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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 7
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Becker, Wilhelm Josef: Ein Plan zu einem Blücherdenkmal auf der Rheinpfalz bei Caub vor 100 Jahren
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Walser, Robert: Pauli und Fluri
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0265

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Ein Plan zu einem Blücherdenkmal vor 100 Iahren.

Soweit Catel. Seine Jdee gelangte jedoch nicht zur
Ausführung. Mag man sein zu großes Feuer, seine
Phantasie, seine Überspannung, sein erzentrisches Wesen
tadeln wollen, mag man wissen, daß er durch die daraus
ihm erwachsenen bestandigen Widersprüche und Kran-
kungen, die ihn zu mancherlei erbitterten Fehden zwan-
gen, als Geisteskranker gestorben ist — seine Jdee dürfte
doch als genial erscheinen. Freilich steht heute Blücher
in Erz, nicht als Kolossalstatue, in seiner jedem bekannten
Wirklichkeit am Cauber Ufer, und auch für Catel müßte
es unzweifelhaft sein, daß der „Feind", der aus dem
„erzenen" Blücher „Kanonen gießen" wollte, nie und
nimmer kommen wird. W. Josef Becker.

Nachschrist der Redaktion.

Als ein warnendes Beispiel sinnloser Denkmalswut
sei diese Jdee Catels unsern Lesern unterbreitet. Jeder

Einzelne, der das Juwel der Rheinpfalz kennt, wird
heute die Gefahr ermessen, die damals dem ehrwürdigen
und wundervollen Bauwerk durch die Überspanntheit
eines Phantasten drohte; denn diese „Jdee" als gcnial
bezeichnen, heißt doch wohl der landlaufigen Vorstellung
vom Genie als einem Halbverrückten zuviel nachgeben.
Auch die Beziehung aus das Bismarckdenkmal mag
uns anders zu denken geben, als der Überlieferer meint:
freilich hat die Kolossalstatue des Reichsgründers bei
den Beratungen eine fragwürdige Rolle gespielt; aber
ob nicht in unseren Tagen manchem doch ein Licht
aufgegangen ist, ein wieviel besseres Symbol es war,
im alten Dolmenrund Jung-Siegfried aufzustellen, sein
selbstgeschmiedetes Schwert prüfend, als die Kolossal-
statue im Tempel?

auli und Fluri.

Von Robert Walser.

Jch sah, wie er die Welt mißverstand, ich sah, wie sie ihn
quälten, wie sie ihm ünmer mehr Schaden zusügten, die Bösen.
O die Schurken, die Spitzbuben. Wenn sie einen armen Wehr-
losen sehen, müssen sie über ihn herfallen; wenn sie einenSchwachen,
einen Schwankenden sehen, müssen sie ihn peinigen, noch mehr
schwächen und ganz dem Armen allcs Vertrauen zu sich selber
rauben. Jch sah das, und ich sah noch mehr als das. Es war ein
abscheuliches Schauspiel, ein marternder Anblick, ein häßliches, ent-
setzliches Theater. Die ganze Abscheulichkeit und Grausamkeit der
Menschen, dieser Bestien im Kleidc der Gebildctheit, lag in ihrer
Schamlosigkeit, in ihrer widerlichen Unverkennbarkeit vor meinen
Augen. Wo eins eine Schwäche, einen Mangel, eine Armut zeigt,
weidet sich sogleich ein Rudej Unmenschen an des Mitmenschen
Blöße. „Unholde!" hätte ich laut schreien mögen. Doch das Sonder-
bare war: ich konnte weder etwas sagen zu all dem Unrecht, noch
vermochte ich mich auf irgendeine Art zu bewegen. Gefesselt lag
oder stand ich da, und hieraus geht für mich deutlich hervor, daß ich
„das alles" im Traume sah. — Jch schlief und sah im Schlas all
das Iämmerliche und Klägliche. Jch mußte mit ansehen, wie die
bösartige Sippschaft, genannt zivilisierte Menschen, den armen
Pauli, meinen lieben Kameraden, stichelte und quälte, und er, der
Gute, der Unkluge, meinte in seiner Verblendung und Vertrauens-
seligkeit, in seiner Menschenfreundlichkeit und weichen, schranken-
losen Güte, daß die Qual, die er litt, von ganz wo anders her-
komme als von denen, die er edel, fein und rechtschaffen glaubte.
Er sah die Ursache seines Wehes nicht. Deutlich, mit haarscharfer
Deutlichkeit sah ich, daß Pauli keineswegs sah, wer ihn biß und
schlug. — Jch aber sah's um so besser. O da hätte ich mit der Faust
des Gesindels Leben zerschmettern, die Welt zerschlagen, dieses
ganze elende, grausame Leben zerstücken und in einen Abgrund
schleudern mögen. Mein §orn über die Unflätigen, die zu Sechs
oder Acht oder Neun den armen Cinen beunruhigten, und mein
Schmerz über den Mißhandelten kannten keine Grenzen. Doch
gebunden war ich, nicht rühren konnte ich mich, und nichts vermochte
ich zu tun zugunsten des bedauernswerten lieben Kameraden, der
da meinte, er befinde sich im Freundeskreis, wo er umzingelt war
von ausgemachten Schurken, der da meinte, wie gut man es mit
ihm meine, wo sie es alle nur schlecht mit ihm meinten, der da
meinte, wie sie ihn zu fördern und aufzumuntern wünschten, wo
sie alle nur sein Verderben, sein Unglück und seinen Untergang in
den Augen hatten. Wo sie ihm schmeichelten, da versehten sie ihm
zugleich hinterrücks Hiebe, und wo sie taten, als versuchten sie ihn
zu unterstützen, fügten sie ihm auf heimtückische Art Verlehung über
Verletzung bei. Entsetzlich, entsehlich! Der arme, betrogene Gute!
der Leichtgläubige, der edle, liebcnswürdige Vertrauliche! Es sah
aus, als haßten sie ihn besonders darum mit so grimmigem Haß,
weil sie ihn so gut, so arglos, so harmlos sahen. Weil er sie liebte,
peinigten sie ihn; weil er sich ihnen so offen anvertraute, versetzten
sie ihm Stiche, daß ihm das Blut aus zahlreichen jammervollen

