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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 10
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Oswald, Josef: Der Dichterherold des Reiches
DOI Artikel:
Fries, Heinrich de: Baukunst und Zukunft: Betrachtungen aus der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0366

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Dcr Dichterherold des Reiches.

geträumt war, rettete er sich auf den Evolutionöftand-
punkt. Lag im „Wilden, Rohen, Steifen" der Kunst-
anfänge schon der Keim zu dem reinen vollendcten
Griechenftil, warum sollten nicht die Maßlosigkeit und
das Fieber, womit der Freiheitsgcist sich gebärdct hatte,
Geburtswehen gewesen sein und die Hoffnung nicht
sprechen dürfen: „Anders wird eS werden."

Viel einfacher und elementarer machte sich dcr
nationale Gedanke in seiner politischen Jdeenwelt geltend.
Was Deutschland sein konnte, sobald es in seiner Viel-
heit eins war, hatte die Erhebung gegen Frankreich be-
wiesen. Wie ohnmächtig cö seitdem wieder alö loses
Staatenbündel inmitten festgefügter Machtgruppen lag,
lehrte jeder neue Tag. Einst aus dem Drachenfelö hatte
er das erste GlaS dem deutschen Volke, „dem Einen,
großen, wundervollen" gebracht und hinzugefügt: „Was
kümmertS mich, auf Stein und Holz, wie deiner Wappen
Farben streiten." Jmmer sehnsüchtiger klang es so aus
seinem Munde: Seid einö! — Halte die Hoffnung feft!
Der Morgen kommt, „der bei klingendem Schwerter-
streich im zerstückelten Vaterland neuaufrichtet das deutsche
Reich!" — „Wann doch, wann erscheint der Meister,
der, o Deutschland, dich erbaut?" Dabei stand ihm klar
vor Augen, wie der Bau müffe beschaffen sein: „Eins
nach außen, schwertgewaltig um ein hoch Panier geschart!
Jnnen reich und vielgestaltig, jeder Stamm nach seiner
Art." Diese Einheit der Mannigsaltigkeit konnte nur in
einer lebendigen Person gipfeln. Deutschland sollte wieder
seinen Kaiscr haben. „Sein gefürstet Banner trage jeder
Stamm, wie ers erkor, aber über alle rage stolzentsaltet
eins empor, hoch, im Schmuck der Eichenreiser, wall es
vor dem deutschen Kaiser." Einheit und Kaisertum —
sein vaterländisches Lieben, Hoffen und Sehnen drehte
sich um diese Achse.

So erwies sich der Dichter, wie man bemerkt hat,
in jener antiken Doppelbedeutung, die Sänger und Seher
identifiziert. Sehertum ist Geschichtssinn, der in die Iu-
kunst schaut. Über ein Volk, so uneinö und unruhig
mit Singen und Sagen seme Spaltung kündend wie
das deutsche in den vierziger Jahren, mußte eineö Tages
die Macht einer starken Persönlichkeit Herr werden, sei
es, wie Strachwitz weissagte, ein Bonaparte, oder wie
der glücklichere Geibel voraussah, ein „Nibelungenenkel".
Heldentum und Kampf bedingen einander, daher der
friedfertige Poet in einem andern Sonett forderte:
„Krieg! Krieg! Gebt einen Krieg uns sür den Hader,
der uns das Mark versenget im Gebein."

