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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 12
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Braun, Felix: Der Sternenschiffer: Legende
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0433

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er Sternenschiffer.

Legende von Felir Braun.

Wenn die Sonnenscheibe in das Meer eingesunken
war, die Wasser nachleuchteten und das befreite Licht
des Gestirns mit frohlockendem Rot, schwärmendem
Violett, lächelndem Rosa und schmelzendem Gold über
den Wolkenhimmel schweifte, inmitten der Gefilde
tiefen Silbers und strömenden Blaus; noch bevor das
Grau vom Osten nachdrängte und alle die seligen
Himmelsfarben verlöschte, bis nur Streifen dunklen
Karmins und blassen Gelbs vor dem weißen Westen
schwebten und allmählich vergingen: immer dann trat der
alte Fischer aus dem Hause und schritt in seinem schweren
Gang zum Strande. Er setzte sich auf eine Bank, die er
selbst gezimmert hatte, und sah zum Himmel auf nach
dem Orte, wo er den Abendstern erwartete. So alt er
war, hatte er kaum einen einzigen Abend seit der Kind-
heit anders begonnen. Aber niemals hatte er den Augen-
blick erhascht, in dem der Stern aus dem Himmel hervor-
tritt. Wenn er eben die Blicke für eine Weile abgewendet
hatte, war der zitternde goldene Funke schon erschienen
und leuchtete herüber wie von je.

Die Jnsel war von Fremden nur selten besucht worden.
Die ältesten Leute erinnerten sich an den Erzherzog, der
mit seinem großen Kriegsschiffe hier gelandet hatte und
durch die schönen Ölbaumhaine und Pinienwälder mit
seinen Offizieren lustwandelt war. Auch an Männer
mit seltsamen grünen, um die Schulter gehängten
Büchsen, erinnerten sich einige. Ein Taucher war
einmal hier gewesen und ins Meer hinabgelassen worden;
er sah in seinem Helme mit den Luftschläuchen daran
und in seiner schwarzen Rüstung einem der alten Götter
gleich, deren Steinbilder auch von fremden Männern
aus der Stadt Spalato ausgegraben worden waren;
doch das war länger her, als der älteste Greis Jahre
zählte. Eines der Steinbilder stand am Strande als
Wahrzeichen für die Segelboote: dies hatte der Kaiser
der Jnsel zum Danke dafür gewährt, daß sie die alten
Götter so lange in ihrem Grunde beherbergt hatte. Auf
dem Haupte des Bildwerks war eine Lampe angebracht,
die leuchtete weit ins Meer hinaus. Man sah sie, er-
zählte einer, der bei der Marine gedient hatte, noch in
Pola, schwach zwar, doch man sah sie.

Außer dem alten Fischer, der allein, ohne Weib und
Kind in seiner Hütte hauste, lebten auf der Jnsel noch
etwa fünfzig Seelen, alle Schifser und Fischfänger, alle
untereinander verschwägert. Ein Gelehrter hatte aus-
gerechnet, daß sie alle von einem einzigen Ahnherrn
stammten. Wie von göttlichem Leben erfüllt sahen
sie aus. Der scharfe Salzduft der See, die heiße
südliche Sonne und der Wind voller Blumen hatten
sie hoch und stark gemacht, die Gesichter voll, ge-
bräunt und rot, die Augen klar und strahlend. Die
Frauen erblühten und welkten früh. Jedoch die meisten
der Kinder starben in zartem Alter und die Anzahl der
Totgeburten war groß.

Sie lebten einsam, den ganzen Tag auf der See, in
ihren Booten, die mit farbigen Segeln wie große Falter
auf dem Meere schwankten; nachts schliefen sie in ihren

Hütten. Eine Kapelle stand in einem kleinen Orangen-
garten. Einer der Jhrigen war der Pfarrer, der wochen-
tags wie sie nach Fischen fahndete und Sonntags immer
dieselbe Predigt über Petri Fischzug hielt. Selten taten
sie sich zu Fröhlichkeit zusammen. Eben jener Gelehrte
meinte, weil sie so gar nichts Südländisches und Welsches
an sich hätten, sie wären Nachkommen eines Wikings,
der an dieser Jnsel gestrandet wäre und mit einer ge-
raubten Frau, unbekannten Blutes, etwa einer Nor-
mannin oder Jllyrierin, was dahinzustellen wäre, dies
Volk gezeugt hätte. Sei dem wie immer gewesen, wir
lassen die anderen ihre Geschäfte treiben und ihren
Sitten gemäß leben, steigen zum Strande und setzen
uns neben den alten Schiffer auf die Bank; das Meer
spült die Brandung leise an unsern Fuß, Muscheln
glänzen im Sande, eine tote Qualle, weißbläulich, liegt
unweit eines verkrüppeltenStrauchs; wir sehen auf, und
der Himmel ist voller Sterne wie eine riesige Abend-
stadt der Lüfte.

Der alte Mann hieß „der Sternenschiffer" bei den
anderen, wiewohl sein wirklicher Name im Kirchenbuche
durchaus anders lautete. Er hieß so, weil er nichts so
sehr wie die Sterne liebte. Als Knabe schon empfand
er diese Liebe, so daß er keinen Abend kommen ließ, ohne
zum Himmel aufzuschauen. Die Leute meinten, er
hätte kein Weib genommen, weil er die Sternenjungfrau
liebe, die in gokdenen Gewändern allnächtlich über den
Himmel schreite. Aber darüber lächelte der Alte. Er
wußte nicht, warum er alle Abende am Strande sitzen
und aufschauen mußte: er mußte es eben, sein Herz
wollte so. Er wußte auch nicht, daß die Gestirne Bilder
ergäben, er kannte nicht eines beim Namen; nur daß
sie von Golde wären, glaubte er. Nichts auf Erden sei
seliger zu erblicken, sagte er, wenn die anderen ihn danach
fragten, und seine Augen leuchteten so sehr dabei, daß
keiner über ihn hätte scherzen können.

Manchmal gesellte sich der Pfarrsischer zrüihm und
dann sprachen sie von den Sternen.

Der Pfarrfischer meinte, sie wären im Garten des
Paradieses die goldenen Früchte der blauen und weißen
Bäume, und wenn sie so zitterten, so geschähe es, weil
der himmlische Wind sie bewege. Aber manche fielen
dennoch ab und sänken ins Meer, gegen Hesperien zu.
Dann erhöben sich Hände aus den Wassern und fingen
sie auf und oft hätte er Gelächter gehört von Seemädchen,
wenn er manchmal des Nachts einsam am Strande gehe.

Der Sternenschiffer hörte zu und merkte sich alles.
Aber das Paradies dachte er sich wohl anders: Da
müßten Olbäume sein mit silbernen Blättern, Aypressen,
Aloen und Orangenbäume. Ob wohl die Sterne Orangen
wären oder Iitronenfrüchte?

Dazu wären sie zu klein, meinte der Pfarrfischer.
Eher goldene Kirschen. Sie könnten auch Blumen sein.
Gewiß: Blumen in blauem Grase.

Der Sternenschiffer fand auch dies gut, doch wußte
er, daß der Pfarrfischer um nichts mehr kundig der Welt-
dinge war als er selbst. Und dann dachte er stets, daß
alles immer irgendwie anders sein müsse. Gerne hätte
er einen gelehrten Mann gefragt. Allein die Jahre ver-
gingen, ohne daß einer kam, und wenn ein Schiffer von
den Nachbarinseln einmal landete, so wußte der auch


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