Wunden floß. Und ich, ich mußte das alles sehen und konnte mich
nicht bewegen. Das war für mich ein quälender, ein wahrhaft
quälender Zustand. Tausendmal hätte ich Pauli zurufen mögen,
er solle doch seine Augen endlich, endlich öffnen und sehen, wer ihn
in all das Üngemach stürze. Er solle sich doch wehren und es nicht
dulden und sich nicht so grausam behandeln lassen. Aber Stimme
und Zunge waren mir wie abgestorben, ich brachte kein Wort
hervor. Jn der Derzweiflung über Paulis Schmach und Schmerz
und über meine Unfähigkeit, ihm zu helfen, ihn aus der schrecklichen
Peiniger Hände zu befreien, erwachte ich. Jch schrie laut auf und
sprang aus dem Bett. „Jch habe geträumt," murmelte ich für
mich selber.

Jch faßte mich, suchte meine verwilderten Gedanken zu ordnen,
zu besänftigen, zu sammeln, kleidete mich an, bürstete, säuberte und
kämmte mich, veriieß mein Zimmer und eilte zum reichen und
mächtigen Fluri, mit dem ich augenscheinlich irgend etwas Geschäft-
liches zu verhandeln hatte. Reicher Leute prachtstrotzcnde Häuser
zu betreten, verursacht von vornherein ein gelindes Unbehagen,
eine Art mildes Entsetzen. Ich vermochte einen gewissen Greuel
nicht zu unterdrücken und nicht gänzlich Herr über einen mir aus
der Brust emporsteigenden stillen Aorn zu werden, als ich an Fluris
eleganter Türe klopfte. Das Treppenhaus war von ausgesuchter
Pracht. Jn den Dorzimmern, zu denen ich Zutritt gewonnen hatte,
liefen geschäftige Bediente mit staunenswürdiger Geschicklichkeit und
Behendigkeit hin und her. Jch war dieses Bild schon von früher
her gewohnt, aber es bannte mich auch diesmal wieder. Ein Beben,
ein Derzagen, ein Iittern und zugleich eine seltsame unwcigerliche
sittliche Entrüstung erfaßt dich im tiefsten Herzen, wenn du siehst,
mit was für einem sinnverwirrenden Pomp sich die Mächtigen um-
geben, um von Beginn an alles Gerechtigkeitsempfinden zu dämpfen
und allen natürlichen Menschenstolz niederzuschlagen. Beängstigend
sind die Gebärden sowohl als die Dekorationen der Reichen. Jch
stand bescheiden da und wartete, während ich mich beim bedeutenden
und einflußreichen Mann hatte anmelden lassen. Manch einer ist
froh und kommt dir freundüch entgegen, wenn du zu ihm hingehst.
Zu Fluri hin drängten sich immer zehn, zwanzig Notdürftige, und
daher muß man sich nicht wundern, wenn er sich über das Kommen
der Leute durchaus nicht freute. Ich bekam endlich den Fürsten zu
sehen, der mir nachlässig die Hand darstreckte, dieselbe Hand, die er
im Laufs eines Tages Hunderten ebenso träge darstreckt. Meine
Angelegenheit war mit zwei gleichgültigen Worten erledigt.cv
Hundert Ängelegenheiten beschäftigten ja den Gewaltigen zu
gleicher Aeit. Die Großen sind nicht durch sich selbst groß, sondern
durch die andern, durch alle die, denen es ein Entzücken bereitet,
sie als groß zu erklären. Durch vieler Leutc Würdelosigkeit entsteht
diese eine überragende Ehre und Würde. Durch vieler Leute Klein-
heit und Feigheit entsteht diese auf einem Punkt aufgehäufte
Summe von Größe und durch vieler Leute Verzicht auf Macht diese
gewaltige Macht. Ohne Gehorsam ist der Befehlshaber, und ohne
Diener ist der Herr nicht möglich. Jch blieb zehn Minuten bei Fluri,
worauf ich mich verabschiedete. Er runzclte die Stirne darüber,
daß ich nicht so lang mit dem Abschied zögerte, bis es ihm beliebt
 
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