Als die unvermeidlichen Kriege kamen, klang ein
voller Erzton von den Saiten des Troubadours. Das
war nicht mehr die seierliche, einem Choral angepaßte
Weise seines Türmerliedeö, das er in Athen angesiimmt
kurz vor der kritischen Stunde, die doch kein anderes
Waffenkreuzen gebracht hatte als das Liederduell zwischen
NiklaS Becker und Alsred de Muffet. 1846 hob seine
Kriegslyrik an mit dem schncidigen Kehrrcim: „Wir
wollen keine Dänen sein, wir wollen Deutsche bleiben."
Mit den wahrhaft siegreichen Feldzügen unter dem
heroischen Staatsmann wuchs das Feuer seiner Gesänge,
bis den alternden Dichter die Erfüllung seines ewigen
Traumes aus jene Höhe der Begeisterung hob, lodernd
in dem prächtigen: „Nun laßt die Glocken von Turm

zu Turm durchs Land frohlocken im Jubelsturm!"
Heute, da die deutsche Einheitskraft ihre größte Probe
besteht, indes Europa zum Schauplatze des ungeheuersten
KriegeS ward, ziemt die Erinnerung, daß auch dieses
Drama unter den Gesichten des Poeten war. Schon
anläßlich deS Londoner Protokolls von 1852, namentlich
1859 in dem prophctischen, die „Läuterungsglut des
Weltenbrandes" verheißenden Trostlied an Deutschland:

Wenn verbündet Ost und West
wider dicb zum Schwerte faffc»,
wisse, daß dich Gott nicht läßt,
so du nicht dich selbst verlaffen.

Ioses Oswald.

aukunst und Zukunst.

Betrachtungen aus der Gegenwart.

Der Beginn des großen Krieges schloß vorzeitig die
Pforten der Ausftellung des Werkbundes zu Köln.
Diese große, mit viel Umsicht und Fleiß geschaffene
Heerschau deö Werkbundes sollte eine Übersicht geben
über den gegenwürtigen Stand der Entwicklung der
Wcrkkunst, insbesondere der Architektur, die durch Zahl
und Art der Gebäude den Charakter der Ausstellung
naturgemäß bestimmte. Unter den Künstlern, in dcren
Hand die Aufgaben lagen, die diese Ausstellung zu
einem höchft eindrucksvollen Dokument der Baukunst
dcr Gegenwart stempeln sollten, warcn zahlreiche Führer
und anerkannte Größen der modernen kunstgewerblichen
Bewegung vertreten. Dennoch wurden die Erwartungen
derer enttäuscht, die in diesen Bauwerken Zeugnisse des
Fortschrittes, Symbole einer lebendigen modernen Welt-
und Kunstanschauung zu finden hofften. Jm Gegenteil
schienen die Besorgnisse zur Gewißheit zu werden, die
von früheren Aussiellungen schon greifbare Gestalt ge-
wonnen hatten, daß nämlich das Ringen um die Auf-
gaben und Probleme der neuen Baukunst sich seinem
Ende nähere, daß nicht nur ein Ausruhcn aus dem Er-
worbenen Platz gegriffen habe, sondern daß sogar in
ftillcr Resignation eine sehr intensive Rückkehr und Hin-
neigung zum Hiftorismus Tatsache geworden war, gar
nicht zu reden vom dauernden Kopieren wertvollerer
Gegenwartslcistungen. So wurde die Ausstellung, die
den höchftcn Stand, einen Sieg in der modernen Be-
wegung der Werkkunst zu dokumentieren vorgab, in
Wahrheit soweit sie die Architektur betraf, zu einem
bedrohlichen Symbol der Müdigkeit, deö Kompromisses,
kurz gesagt dcr künstlerischen Unfruchtbarkeit und Un-
fähigkeit. Wir würden zu weit gehen, würden wir über
alle Bauten der Ausstellung das gleiche Urteil fällen.
Es war sicherlich mancheö ehrlich Gewollteö und Wert-
volles zu sinden, oft sogar noch teilweise in den Ar-
beiten, die am siärksten jene Resignation und die Um-
kehr zum HistorismuS verkörpertcn.

Zudem war diese Schau des Werkbundes auch nicht
als der Ausdruck des gesamten StandeS der Architektur
in Deutschland anzusehen. Denn wäre sie dieses in
Wahrheit, so müßte man den zahlreichen Stimmen recht
geben, die das nahe Ende der modernen Baukunsi-
bewegung verkünden zu müffen mcinten. Und doch ist
 
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