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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 10
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Fries, Heinrich de: Baukunst und Zukunft: Betrachtungen aus der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0367

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Baukunst und Zukunft.

der archltektonische Ausdruck der Auöftellung gerade in-
folge der Schöpfungcn der auch vom Laienpublikum
gekannten und geachtcten Führer der modernen kunft-
gcwerblichen Bewegung für eben dicse Bewegung so be-
drohlich, daß es notwendig erscheint, die Ursachen dicser
Erscheinung zu ergründen, das Woher und Wohin in
Klarheit zu ersassen. Denn es ist ja nicht diese Aus-
stellung allein, es ist die ernsthafte bedrohliche Richtung
der gesamten Entwicklung der Baukunft in den lctzten
Iahren, die sich hier aufs stärkfte maniscstiert.

Blickcn wir einmal cin Jahrzehnt rückwärts und
vergleichcn wir nicht die künstlcrische Ausdrucksform zu-
nächst, sondern den Grad der innerlichcn Lebendigkeit
und Leidenschastlichkeit im Ringen um die neue Form
mit den glcichen Regungen der Gegenwart, so wird
ein starker Gegensatz zur Gewißheit. Und überblicken
wir die Resultate von einst und jetzt, so müssen wir
gestehen, daß die neuen Werte des letzten Jahrzehntö
gering crscheiuen im Verglcich mit dem, was z. B. I9O6
vorhanden war. Nicht nur, daß die Jntensität und
innere Leidenschaftlichkeit, das ganze starke Lebenskräftige
und Schaffensdurftige dcr damaligen Bewegung im Ab-
flauen bcgriffen erschcint, daß Müdigkeit und Stillstand
zu treten scheinen an Stclle immcr wachen Willens und
Ringens jencr Jahre, nein nicht nur dies, sondern es
scheint sast, als wäre dcr Weg salsch gewesen, alle
Kämpse, alle Erfolge umsonst, als habe der Kern dieser
im Anfange so überaus intensiven Bewegung zur neuen
Bauform sich in der reifenden Frucht als trügerisch und
lebensunfähig erwiescn. Gewiß, wir haben neue Formen
gefundeu, da wo dieses Finden uns aufgezwungen wurde,
einfach weil es in der Vergangenheit keine Vorbilder
gab, an die sich zu halten so leicht und bequcm gewesen
wäre. Aufgaben, die so absolut modern waren, daß eö
in der Tradition keine Beispicle gab, erzwangen eine
Auscinandcrsetzung mit ihnen. So sind wir besonders
in der technischen und künftlerischen Lösung industrieller
und sanitärer Bautcn allcr Arten zu einem Resultat
gelangt, dem alles Recht auf eine hohe Wcrtung zu-
gestandcn sei. Aber eben dort, wo die Umstände nicht
zwingend waren, wo eö dem Wollen und dcr Entschei-
dung des Schaffendcn überlassen blieb, wo es sich er-
weisen sollte, daß eine neue Zeit im Bewußtsein ihres
inneren KontrafteS zur Vergangenheit und ihres eigenen
WerteS in der Gegenwart jede Aufgabe, jede Form vor-
aussetzungslos neu durchlcben, aus eigenem Gciste und
Empfinden neu schaffen wollte, da ergab es sich, daß
dieser Wille zur neuen Form nicht stark genug war,
um sich dcn Bequemlichkeiten der Tradition aus die
Dauer wirksam zu widersetzen. Dcnken wir z. B. an
cine der schwerstwiegenden brenncndsten Aufgaben der
Gegenwart, die Lösung des Mietsetagenhauseö in großen
und größten Städten, seine Grundrisse und seine Bau-
form in Verknüpfung mit dem Problem der Straße,
so lehren uns Wanderungen durch die Städte vor allem,
die Durchsicht der Fachblätter und der neuen Mono-
graphien über dieses Gebiet sodann, wie wenig hier ge-
schehcn ist, wieviel gerade an einem der ernsteften Pro-
blcme der Gegenwart noch zu tun übrig bleibt. Dieses
ist nur ein Beispiel. Vor allcm ein bedenkliches Synip-
tom darf nicht unerwähnt blciben. Jn allen Aufgaben

