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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 6
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Westermann, Charlotte: Joseph Görres
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Röttger, Karl: Bachs letzte Tage: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0217

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Joseph Görres«

darin die Weise seiner jungen Freiheit, die Marseiller
Sturmreveille, zuerst aus einem Salon der alten Gesell-
schast in die Gasse hinabgeklungen war, bot ihm das
Asyl. Seine Familie kam nach, und Joseph Görres fand
plötzlich in Straßburg seine Ehe ä, trg.nyai8s anfecht-
bar und ließ sich in einen christkatholischen Ehemann um-
trauen. Er schrieb sich noch mit den Vertrauten seiner
historischen Studien, und dieMitarbeitfür dieNonumenta.
Asrmgnine kiistoricg, des Freiherrn zum Stein zweite
große Tat, half ihm über das historische deutsche Monu-
ment, das er selbst in der Verbannung bildete, hinweg.
Jn Straßburg aber fand er wie Rauch zerflossen, was
in dieser Stadt Feuer geworden war und gebrannt
hatte; das alte Leben mit Bürger- und Glaubens-
kampfen und der Blüte geistiger Kultur, die Gestalten
Ekkeharts und Taulers, Meister Gottfried, den Gailer
von Kaysersberg und die Humanisten, die französische
Residenz der prinzlichen Erzbischöfe und die Soldaten-
heimat der elsässischen Generale — nur eines stand
unverrückt über den Geschlechtern und hob sich rot-
umschimmert über Stadt und Land, über die Strom-
ebene hin zu den Hügeln an den Grenzen: der Münster.
Von ihm aus ging steinerne Unüberwindlichkeit, ewige
Rede und ewiges Schweigen. Und Joseph Görres
beugte das Knie.

Dann verlor er sich an den Süden auf Reisen nach
einem dauernden Eril, und uralte Ahnenehrfurcht wachte
auf in dem heimatlosen Mann. Er sah sich an etwas
gebunden, das zwei Jahrtausende wie einen Tag be-
standen hatte. Dies, was ihn überwaltigte, in das Land
zu tragen, für das er zweimal schon geglaubt und ge-
führt hatte, und zwar in das bodenständigste der katho-
lischen Tradition, das sprach er aus, der alte Rufer im
Streit. Die Antwort kam von einem König, der ge-
boren im Schatten des Straßburger Münsters und auf-
gewachsen mit einem männlichen nie verheimlichten Haß
gegen den Empereur, vor dem der vaterliche Hof sich
bückte — ein eckiger Kopf und ein enthusiastisches Herz —
Ludwig der Erste von Bayern. Schon 1827 lehrte
Görres an der Münchener Hochschule. Er schloß den
deutschen Katholizismus zu einer gläubigen Einheit um
die Substanz der Kirche, wieder ganz auf einen Punkt
firiert. Jnmitten einer Zeit der Wühlereien und Ver-
folgungen lernten sich die Glieder eines Bekenntnisses,
innerhalb ihrer Grenzen, als eine Macht im Staate an-
zusehen. Das Gewaltsame fiel aus Görres' Leben, das
sich, nur wenig unterbrochen von Auslandreisen in süd-
liche Gebiete, in München abspielte, fort, und die „Histo-
risch-politischen Blätter", die seit 1838 sein Sprachrohr
waren, theoretisierten mit im Ton der hundertundein
Grundsätze, denen sich ein Vernunftbürger vor 1840
verschwören mußte, um wenigstens doch als etwas zu
gelten. Görres wählte sich eine Glaubenstheorie, die
er in seiner „Geschichte der deutschen Mystik", wie am
eigenen Leib dozierte. Jn Nord- und Mitteldeutschland
beteiligte man sich an der hohen Politik, indem man
verpönte Farben trug und Metternich an die Wand
malte; in der Hauptstadt des deutschen Südens par-
tizipierte man am Übersinnlichen in der heimischen
Taferlmanier und zeigte sich den Leibhaftigen. Es kam
auf Eines heraus: eine Jdee und ein Glaube vor der

Menge. Görres war in sein letztes Stadium getreten
und noch einen Schritt darüber; es mischten sich in ihm
das Gott-mit-uns und der Gott-sei-bei-uns zu einer
fanatischen Zweiheit. Das Jahr 1848 brach an, das Görres
vor fünfzig Jahren hatte erleben wollen, das heilige
Jahr der deutschen Enthusiasten. Jhr Mentor hörte
nicht einmal mehr die Lenzkrawalle in München, die
seinem König die Krone und ein wildgewordenes Kron-
vergnügen kosteten —Joseph Görres war am 19. Januar
1848 abberufen worden aus seinem irdischen Amt.

Charlotte Westermann.

achs lehte Tage.

Novelle von Karl Nöttger.

Am 18. Juli 1750, des Morgens in der Frühe,
erwachte der Meister Johann Sebastian Bach in seiner
Kammer; er hörte noch die Kammertür gehen und sich
leise schließen und wußte, seine Frau war leis hinaus
geschlichen, um in der Küche den Morgenimbiß zu be-
reiten. Er wollte sie erst zurückrufen, denn er gedachte
aufzustehen. Alte Leute haben nicht so viel Schlaf mehr,
zumal sie früh zu Bett zu gehen pflegen. Seine schwer-
mütigen, lichtlosen Augen standen groß in die Welt um
ihn, als schauten sie noch wie vordem, und waren doch
in der großen Nacht. Er wendete sein Gesicht dem Fenster
zu, da wiegte eine Baumkrone draußen ihre Aste, und
Sonne mußte da draußen sein, denn die Laute des
beginnenden Tagwerks drangen aus dem Morgen
draußen zu ihm herein, es würde wohl ein schöner
Sommertag sein....

Er schob langsam die Bettdecke zurück, setzte die Füße
aus dem Bett und saß auf dem Rand. Er wollte auf-
stehen, allein. Er fand schon zurecht. Er fing an, die
Hose anzuziehen, und tastete zum Waschbecken. Wenn
er es nur nicht wieder umwarf, wie neulich, da er auch
allein aufgestanden war und ungeschickt sich bewegt hatte;
daß nur seine Frau nicht wieder gekränkt sei, daß er um
ihre Hilfe nicht bitte. Aber es war doch schmerzhaft, ein
großer starker Mann zu sein und der Pflege und Leitung
zu bedürfen gleichwie ein Kind. So tastete er ganz
langsam und vorsichtig alles ab, fand das Waschbecken,
wusch sich, zog sich vollständig an und tastete sich zum
Fenster, um Morgenluft zu atmen. Er steckte den Kopf
aus dem Fenster, hörte die Spatzen piepen und einen
Buchfink schlagen und wandte das Gesicht gegen den
Himmel hinauf, ob er die Ahnung eines Sehens fühle,
— wie blau der Himmel sein möge, wie der Glanz da
schweben möge! —

Wie oft hatte er an die Tore des Höchsten geklopft
in seinen Jahren, hatte er Abend- und Morgenrot er-
reicht, hatte er das Blau, Gold und Silber der himm-
lischen Gewänder erschaut, hatte er des Lichts, soviel
seine Fäuste zu erraffen vermochten, heruntergeholt....
War es ihm nicht manchmal gewesen, im höchsten Glück
des Schauens und Hörens, alü blendeten ihm die Sinne,
als würde er taub? Nun war er blind, vielleicht mußte
es so sein. Gott wußte allemal, was er tat; wie sollte
er klagen? Und gut — wenn er bis ans Ende blind
blieb —, was war das gegenüber der Ewigkeit, in die er
 
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