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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 6
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Kuckhoff, Henriette Marie: Von der Sonne, von Abend und Morgen, von Geburt und Tod
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0230

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on der Sonne, von Abend

und Morgen, von Geburt und Tod.

i.

Wenn die Menschen hier unten auf der Erde sagen: „Cs wird
Abend," hat die Sonne den Weg über unsere Crde vollbracht. Sie
kommt zum Gemahl, dem Herrgott, und er küßt sie auf die Stirn.
Dann sinkt sie in Schlaf auf, den Boden des Himmels, jeden Abend.
Ieden Abend, wenn sie hingesunken ist, sieht Gott sie lange an, und
während er sie ansieht, öffnet sich der Boden des Himmels; sie steht
schlafwandelnd auf und schreitet im Schlafe, von Gottes Blick ge-
leitet, auf ihren Weg über den andern Teil der Crde. Gott sieht
ihr nach, und sie wandelt im Schlaf, langsam und von Gottes Auge
geführt. — Wenn dic Menschcn hier auf der Erde sagen: „Es ist
Morgen," dann Lffnet sich wieder der Boden des Himmels, und die
im Schlafe wandelnde Sonne sinkt auf ihn und er fließt unter ihr
zusammen. Gott küßt wieder die Schlafende; sie erwacht und
fchüttelt das leuchtende Gesicht und sagt: „Mir träumte, ich wandelte
mit dir über frcmde Erde, Gott." Dann sieht Gott sie an, die Cr-
innerung des Traums schwindet, und die Sonne, hell und wach,
entschreitet zu ihrem Weg über unsere Crde. Sie wandelt über uns
jeden Tag, und jeden Abend schläft sie ein und wird von Gott im
Schlaf über die untere Crde geführt.

II.

Wenn die Sonne am Abend einschläft und schlafend entschrcitet,
und Gott ihr nachsieht, um sie zu leiten, greift seine rechte Hand nach
einer dunklen Wolke, die neben ihm liegt. Er hebt sie empor, die
fest geballt ist, und hält sie und sieht der Sonne nach, bis sie so sicher
in ihrer Bahn ist, daß kein Schwanken mehr ihr Wandeln anfallen
kann. Dann zieht er die Augen von ihr und läßt sie einmal über
die Wolke hinsehen. Und die Wolke löst sich aus seiner Hand, und
brcitet sich sinkend aus, sinkt und wird immer weiter und größer
und feiner, bis sie so fein und durchsichtig, und so weit reichend und
ohne Cnde ist wie die Luft über der Erde, nur dunkelschwarz. Und
wenn sie genau so fein ist und so weit wie die Luft und tief gesunken,
dann bleibt sie hängen, und die Menschen sagen: „Es ist Nacht." —
Doch jede Nacht lösen sich an vielen Stellen des schwarzen Schleiers
kleine FeHen ab, gerade so groß, daß sie die Augen eineS Menschen
bedecken können. Sie sinken einzeln tiefer, wenn der große Schleier
hängen bleibt; jedes Stückchen sinkt allein und schwebt tiefer und
tiefer senkrecht über den Augen des Menschen, der gerade unter
ihm auf der Crde ist. Der Mensch sieht dann den dunklen Schleier-
fehen über sich schweben und wird unruhig und immer angstvoller,
je tiefer das Dunkle kommt. Ist es aber schon ganz tief und nah, so
kann sein Blick, der gejagt umherirrte von einem Ding zuin andern,
das Dunkle nicht mehr meiden. Cr muß es stets und starr ansehen,
und das starre Sehen schläfert ihn ein; er wird still und sinkt in
Schlaf. Und das Dunkle sinkt über seine Augen und liegt darauf und
bedeckt sie gerade. ^— Dann sagen die andern Menschen: „Er starb."
— Übcrall aber in dem großen Schleier, wo sich die kleinen Fcßen
lösten, sind helle Stellen. Die Menschen nennen sie Sterne. Aber
sie wissen nicht, daß Menschen starben, ehe die Sterne glänzten. Wo
ein solcher Stern in dem großen Schleier ist, da fällt Licht aus dem
Himmel, das sonst der Schleier absperrt, in einem winzigen Fleck
auf die Crde, und die Crde wird fruchtbar an dieser kleinen Stelle
und Leben entsteht. Die Menschen sagen: „Cin Kind wurde ge-
boren." Der erste Schrei des Kindes aber fliegt in die Luft, in dem
hellen kleinen Streifen aufwärts, erstarrt in der Luft und schwebt
bis zu dem schwarzen Schleier, bis zu dem Loch darin, das die
Menschen Stern nennen, schmiegt sich hinein, füllt es und sperrt das
Licht aus dem Himmel ab. -— Jede Nacht lösen sich Flecken und
sinken, und von der Crde herauf schweben neue Fetzen und füllen
die Lücken, die Sterne heißen, und neue Sterne eutstehen und ver-

schwinden und wieder kommen neue. — Die Menschen aber sehen
nur den großen dunklen Schleier, der über ihnen HLngt, und die
hellen Sterne, die immer da sind, und sie ncnnen es Nacht und Stern
und lieben die Sterne.

rinnerungen an Bismarck.

