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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 10
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Fries, Heinrich de: Baukunst und Zukunft: Betrachtungen aus der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0368

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Baukunst und Zukunft.

kunft in ihrer letzten Entwicklung. Alles sehr gut, sehr
geschickt, sehr tüchtig und voller technischer Virtuosität;
alles sehr hohl, sehr leer, nichtssagend und dem ein-
fühlenden Empfinden gegenüber von quälender Stumpf-
heit — das ist das Signum einer Epoche, die uns nur
zu der einen lebendigen Überzeugung verholfen hat, daß
es so nicht weitergehen kann. Auch hier trifft die Frage
nach der Iukunft der Baukunst wieder auf das Problem
des SchöpferS. Es sei daher versucht, kurz darzulegen,
wie sehr geradc iin gegcnwärtigen Augenblick der Per-
sönlichkeitswert deS Künstlers von entscheidender Be-
deutung sein muß für jede weitere Entwicklung.

Der erste Anlauf in Richtung der modernen Bau-
form basierte aus dem Begriff und dem Problem der
Linie. Er mußte, weil eindimensional und somit dem
eigentlichen Wesen der Baukunst am fernsten und ain
wenigsten genügend, im Jugendstil ein schnelles Ende
erreichen, da er einer weiteren Entwicklung nach Er-
schöpfung der linearen Möglichkeiten nicht mehr fähig
war. Nach ciner ratlosen Iwischenzeit ging der zweite
Anstoß von der Erkenntnis aus, daß die Fläche eine
unerläßliche Vorbedingung der Linie sei. So erklärt sich
der große Einfluß der Malerei und ihrer Prinzipien auf
diese Periode, die zum großcn Teil Künftlern, die von
der Malerei herüberkamen, ihre bedeutende Entwicklung
zu danken hat. Der Begriff der Fläche kam naturgemäß
dem Wesen der Architektur schon wesentlich näher und
es ist unbeftreitbar, daß aus deni Wege dcr künstlerischen
Lösung der Fläche sehr WesentlicheS und Wertvolles er-
reicht ist, in der Hauptsache eben das, was den gegen-
wärtigenBegriffmodernerBaukunstumschließt. DieArbeit
in dieser Richtung war naturgemäß weitaus ersprießlicher
und auch von wesentlich längerer Dauer als die Jugend-
stilepoche des Linienproblems. Aber es scheint, als wäre
auch hier nichtö mehr zu lösen, als wäre dieses Problem
soweit erschöpft, daß der Stillstand und der Rückblick,
die wiederkehrende Neigung zum Historismus als Symp-
tom der eigencn Unbefriedigung nur verständlich wäre.
Was not tut, ist, den Kern der Baukunst überhaupt zu
sassen. Bau und Form sind Begriffe, die nur durch
ein räumlicheS, dreidimensionales, kurz gesagt kubischeö
Empfinden in ihrem wahren, innersten Wesen zu erfassen
sind. Und in der Tat finden wir, obwohl der Eindruck
der Resignation und deS Stillstandes unbedingt über-
wiegt, auch hier und da schon Grundlagen und Ansätze,
die den Begriff deö Raumes und der Masse zu den
erften Vorauösetzungen baukünstlerischen Schaffens zu
machen scheinen. Bezeichnenderweise gerade bei einigen
Künstlern, in deren Werken sich die eben skizzierte Ent-
wicklung deutlich widerspiegelt, als der stärkste Beweis
eines ungebrochenen schöpserischen Willens in der Gegen-
wart. So lassen, um nur ein Beispicl zu nenncn, in
diesem Sinn die neueren Arbciten von Albin Müllcr
in Darnistadt noch wertvolle Leistungen in der Iukunft
erhoffen.

