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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 5
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Coellen, Ludwig: Geschichtliche Gebundenheit und zeitlose Gültigkeit des Kunstwerkes: ein Gespräch
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Oswald, Josef: Zur Poesie Heidelbergs
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0186

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Geschichtliche Gebundenheit und zeitlose Gültigkeit des Kunstwerkes.

schatzen es daher nicht. Suchen wir den Grund, so
werden wir jedesmal finden, daß die Form dem Gegen-
stand, dem Jnhalt, irgendwie äußerlich geblieben ist,
daß der Jnhalt nicht in die Form aufgeht. Also ware
das Maß eine Harmonie von Form und Jnhalt; nein
mehr: ein völliges Eingehen und Verwandeln des Jn-
haltes in die Form. Der Jnhalt selber, der außer-
künstlerische, muß ganz Form geworden sein, damit wir
von Maß sprechen können. Nicht Jnhalt und Form gibt
es im echten Kunstwerk, sondern nur reine Form als
aufgehobenen Jnhalt. Dann aber ist das Maß nur
dieser besondere Verhaltnisbegriff, der allerdings die
künstlerische Forderung an und für sich bedeutet.

Jhre Frage ist nun leicht gelöst. Nicht an dem Maße
zeigt sich die geschichtliche Gebundenheit der Kunst,
sondern an der Form. Das Maß ist die allgemeine
Forderung, die sich aber an einer unendlichen Mannig-
faltigkeit von Formen vollziehen kann. Auch das Form-
gesetz der Kunst ist ein allgemeines, es laßt sich in einem
allgemeinen Begriff aussprechen; aber es hat seine
Wirklichkeit nur an der Fülle der konkreten Formen.
Was wir Stil nennen, und was bei einem bestimmten
Stil dessen einzelne Phasen bildet, das ist die eigentliche
Erscheinung der geschichtlichen Gebundenheit der Kunst.

Und nun, lieber Freund, möchte ich Sie noch auf
Eines hinweisen, das mir fast das Wichtigste an unserem
Problem bedeuten will. Wir haben nur von vergangener
Kunst gesprochen; aber daß meine Auffassung der
Gegenwartkunst zu ihrem Rechte verhilft, das ist ihr
bester Wert. Nur in der Kunst der Gegenwart vermag
sich der Sinn unseres ästhetischen Strebens ganz zu er-
füllen. Wenn in Wahrheit die Kunst das Mittel ist zur
Verwirklichung unserer Geistespflicht, so ist es vor allem
und ganz diejenige unserer Tage. Jch möchte sagen, alle
Vergangenheitskunst ist Besitz und Genuß, aber die
Gegenwartkunst ist ethische Aufgabe, ist Streben in der
Sphäre unseres geistigen Sollens. Wer dies einsieht,
wird nicht die Kunst seiner Aeit verurteilen und be-
kämpfen, weil ihm vergangene Formen als das Richtige
vorschweben; er wird sich mühen, zu verstehen, was aus
dem Schoße des Weltgeistes geboren wird und als ein
Neues auch neues Begreifen fordert. Vielleicht prüfen
Sie nun doch noch einmal Jhr Urteil über die letzten
Ereignisse unserer bildenden Kunst.

ur Poesie Heidelbergs.

Es ist der überraschende Einklang von Landschaft,
Leben und Denkmälern, wodurch Heidelberg so
poetisch zu unserer Empfindung spricht. Dazu der
Aauber der Dichtung von alters her. Jch rühm' dich,
Heidelberg — sang vor einem halben Jahrtausend
der Tiroler Oswald von Wolkenstein. Jn den unheil-
schwangeren Tagen des beginnenden Dreißigjährigen
Krieges wurde es für Martin Opitz aus Bunzlau die
Wiege seines Ruhmes. Oft erwahnt er es in seinen
Gedichten, insbesondere scheint der Wolfsbrunnen ihm
eine liebe Erinnerung gewesen zu sein. Doch den
ganzen Jnhalt von Heidelbergs Poesie hat erst die
neuere Dichtung erschlossen. Denkt man heute an die
Stadt, so belebt sich das Gedachtnis mit klangvollen

Namen — wie in einen schimmernden Lichtkreis sieht
das Auge der Phantasie.

