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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 1
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Worringer, Wilhelm: Geschlechterkampf
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Schäfer, Lisbeth: Das Kästchen: eine Anregung des Krieges für das Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0047

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Geschlechterkanchf.

Wir werdcn nur das Necht für uns haben und die
Wahrhaftigkeit, die Frau aber die Einbildung und den
Applaus.

Damit müssen wir uns abfinden, auch mit jenen
schmerzlichsten Stunden, von denen Strindberg spricht,
in denen unter der Suggestion der unverwüstlichen weib-
lichen Gefühlstheatralik auch die besten Freunde des
Mannes sich nrit merkbarer Kühle zurückziehen und
damit Objektivität zu markieren vorgeben. Das Bild
dieses Verrats an der gemeinsamen Männlichkeit, heute
zeigen es uns jene neutralen Staaten, die doch dieselbe
moralische Sprache wie wir sprachen und doch auf
einmal so merkwürdig harthörig für uns geworden sind.
Wir wollen es ruhig aussprechen, wie uns jene sogenannte
moralische Neutralität der Schweiz, Hollands und Skan-
dinaviens schmerzt. Es ist, um es zu wiedcrholen, ein
Verrat an der gemeinsamen Männlichkeit, eine Kapi-
tulation vor der Lüge.

Man tröste uns nicht mit der historischen Gerechtig-
keit, die uns rehabilitieren werde. Jch glaube nicht an die
sogenannte historische Wahrheit. Wahr bleibt letzten
Endes nicht das, was wirklich wahr ist, sondern das, waS
von den meisten Menschen für wahr gehalten wird. Wo
keine Bereitwilligkeit zum Glauben ist, da kämpft sich
auch keine Wahrheit durch. Auch die Wahrheitsbildung
regelt sich nach den Bedingungen der Nachfrage. Und
so wird sich denn die große hysterische Lüge unserer
Feinde nach dem Gesetz des geringsten Widerstands über
den größten Teil der bewohnten Erde verbreiten und
eines Tages unantastbare historische Wahrheit geworden
sein. Mit anderen Worten, die weibliche Hysterie wird
auch nach ihrer äußercn Unschadlichniachung das letzte
Wort behalten und die glänzend inszenierte und skrupellos
bediente Weltpresse unserer Feinde wird die Genug-
tuung behalten, historische Wahrheit gemacht zu haben.
Dann werden wir erst spüren, was Ekel ist.

Aber dieser Ekel wird unS nur noch mehr zusammen-
schließen, wird uns nur noch mehr bestärken in dem Ge-
fühl der ernsten Mission unserer Männlichkeit. Nicht
um die Männlichkeit ini kraftmeierischen Sinn Handelt
es sich hier, das wisscn wir, sondern um die Männlichkeit
im Strindbergischen Sinne, d. h. um den Geist der ent-
schlossenen Sachlichkeit und um den Geist des nioralischen
Verantwortlichkeitsbewußtseins, um jenen Geist, den man
auch kurz den Geist von 1813 nennen kann. Denn das
war uns doch allen das größte Erlebnis in diesen Wochen,
daß dieses 1813 noch heute lebt. Wie rauschten die alten
Ströme wieder, die im neuen Deutschland ganz ver-
stummt schienen. Wie überraschte es uns, uns auf
einmal wieder geadelt zu sehen. Nun sind schon viele
Wochen dahin und wir haben mit dem alten Adel auch
unseren alten Stolz wieder gefunden.