moderner Baukunst hat sich in den letzten Jahren ein
zicmlich fester Typ herausgcbildet, eine Form, die im
wescntlichen stets wiederholt wird und als feststehend
erachtet zu werden scheint. Gleichsam alö ob die Mehr-
heit der Architekten der llberzeugung sci, mit diesen
Typen eine gewiffe Grenze der Vollendung und Voll-
kommenheit erreicht zu haben, als wäre das Erreichbare
nun crrungen und alö gelte es, in Ruhe und Behag-
lichkeit die Früchte eineö Sieges zu genießen, der in
Wahrheit garnicht erfochten wurde. Mit allem Nach-
druck muß betont werden, daß von der Erreichung eineö
Endzicles in der Entwicklung der modernen Baukunst
nicht entfernt die Rede sein kann, daß im Gegenteil eS
scheint, alS habe sie sich mehr und mehr von dicsem
Ziel entsernt.

Es ift nicht zu leugnen, daß man es nach anfäng-
lichen unbefriedigcnden Versucheu uud Verirrungen zu
einer gewiffen virtuosenhaften Handbabung der Formen-
gcbung gebracht hat, und es soll keineswegs versucht wer-
den, hier ein Resultat zu unterschlagen, das zumindest als
ein bedeutendes Ieugnis ncuerworbener Feinfühligkcit
und Sicherheit des Geschmackes zu werten ist. Weit
wichtiger aber als die architektonische angenehme und reiz-
volle Gestaltung der äußercn Form erscheint ihre innere
Durchdringung, ihr intensivsteö innerliches Durchleben,
ihre seelische Schöpfung im tiefsten Sinne diese-s Be-
griffcs. Hier liegt der Kern der Frage, von dem in
Wahrheit die ganze Zukunst der Baukunst abhängt.
Hier wird das Problcm der Form zum Problem des
Schöpfers und damit nun wirklich in seinem innersten
Wesen erfaßt.

Die innerliche Leere und die nichtssagende Virtuosität
der Formengebung ift ja kein Symptom, daö besonders
für die moderne Baukunst maßgebend wäre. Die gleiche
Erscheinung prägt sich dem Empfinden des Publikums
weit eindrucksvoller in der Malerei vor allem, sodann
abcr auch in Zeichnung und Plastik aus. Denn für daö
Verftehen dieser Künste besitzt das Publikum eine weit
größere längere Schulung und Würdigung, als eS den
Leistungen der Baukunst entgegenzubringen bisher im-
stande war. Die offensichtliche Zersahrenheit, das kramps-
haste Voltigieren mit technischen Problemen selffamster
und unmöglichster Art, die maßlose llberwertung dcs
Jntellektualismus im Ersaffen künstlerischer Probleme —
dics alleS licgt uns noch zu nahe und ist noch zu klar
in unserem Bewußtsein, als daß eö hier ciner Wieder-
holung von Erscheinungen bedürfte, die von vielcn mit
tiefem Schmerz empfunden, in ihrer inneren Dünkel-
haftigkeit, Albernheit und Korruption noch immer nicht
stark gcnug bloßgeftellt worden sind, als daß man nicht
sürchten müßte, sie nach dem Kriege wieder aufleben
zu seheu. Eö war sast ein Segen für die Architcktur,
daß für sie in der Formengebung und im Empfinden
deö Publikumö andere und schwerere Bedingungcn maß-
gebend sind. Dennoch blieb auch die Baukunst nicht
srei von den Erscheinungen, die den ganzen Begriff der
Kunst so sehr verdächtigt und seine Würde so sehr ent-
wertet haben. Wcnn jcmals auö der schöpferischen Un-
fähigkeit der Sinnc und des Herzens mit Geschick ein
Programm gemacht worden ist, so charakterisiert dieser
Begriff eine bedenkliche Mehrhcit der Produkte der Bau-

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