schönen
Menschen, des Ideals des geschmeidig-kraftvollen, lässigen Sportsmanns, der auf sich selbst stolz
ist, nicht auf Berufsathleten wettet, scheint vollständig zu fehlen. Und doch war mit der griechischen
Kultur das γυμνάσιου hinaufgewandert ins Innere Ägyptens.
Man wird sagen, es sei unbillig, das von dieser provinzialen Volkskunst zu verlangen. Jedoch,
ist, was sie darstellt, nicht das, was wir von Alexandrien zu kennen glauben? Wenn wir die
Haustiere der Kolonisten sehen, oft solche, die ihr Los mit dem gepeitschten und schuftenden
Fellachen teilen, oder die Tiere des Flusses, der heiligen Tempel, wenn wir die Häuser betrachten,
die im Land allein existieren und Charakteristika der Landschaft sind, oder die Geräte, wie das
Volk sie die Jahrhunderte hindurch besaß, und wenn all das auch auf den von den Griechen ge-
malten Landschaftsbildern wiederkehrt, so kann das nur so erklärt werden: Die motivbildende
Kraft der Töpfer im Land war beschränkt, stand unter dem starken Druck der alexandrinischen
Interessen; die neugierige Anteilnahme der Großstadt am Leben im Land verband die Charak-
teristika mit den eigenen und nahm die Themen dazu, die dem Zeitgeist am meisten entsprachen.
Das ist es, was hinausgewandert ist in die Landstädte und Dörfer Ägyptens, was als die letzten
Errungenschaften der Großstadt in gleicher Weise wie heute draußen unendlich oft nächgemacht
wurde. Denn der gewiegte Fabrikant bringt nur Ware auf den Markt, die er absetzen kann.
Der Töpfer ist darum eingeengt; in drückender Abhängigkeit von dem Publikum und seinen
Vorlagen, die wir uns als Musterbücher1) denken müssen. Daß dies so ist, das zu beweisen be-
darf es keiner großen Mühe. Denn die Statistik der Fundorte und Typen der Götterbildchen zeigt,
daß auch sie nicht an jedem beliebigen Ort frei erfunden, ohne die Kenntnis dessen, was die anderen
schufen, gemacht worden sind. Sie stehen, wie der sehr oft noch möglich gewordene Vergleich mit
Denkmälern ganz anderer Art und Größenverhältnisse, Münzen, geschnittenen Steinen, Metall-
arbeiten aller Art, Malereien, Reliefs und Großskulpturen von innerhalb und sogar außerhalb Ägyptens
lehrt, in engstem Zusammenhang mit der religiösen Großkunst. Denn der intensive Glaube
des Volks an die eindeutige Erscheinungsform, in der der Gott steht und sitzt und sich bewegt,
an die Gottbeseeltheit und Unantastbarkeit seiner Bilder, an die größtmögliche Wirkung genauer
Kopien, durch die man den Gott sich sichert, hat schon seit uralten Zeiten eine strenge, religiöse
Typik geschaffen, an welche die Fabrikanten der Bilder sich halten müssen. Eine seltsam ein-
förmige Kunst (hinsichtlich der Motive), die so eminent in den Fesseln der Religion und ganz be-
herrscht von den Vorurteilen der gläubigen Generationen, nur der Fortpflanzung dieser Typik
dient. Treffen unsere Beobachtungen zu, daß die Terrakotten die Bronze- und Fayencefigürchen
der vorgriechischen Zeit abgelöst haben, so verstehen wir, wie überhaupt die Massenware solche
Verbreitung gefunden hat. Und doch genügt das nicht. Denn wir müßten uns jeweils an dem
Hauptkultort eines Gottes eine Töpferei denken, die es nur darauf ablegt, das Hauptbild zu ko-
pieren und es in den verschiedensten Größen und Stoffen in die Welt hinauszusenden. Das wird
!) Im Land des Papiers ist das kaum anders zu denken. Unter den Papyri des Berliner Museums (I. N. 5004, 7766,
9922—27, 13275) sind einige Stücke mit farbigen Zeichnungen, Ornamenten, auch ein Dionysos mit Panther. G. Plaumann
hat mich im Gespräch auf sie aufmerksam gemacht. Sie sind spät, es scheinen mir aber Fetzen aus Musterbüchern für
Webereien zu sein, wie wir sie oft in der koptischen Kunst sehen. Herr W. Schubart hat sie, worauf er mich noch hinweist,
in den amtlichen Berichten XXX (1908/9) 294 ff. ebenfalls als „aus Vorlagebüchern stammend" behandelt.
 
Annotationen