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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 1
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Schäfer, Wilhelm: Kriegsbilder von Wilhelm Schreuer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0011

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Kriegöbilder von Wilhelm Schreuer.

wir diesen Krieg als einen Zusammenbruch der europäischen Kulturgemeinschast oder als die
) ^ Grundlage einer neuen Zivilisation betrachten, ob wir ihn mit den Frommen ein Weltgericht
oder mit dem französischen Spötter den Kampf der Raubtiere und Nager um die Futterplätze
nenncn, ob wir ihn grausam oder besreiend finden: er ift mit der ungeheuren Laft seiner Eindrücke
in unser Leben gefallcn und steht alö die Seelenaufgabe da, mit der unser Gefühl, unser Verstand,
unser LebenSmut fertig werden müsscn. Hicrbei geht es der einzelncn Seele nicht anderö als mit
sonst einem tiefcn ErlebniS: sie übt den Schmerz so lange, bis er ihr gelä'ufig ist, bis ihr Trotz die
Fingcrübungen seiner Schrccken, seiner Verbitrerung und Trauer durchgespielt hat. Wer unsere Öffent-
lichkeit, namcntlich in den Großstädten, mit ihren Vergnügungen ansicht, muß sogar eine erstaunliche
Geläufigkeit bemerken; daö selbe Ereignis, das unser Volk bis in die Tiefen erschütterte, ist faft schon
Alltag geworden, darin die fröhlich humpelnden Verwundeten in den Straßen wie cine Selbstverständ-
lichkeit kaum noch an den ungehcuren Vorgang erinnern.

Es hat keinen Zweck, über solchen Leichtsinn zu moralisieren, er ftellt schließlich die robusteste
Form der Lebenskraft dar, mit der unser Volkskörpcr die Erschütterung dieses ExiftenzkampfeS über-
steht. Grabeöruhe in den Straßen wäre jedenfalls cin böseres Zeichen, und ohne das selbstsichere
Vertrauen auf unser Hcer, auf unsere wirtschaftliche Kraft ginge unser öffentlichcs Leben kaum so
ungestört. Schließlich kann keine einzelne dieser Millionen Seelen auS ihrer Haut, jede wird mit dem
ErlebniS auf ihre Art sertig: wer vorher ein Hans Damps in allen Gaffen war, ist es nachher
— wenn auch gedämpft — immer noch, und auS einem Schoppenftccher wird über Nacht kein Held;
wem sonft jede Gelegenheit recht war, ein Geschäft zu machen, der versäumt auch diese nicht; und
wer den Lauf der Ereigniffe mit schlechtcn Witzen oder dilcttantischen Reimen zu belegen gewöhnt
war, bleibt auch jetzt in seiner Gcwohnhcit — waö wir beides leider erfahren müssen. Schließlich
ist eS bei den Kämpsern draußen nicht anders; was wir aus dem Lcben in den Schützengräben hören,
zeigt einc unverwüstliche Ärt, sich durch den überall dabei sitzenden Tod nicht ftören zu laffen und mit
den Strapazen und Entbehrungen ebenso fertig zu werden wie mit den Täglichkeiten zuhause. Dic
Offenbarungen von Tapferkeit, Opfermut und grenzcnloser Hingabe erleiden dadurch keine Einbuße;
im Gegenteil, die Selbstvcrständlichkeit, mit der sie auf diesem LebenSgrund stehen, beweist ihre Un-
gebrochenheit.

Stärker alö andereö zeigt die Kunst diese Unbckümmerthcit deS LcbenögefühlS: Wilhelm Stein-
hausen wird in diesen Tagen seine Taunuslandschaften u»d Kompositionen auS keiner anderen religiösen
Ergriffenheit malen als sonst; die witzigen Federn im Simplizissimus haben nur dcn Gegenstand, nicht
ihre Art geändcrt, und Th. Th. Heine glossiert dcn russischen Bären mit dem gleichen Hohn wic
früher den deutschen Spießbürger, Angelo Iank läßt unentwegt seine Reiter galoppieren und die
Kubisten versuchen ihrc Künste an Soldatcn. Namhafte Künstler und KriegSzeichner sind unterwegö,
die „kriegerischen Ereignisse bildlich festzuhaltcn", und die Seele keineö einzigcn scheint Anstoß an den
Leichen zu nehmen, die bei dieser Bewegung der Massen am Boden liegen. Jm Gegcnteil, dieser
Anlaß erhöht sichtlich ihre Lust, und niemand wird behaupten wollen, daß vaterländische Empft'ndungen
ihren Stift oder Pinsel sührten. Sie sind gleichsam die Augen, mit denen unser Volkökörper daö
äußere Bild der KriegSereignisse festhält, und ob Grausiges oder HeitereS auf ihre Blättcr kommt,
die Lust der sinnlichen Wahrnehmung ift daö Stärkste darin.

Wer daran zweifelt, nehme die hier abgcbildetcn Blätter von Wilhelm Schrcuer zur Hand, die
in der Anschauung deS westlichen KriegSschauplatzeS entstanden; ob eö sich um den grausigen Straßen-
kampf in Löwen, um die Festnahme der Franktircurs in Mouland, um Attacken oder Szenen aus dcm
Schützengraben handelt: man sieht, wie die Gier der Anschauung und die Lust der Bildkraft dic Wahr-
nehmungen der Augen geftalten, man sieht die unbekümmerte Sinnenfreude an dcm wirbelnden Leben,
fühlt auch eine herzliche Neigung zu diesen tapferen deutschen Iungen — abcr ob der Pinsel nicht
auch einen Kampf der Engländer und Franzosen unter sich mit der gleichen Lcbhaftigkeit aufgegriffen hätte?

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