Bachs lehte Tage.
gehen würde und wo er wieder sehen würde? Denn
das war kein Aweifel, daß er dort wieder sehen würde....
Aber aus schmerzlichem Gefühl preßte sich ihm doch
eine Träne heraus und rollte über die Wange herab.
Aber: Wunder! als sei die Träne ein Wunderwasser, ein
Elirier gewesen, ward es vor seinem Blick aufgezogen
wie ein Vorhang und danach ein Schleier und siehe —
er sah! Er sah! Er sah! Da war die Welt, die Welt,
Sonne, Grün, Licht, Dächer und Menschen....
Ein Schreck hielt ihn außer Atem. Was war dies?
Er wartete, ob es Traum, eine vorübergehende Täuschung
sei. Aber das Licht blieb. Er konnte es ertragen. Er
sah — wenn auch erst schwach.
Mit starken Schritten ging er aus der Kammer, schrie
mit lauter Stimme über den Flur: „Frau, Frau, wo bist
du? Jch sehe. Jch sehe!" Da kamen zusammen gelaufen
die Frau und die Kinder, und er stand zwischen ihnen
wie vordem: Meister Bach, und konnte sie alle ansehen,
und sein Gesicht war voll Glanz wie eines heiligen
Mannes. Da standen alle schweigend, bis seine Frau
anfing, in Freude zu weinen und seine Kinder danach
auch.
Als sie beim Morgenimbiß waren, sagte der Meister:
„Frau, sende hinüber und laß den Herrn ProfessorMitzler
und den Herrn Müthel, unsern jungen Freund und
getreuen Schüler, auf den Mittag zu einem Teller Suppe
laden, auf daß wir nachher froh zu Tisch sitzen mit freund-
lichen Menschen."
Das geschah, und da es Mittag war, kamen die Ge-
ladenen die Straße gegangen und sahen ihn vor der Türe
stehen. Und da sie nahe herangekommen waren, er-
kannte er sie, grüßte und winkte mit der Hand.... Und
er sprach: „Mir ist Heil widerfahren." Und dann, sich
rückwärts wendend, sprach der Meister: „Frau, daß nicht
vergessen werde: der Brief an unsere Tochter und
unsern treuen Schwiegersohn in Naumburg, auf daß
sie wissen, wie es mir geht; die Post fährt bald, Susanna
mag ihn hinüberbringen.
Danach setzte sich der Meister noch einmal an das
Klavizimbel und fing an zu spielen, nach einem Noten-
blatt eine Sonate auö früher Ieit, spielte auch danach
noch einen Choral „Nun danket alle Gott" in wunder-
schönen Klängen und phantasierte über den Choral eine
Weile .... Und sie saßen alle ganz still und hörten zu.
Bis auf einmal des Meisters Hände schlaff herabfielen,
er eincn dumpfen Laut und ein Röcheln aus seinem
Mund stieß, den Kopf drehte und dann sein Leib
dumpf, schwer, massig vom Bock auf die Erde fiel....
Jn den ersten Augenblicken hiernach standen sie alle,
heftig aufgesprungen, erschreckt und sahen sich an, ehe
sie hinzusprangen und den Meister aufhoben und auf
das Sofa legten.... Und da die zwei Manner den
schweren Körper des Meisters nicht tragen konnten,
riefen sie, derweil Frau Bach das Gesicht des Mannes
mit kühlem Wasser besprengte und die Stirn betupfte,
aus der Nachbarschaft noch eine Männerhilfe und trugen
den Meister in die Kammer.... 'Dann kam der Arzt.
Aber er sagte ihnen nur, was sie schon ahnten oder
wußten, daß den Meister der Schlag gerührt habe.
Es wurde nach der Brauerei gesendet und Eis ge-
holt. Das wurde ihm auf die Stirn und an die Schläfen
gelegt. Und danach saßen Frau Bach, die Kinder des
Hauses an seinem Lager und warteten; auch die Freunde
blieben noch, standen aber abseits und warteten ebenfalls.
Und es war ein großes Schweigen im kleinen Naum
und ein Warten, ob der Meister noch einmal aufwache,
wie der Medikus hoffte.
Und da er nach langer, langer Zeit zu sich kam, war
es in seinen Augen wie ein großes schmerzliches Staunen,
als er alle die Seinen sah und als er dann fühlte, daß
er nicht mehr Herr seines Leibes sei. Er war gelahmt.
Jedoch erholte sich der Meister noch in der nächsten
Ieit ein wenig. Also, daß er nach einer Reihe von Tagen
sogar versuchte, gestützt auf Stöcken und mit eines
Menschen freundlicher Leitung, einige Schritte zu tun —
von der Schlafstube, die nun neben der Stube war, bis
in das Wohnzimmer und zurück.