Es ist ein ganz eigenartiges Moment in der gcsamten
Baukunstbewegung, daß sie ihren Ausgang von einem
untergeordneten Prinzip ihrer selbst, dem Kunstgewerbe
nahm, und daß die Folge dieser Entwicklung vom
schwächsten Begriff der Linie über die Fläche hinweg
erst zur Masse führte. Hierin licgen auch die großen

Hemmungen und Nöte der Entwicklung bedingt, denn
der Aufstieg setzt ein immer stärkeres Einsetzen deö Emp-
findungsvermögenö und dcr Schöpferkraft voraus. Es
ist keine starke Woge, die sich hier zersließend vollendet,
sondern eine kleine Welle, die auf ihrem Wege an Form
und Gehalt immer mehr wachsen muß, wenn sie ihre
Vollendung crreichen witl. Iudem bindet die Abhängig-
keit und die Verknüpsung mit dem Kunstgewcrbe die
moderne Baukunst so sehr an die kunstgewerblichen
dominierenden Faktoren der Fläche und der Linie, daß
es einer ungeheuren Anstrengung bedars, um diese Ver-
bindung zu lösen und die Baukunst von neuem aus
ihre eigenen Füße zu stellen.

Im Rahmen dcr kunftgewerblichen Bewegung kann
sich die Baukunst in sich niemals vollenden. Entweder
sie wächst über die Grenzen dieser Bedingtheit hinaus,
odcr ihre Entwicklung findet auS Mangel an Kraft ein
vorzeitiges Ende. Vicl zu sehr noch ist der Begriff dcr
modernen Archireklur abhängig von der Fläche des
Zeichenpapiers und des Reißbrettes, als daß diese Me-
thode, räumliche Gebilde zu schaffen, der Ausführung
nicht deutlich anhaften würde und ihr naturgemäß ver-
derblich sein müßte. Dieser Widersinn zwischen Mittel
und Zweck muß einmal aufs stärkste betont werden,
da in ihm nicht nur eine Hemmung, sondern eine be-
denkliche Gesahr für die gesamte Entwicklung verschlossen
ist. Es ift zu einem sehr großen Teil die allzustarke
Flächenhaftigkeit, die das Publikum gegenüber den
Schöpsungen moderner Baukunst kalt läßt. Der Be-
schauer tritt an das Bauwcrk heran mit räumlich-organi-
scher Erwartung, er findet keine Einfühlungsmöglichkeit
und bleibt unbefriedigt. So wendct auch er sich zum
Klassischen zurück, das ihm durch Gewohnheit und Er-
innerung dann immer noch mehr Genugtuung gibt, ihm
mehr Befriedigung und Wärme verheißt als die allzu-
geringe Ausdrucksfähigkeit einer modernen Flächenkunst.
Und dies gilt vom Monumentalbau abwärts bis zum
Jnnenraum und zur Möbelform, die ja ganz aus-
gesprochen wieder der Vergangenheit sich nähert. Es
ist bezeichnend für die Gegenwart, daß gerade Bauten,
die einen starken, im wahren Sinne architektonischen
Ausdruck ausschließen, wie z. B. leichte, sür kurze Zeit
errichtete Ausstellungsbauten, in ihrer notwendig ge-
gebenen Flächenhaftigkeit noch mit zu den reizvollsten
Lösungen führen, eben weil sie in den Grenzen kunst-
gewerblichcr Prinzipien bleiben.

Wir haben den Weg der Entwicklung der modernen
Baukunst gezeigt, und wenn etwas sür ihre Erfüllung
sprechen mag, so ist es der Umstand, daß der um-
gekehrte Verlauf der Weg des Verfalls aller großen
Architekturepochen in der Vergangenheit gewesen ist.
Wir haben gezeigt, daß diese Entwicklung eincs immer
stärkeren Einsetzens künstlerischer Krafr bedarf, ohne die
das Iiel eine Jllusion bleiben muß. Und wiffen nun,
daß der stärkfte und in Wahrheit entscheidende Schritt
in dieser Entwicklung noch vor unö liegt.

Es hat nicht den Anschein, alS liege dieser letzte
Schritt im selbfttätigcn Verlauf der Entwicklung be-
gründet, denn wir sahen mit Schmerz die bedenklichen
Ieichen eines allgemeinen Stillstandes, einer allzusrühen
Zufriedenheit, der Resignation und der reuigen Rückkehr
 
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