Dieser Stolz wagt es, heute ohne Erröten zu sprechen
von dem dcutschen Wesen, an dem die Welt genesen soll.
Welch eine Wandlung: vor zehn Wochen wäre es uns
noch als eine Blasphemie an unserem Kulturbewußtsein
erschienen, dies einseitige Wort auszusprechen, heute
aber haben wir den Mut und das Recht zu dieseni Wort
gefunden. Das haben die zehn Wochen vermocht, in
denen die ganze Welt, von der Hysterie unserer Feinde
angesteckt, sich in einer wilden Orgie des Deutschenhasses
verbrüderte, jene zehn Wochen, in denen man unsere

nationale Anständigkeit durch den Schmutz der ganzcn
großen und kleinen Weltpresse gezogen hat, jene zehn
Wochen, in denen von den Serben bis zu den Hereros
der Schlachtruf gegen die deutsche Barbarei und Un-
kultur erscholl, kurz, jene zehn Wochen, in denen jede
Scham, jeder Anstand, jede Wahrhaftigkeit und jedes
moralische Verantwortlichkeitsgefühl zu den Hunden ge-
flohen zu sein schien. Diese schlimmen Erfahrungswochen
haben uns alle gelehrt, unseren oft lauen Patriotismus
der Gewohnheit zu einem erbitterten Patriotismus der
Uberzeugung zu machen. Nur einige bleiben unbelehrt,
nur einige glauben, noch den überlegenen Geist markieren
zu müssen, indem sie schadenfroh das Lessingschc Wort
von der heroischen Schwachheit des Patriotismus wieder-
holen. Nun, ich beneide diese Herren nicht um die un-
heroische Kraft, jetzt kühl zu bleiben.

Wilhelm Worringer.

as Kästchen.

Eine Anregung des Krieges für das
Kunsthandwerk.

Der Krieg läßt die Lebensverluste, die er bringt,
schmerzlicher fühlen, weil er die hundert Gebräuche und
Sitten, die sonst die Trauer um einen Toten begleiten,
nicht achtet, er sügt zu dcm Schmerz um den Verlorenen
noch das Gefühl der versäumten Pflicht; deshalb drängt
es doppelt danach, einen Ausdruck zu finden für die
Ehrung der Gefallenen, sür die Trauer uni sie, für die
Aeichen der Erinnerung. Die Kunst kann hier Sprache
für die Stummen schaffen, Bilder für die Beraubten,
unvergängliche Denkmäler für die Toten. Schon bemüht
man sich um Ehrenblatter, die gerahmt den Namen des
im ruhmvollen Kampfe Gefallenen tragen sollen, eine
Aufgabe für unsere Radier- und Ieichenkunst, die neu
und dankbar genug ist, die Besten zur Mitarbeit anzu-
rufen. Bildnisplastik und Grabmalkunst werden in der
nächsten Aeit auf vielfache Art den Forderungen nach
einer würdigen Ehrung genug tun können. Diesen
Dokumenten einer sichtbaren Ehrung werden dann die
Behältnisse und Geräte folgen, die bestimmt sind, teuere
Erinnerungsstücke aufzubewahren. Wer die pietätvoll
gehüteten Waffenstücke der Gefallenen aus dem Kriege
1870 noch in der Erinnerung hat, wie sie mehr komisch-
hilflos als würdig an den Wänden aufgehängt waren,
kann nur hoffen, daß wir diesmal nicht umsonst eine Aeit
hinter uns haben, die in Dingen des Geschmacks ernster
und sicherer geworden ist. Schon allein die in diesem
Kriege neue Gepflogenheit, den Hinterbliebenen das im
Kampf erworbene Eiserne Kreuz zu lassen, stellt die neue
Aufgabe, dieses Ehrenzeichen so würdig wie niöglich auf-
zubewahren, ohne die billige Symbolik der Gelegenheits-
kunst hier noch einmal üppig werden zu lassen. Es wird
auch in kurzem die Aeit kommen, da die Trauernden
mutig genug sind, die zurückgelassene Habe der Ver-
lorenen durchzusehen, es wird ein wehmütiges Kramen
in Schubfächern, Schreibtischen und Kästchen werden,
um wenigstens aus Bildern, Briefen und anderen Er-
innerungsstücken ein Bild festzuhalten, das man doppelt
wert halten wird um der Grausamkeit des Unvorbereite-
ten willen, mit der der Tote aus der Mitte seiner Lieben

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