Aus dem Reichtum der poetischen Bestandteile
hebt die dichterische Jndividualität gern eine Einzelheit
lyrisch, episch oder auf sonst eine Art, gleich einer Haupt-
stimme, hervor, indes jenes reizende Ausammenspiel
höchstens als gedämpfte Begleitung mitwirkt. Wichtiger
für die zusammenfassende Betrachtung sind Schöpfungen,
die einen vollen Refler bieten. Awei kommen aus der
Aeit der Klassik in Betracht: die Goethesche Schilderung
in der Schweizerreise von 1797 und das Gedicht auf
Heidelberg von Hölderlin (1801). Sie sind verwandten
Geistes. Wenn Goethe von der Stadt in ihrer Lage und
Umgebung sagt, sie habe „etwas Jdeales", so nennt sie
Hölderlin „der Vaterlandsstädte ländlich schönste", deren
Sohn er sein möchte. Jn ihrer der Antike befreundeten
Auffassung werten beide die Natur nach ihren Kultur-
beziehungen. Daher fällt ihr Blick vor allem auf die
Brücke. Nach Goethes Urteil zeigt sie, von einem ge-
wissen Punkte aus gesehen, sich „in einer Schönheit,
wie vielleicht keine Brücke der Welt". Dem Lyriker ent-
lockt sie das anmutigste Bild:

Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,

schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,

leicht und kräftig die Brücke,

dis von Wagen und Menschen tönt.

Eine freie Nachzeichnung findet sich in einem Briefe
Hebbels aus Heidelberg (Juli 1836). Es heißt da: „Eine
Brücke, schlank, wie der Bogen, den eine Schwalbe im
Fliegen beschreibt . . ."

Dem eigentlichen Prachtstück der Heidelberger Land-
schaft wird der Elegiker vollkommen gerecht. Jn seinem
Hymnenstil spricht er von der „gigantischen schicksals-
kundigen Burg", von dem „alternden Riesenbild",
und vergißt auch nicht die ewige Sonne, die es ver-
jüngt, den umgrünenden Efeu und die freundlichen
Wälder. Goethe berichtet nur kurz und sachlich: „Über
dem Tore steht das alte verfallene Schloß in seinen
großen und ernsten Halbruinen." Augenscheinlich deutet
der Lakonismus ein baukünstlerisches Jnteresse an, das
damals andern Sympathien folgte. Doch bevor wir
darauf eingehen, wollen wir den Eindruck des Heidel-
berger Schlosses als Ruine an ein paar weit auseinander-
liegenden Gedichten, gewissermaßen entwicklungsge-
schichtlich, darlegen.

Jn der Blütezeit der Sentimentalität erschien das
prachtvolle Getrümmer so gut wie reizlos. Die Wehmut,
die es weckte, legte sich wie ein Nebel darüber, das Bau-
lich-Besondere, das Geschichtlich-Bestimmte, sogar den
Namen verschleiernd. Wüßte man nicht, daß Matthisson
seine berühmte „Elegie in den Ruinen eines alten Berg-
schlosses" zu Heidelberg, also wohl auch im Hinblick auf
das dortige Schloß, geschrieben hat — aus seinen Versen
könnte man es nicht erkennen. Dagegen zeigte sich in der
wilderen, von kräftigeren Begabungen beliebten, welt-
schmerzlichen Beleuchtung der Gegenstand solcher Kläg-
lichkeit trotzig zum Sinnbild erhoben. „Der Aeit steinern
stilles Hohngelächter" nennt Nikolaus Lenau die Heidel-
berger Ruine in dem gleichnamigen Gedichte, worin er
mitten im Lenz überall den Tod sieht. Voll Bitterkeit
läßt er sie hinabwinken auf das bunte Leben am Fluß,

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