Jn diesen Tagen saß er viel allein und sann vor sich
hin. Manchmal leicht nickend mit dem großen schönen
Haupte, auf dem das Haar noch, zwar grau, schön dicht
stand. —
Es konnte nicht immer jemand um ihn sein; die un-
erzogenen Kinder gingen in die Schule, die Frau hatte
im Haus zu tun; dennoch, wo seiner Lieben einer eine
freie Stunde erhaschte, saß er bei ihm. Elisabeth kam
manchmal, und Altnikol, der Tochtermann.... Aber
es schien, als kränke es ihn auch nicht, ost allein zu sein.
Denn der Geist war noch in ihm lebendig, fing sogar
wieder an zu summen in ihm, und sein inneres Ohr
hörte noch immer die Sphären singen und das Jenseits
ertönen.
So war es ihm dennoch nicht unlieb, daß Altnikol,
der getreue Schüler und Tochtermann, manchmal herein-
schaute, und eines Tages fragte er ihn, ob er ihm eine
Liebeerzeigen wolle; Altnikol sprach: „Jede, meinVater,
die Jhr woltt, denn es ehrt mich nicht nur, wenn ich Euch
dienen kann, ich freue mich auch von Herzen."
Da bat ihn der Meister, Tinte und Papier zu nehmen
und zu schreiben, was er ihm diktiere, und begann, ihm
die Harmonisierung eines der schönsten Choräle zu
diktieren, derweilen er langhin auf dem Ruhebett lag.
An einem solchen Tage sprach der Meister: „Was
dünket Jhn, mein Sohn, daß es mit mir sei?"
Altnikol sprach: „Jch wünsche nur, mein Vater, wie
wir alle, daß wir Euch soviel Tage behalten, wie es
immer Gott gefällig ist und er unserer Liebe zu Euch
zubilligen will. Möge es lang sein." —
Der Meister sprach: „Fraget Jhr dabei auch, ob das
mir lieb sei?"
„Wir hoffen es, mein Vater. Wir lieben Euch, und
Jhr uns."
„Das mag wahr sein, dennoch fühle ich, daß es zum
Ende geht. Jch will nicht darüber nachdenken, ob ich
alles gesagt habe.... Denn alles kann wohl nie ein
Mensch sagen. Es bleibet immer ein Rest.... Wenn
nur, was er sagte, recht und gut und von ganzem Herzen
war. Also könnte ich deswegen beruhigt sein, ich habe
getan, was in eines Menschen Kraft war."
Altnikol sprach: „Wir wissen es, Vater. Wir wissen
es" — und er mußte die Hand auf die Augen legen.
Aber der Meister sah es nicht; er sprach weiter:
„Dennoch bin ich nicht ganz befriedigt in meinem Ge-
roo
gehen würde und wo er wieder sehen würde? Denn
das war kein Aweifel, daß er dort wieder sehen würde....
Aber aus schmerzlichem Gefühl preßte sich ihm doch
eine Träne heraus und rollte über die Wange herab.
Aber: Wunder! als sei die Träne ein Wunderwasser, ein
Elirier gewesen, ward es vor seinem Blick aufgezogen
wie ein Vorhang und danach ein Schleier und siehe —
er sah! Er sah! Er sah! Da war die Welt, die Welt,
Sonne, Grün, Licht, Dächer und Menschen....
Ein Schreck hielt ihn außer Atem. Was war dies?
Er wartete, ob es Traum, eine vorübergehende Täuschung
sei. Aber das Licht blieb. Er konnte es ertragen. Er
sah — wenn auch erst schwach.
Mit starken Schritten ging er aus der Kammer, schrie
mit lauter Stimme über den Flur: „Frau, Frau, wo bist
du? Jch sehe. Jch sehe!" Da kamen zusammen gelaufen
die Frau und die Kinder, und er stand zwischen ihnen
wie vordem: Meister Bach, und konnte sie alle ansehen,
und sein Gesicht war voll Glanz wie eines heiligen
Mannes. Da standen alle schweigend, bis seine Frau
anfing, in Freude zu weinen und seine Kinder danach
auch.
Als sie beim Morgenimbiß waren, sagte der Meister:
„Frau, sende hinüber und laß den Herrn ProfessorMitzler
und den Herrn Müthel, unsern jungen Freund und
getreuen Schüler, auf den Mittag zu einem Teller Suppe
laden, auf daß wir nachher froh zu Tisch sitzen mit freund-
lichen Menschen."
Das geschah, und da es Mittag war, kamen die Ge-
ladenen die Straße gegangen und sahen ihn vor der Türe
stehen. Und da sie nahe herangekommen waren, er-
kannte er sie, grüßte und winkte mit der Hand.... Und
er sprach: „Mir ist Heil widerfahren." Und dann, sich
rückwärts wendend, sprach der Meister: „Frau, daß nicht
vergessen werde: der Brief an unsere Tochter und
unsern treuen Schwiegersohn in Naumburg, auf daß
sie wissen, wie es mir geht; die Post fährt bald, Susanna
mag ihn hinüberbringen.