Es ist ein wehmütiges Gefühl, mit dem man den umfäng-
lichen Band dieser Crinnerungen an Bismarck beiseite legt. Er
wurde gewiß sorgfältig gemacht, und manches darin ist unvergeßlich;
aber im ganzen bleibt doch eine Enttäuschung da, daß die Augen-
und Ohrenzeugen des großen Mannes nicht mehr von ihm sahen und
hörten. Die ihn am einsachsten, familienhaft, betrachten, werden
unserm Gefühl noch am ehesten gerecht; aber die sich in dem Ruhm
seines Umgangs sonnen — wie etwa Schweninger —, sind kaum
erträglich. Am schönsten findet sich Dryander zwischen dem Selbst-
gefühl dieses Umgangs und dem Respekt zurecht; aber auch bei
ihm läuft die Erinnerung auf cine Darstellung seiner Religiosität
hinaus, die einem im Umfang dieser wenigen Seiten und an dieser
Stelle nicht recht behagen will.

Immerhin, bei jedem fällt doch immer wieder ein Steinchen

ab, aus dem sich zwar kein Standbild des großen Mannes, aber
doch dcr Sockel zu einem solchen bauen läßt: man sieht die mensch-
lichen Beziehungen, und wenn auch das deutlichste Gefühlsergebnis
des Buches, der Abstand des Genies von dem Zufall seiner Um-
gebung deutlicher wird, als es in der Absicht der Schreiber gelegen
haben mag, so wird gerade damit seine Größe beleuchtet; die ihn
uns näher bringen wollen, entfernen uns ihn, aber sein menschliches
Schicksal wird uns dadurch erschütternd vor Augen gestellt.

Von den beiden Abhandlungen, die mißverständlich auch in
den Band geraten sind, liest man die über Bismarcks Schreibweise
mit dem größten Dergnügen. Sie ist wirklich eine außerordentliche
Studie, die man gern als Flugschrift in alle Kanzleien und — Re:
daktionen schicken möchte; und merkwürdig, mehr als aus allen
Mitteilungen seiner Gewohnheiten und Außerungen, sieht man
hier die Größe des Mannes menschlich grcifbar werden. Der Ver-
fasser dieser Studie, der badische Staatsminister von Brauer, hat

m. E. denn auch weitaus diejenige Erinnerung beigesteuert, die
am meisten im Sinn des Buches liegt. Seine „Zwei Monate Dienst
in Friedrichsruh" sind anschaulich wie ein Stück guter Dichtung und
ganz im Gefühl eines Mannes geschrieben, der gerade durch den
Respekt seiner Darstellung ihm näherkommt als die andern.

Dielleicht war es ein besonderes Mißgeschick, daß ich gerade
diese beiden Dinge zuerst las und dadurch einen zu hohen Maßstab
sür das andere erhielt: aber schließlich, wer uns etwas über einen
Mann von dem Kaliber Bismarcks sagen will, sollte das Abstands-
gebict zu ihm doch wohl so durchleuchtet haben, wie es Brauer tat;
erst so kann die — sonst leicht zur Schau getragene — Bescheiden-
heit zum Mannesstolz werden, wie wir sie uns gern in die Um-
gebung Bismarcks hinein denken.

Bei dieser Gelegenheit sei ein billiges Abbildungswerk über
Bismarck empfohlen, das im Verlag von Hermann Montanus,
Siegen, erschienen ist und 2 Mark kostet. Cs enthält nicht weniger
als 200 Bilder aus dem Leben des Kanzlers, meist Photogra-
phien, die den Mann selber, seine Familie, sein Haus usw. dar-
stellen. Jm Cinzelnen betrachtet, mag manches belanglos aus-
sehen, im Ganzen dient es trotzdem; und einige Aufnahmen von
dem alten Kanzler sind darin, die erschütternd menschlich wirken.
Der Text freilich von Walter Stein ist einigermaßen überflüssig.

S.

* Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Berlin, Preis 8 Mk.,
geb. 10,50 Mk.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. - Druck und Vcrlag: A. Bagel, Düsseldorf. - Kunstdruckpapwr: I. ^ B.-Gladbach.

Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann - Stembergschen Farbenfabnken, G. m. v Y., i^eue tvannooer).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schafer m Dallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflrchtung ubernommen. Ruckporto ist beizulegen.
 
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