Danach setzte sich der Meister noch einmal an das
Klavizimbel und fing an zu spielen, nach einem Noten-
blatt eine Sonate auö früher Ieit, spielte auch danach
noch einen Choral „Nun danket alle Gott" in wunder-
schönen Klängen und phantasierte über den Choral eine
Weile .... Und sie saßen alle ganz still und hörten zu.
Bis auf einmal des Meisters Hände schlaff herabfielen,
er eincn dumpfen Laut und ein Röcheln aus seinem
Mund stieß, den Kopf drehte und dann sein Leib
dumpf, schwer, massig vom Bock auf die Erde fiel....
Jn den ersten Augenblicken hiernach standen sie alle,
heftig aufgesprungen, erschreckt und sahen sich an, ehe
sie hinzusprangen und den Meister aufhoben und auf
das Sofa legten.... Und da die zwei Manner den
schweren Körper des Meisters nicht tragen konnten,
riefen sie, derweil Frau Bach das Gesicht des Mannes
mit kühlem Wasser besprengte und die Stirn betupfte,
aus der Nachbarschaft noch eine Männerhilfe und trugen
den Meister in die Kammer.... 'Dann kam der Arzt.
Aber er sagte ihnen nur, was sie schon ahnten oder
wußten, daß den Meister der Schlag gerührt habe.
Es wurde nach der Brauerei gesendet und Eis ge-
holt. Das wurde ihm auf die Stirn und an die Schläfen
gelegt. Und danach saßen Frau Bach, die Kinder des
Hauses an seinem Lager und warteten; auch die Freunde
blieben noch, standen aber abseits und warteten ebenfalls.
Und es war ein großes Schweigen im kleinen Naum
und ein Warten, ob der Meister noch einmal aufwache,
wie der Medikus hoffte.
Und da er nach langer, langer Zeit zu sich kam, war
es in seinen Augen wie ein großes schmerzliches Staunen,
als er alle die Seinen sah und als er dann fühlte, daß
er nicht mehr Herr seines Leibes sei. Er war gelahmt.
Jedoch erholte sich der Meister noch in der nächsten
Ieit ein wenig. Also, daß er nach einer Reihe von Tagen
sogar versuchte, gestützt auf Stöcken und mit eines
Menschen freundlicher Leitung, einige Schritte zu tun —
von der Schlafstube, die nun neben der Stube war, bis
in das Wohnzimmer und zurück.
Jn diesen Tagen saß er viel allein und sann vor sich
hin. Manchmal leicht nickend mit dem großen schönen
Haupte, auf dem das Haar noch, zwar grau, schön dicht
stand. —
Es konnte nicht immer jemand um ihn sein; die un-
erzogenen Kinder gingen in die Schule, die Frau hatte
im Haus zu tun; dennoch, wo seiner Lieben einer eine
freie Stunde erhaschte, saß er bei ihm. Elisabeth kam
manchmal, und Altnikol, der Tochtermann.... Aber
es schien, als kränke es ihn auch nicht, ost allein zu sein.
Denn der Geist war noch in ihm lebendig, fing sogar
wieder an zu summen in ihm, und sein inneres Ohr
hörte noch immer die Sphären singen und das Jenseits
ertönen.
So war es ihm dennoch nicht unlieb, daß Altnikol,
der getreue Schüler und Tochtermann, manchmal herein-
schaute, und eines Tages fragte er ihn, ob er ihm eine
Liebeerzeigen wolle; Altnikol sprach: „Jede, meinVater,
die Jhr woltt, denn es ehrt mich nicht nur, wenn ich Euch
dienen kann, ich freue mich auch von Herzen."
Da bat ihn der Meister, Tinte und Papier zu nehmen
und zu schreiben, was er ihm diktiere, und begann, ihm
die Harmonisierung eines der schönsten Choräle zu
diktieren, derweilen er langhin auf dem Ruhebett lag.
An einem solchen Tage sprach der Meister: „Was
dünket Jhn, mein Sohn, daß es mit mir sei?"
Altnikol sprach: „Jch wünsche nur, mein Vater, wie
wir alle, daß wir Euch soviel Tage behalten, wie es
immer Gott gefällig ist und er unserer Liebe zu Euch
zubilligen will. Möge es lang sein." —
Der Meister sprach: „Fraget Jhr dabei auch, ob das
mir lieb sei?"
„Wir hoffen es, mein Vater. Wir lieben Euch, und
Jhr uns."
„Das mag wahr sein, dennoch fühle ich, daß es zum
Ende geht. Jch will nicht darüber nachdenken, ob ich
alles gesagt habe.... Denn alles kann wohl nie ein
Mensch sagen. Es bleibet immer ein Rest.... Wenn
nur, was er sagte, recht und gut und von ganzem Herzen
war. Also könnte ich deswegen beruhigt sein, ich habe
getan, was in eines Menschen Kraft war."
Altnikol sprach: „Wir wissen es, Vater. Wir wissen
es" — und er mußte die Hand auf die Augen legen.
Aber der Meister sah es nicht; er sprach weiter:
„Dennoch bin ich nicht ganz befriedigt in meinem Ge-
roo