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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 7
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Walser, Robert: Pauli und Fluri
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0266

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haben würde, ihn mir zu geben. Verwöhnte und bedeutende Leute
wollen umflattert sein bis zur Belästigung. Wenn man ihnen nicht
schmeichelt bis zur Geschmacklosigkeit, ist man ihr Feind. „Sie
scheinen es eilig zu haben," sprach Fluri zu mir, als ich ging. Er
sagte das in gewissermaßen drohendem Ton. Er hätte lieber gehabt,
so lange mich bei ihm aufhalten zu sehen, bis er HLtte sagen
können: „Machen Sie doch endlich, daß Sie fortkommen!"

Auf der Straße, in welcher sich zahlreiches hauptstädtisches
Volk hin- und herbewegte, sagte ich zu mir selber: „Das Edle und
Gute schlagen sie, weil sie fühlen, daß nicht sie es machen. Weil es
aus dem Himmel kommt und in den Himmel strebt, wollen sie es
ausrotten. Dagegen dienen sie dem Groben, dem Grausamen, dem
Lieblosen, dem Unedlen, weil sie wohl fühlen, daß sie das gemacht
haben. Dem reichen und mächtigen Fluri huldigen sie, weil sie ihn
zu dem, was er ist, gemacht haben. Cr ist ihr Werk. Sie lieben in
ihm sich selber. Sie hassen, schlagen und verfolgen Pauli, der arm
ist, aber sich selbst genügt. Wer sie zu Sklavcn macht, den lieben
sie; wer gut zu ihnen ist, den hassen sie. Sie lieben, ehren und
preisen das Böse. Wer ihnen freien Willen läßt, an dem lassen sie
ihre Wut aus."

^leine Prosa von H. M. Kuckhoff.

Der Rosenstock.

Ein Rosenstock stand allein und blühte. Jn seine Wurzeln floß
Kraft der Crde, die ihn trug. Jhm allein war sie zärtlich, ihn allein
trug sie — und er blühte inbrünstig. Wohl wuchs anderes auf der
Crde, irgendwo; er wußte das; — aber er sah es nicht: er war
allein, und ihm allein war die Erde zärtlich. Aber an einem Tag
war neben ihm eine kleine rote Blume auf grünem Stengel; am
Morgen stand sie da und blühte. Jn ihre Wurzeln floß Kraft der
Crde, und die Erde war ihr zärtlich. — Der Rosenstock mußte weiter
blühen; die Kraft strömte in seine Wurzeln — so mußte er weiter
blühen, zwischen den bunten Blumen.

Die beiden Glocken.

Zwei Glocken klangen, eine nach der andern. Klang die
eine, so wurden die Schritte der Menschen straffcr und der Griff
ihrer Hände fester. Klang die andere, so sanken die Hände und
in den Augen ging Leuchten auf. —

Im Glockenturm saß in einer Nische ein Vogel, den Kopf tief
zwischcn die Schultem gezogen, und stunun. Wenn die andcre
Glocke klang, hob er den Kopf, und klang die eine, lüftete er die
Flügel; aber er blieb stumm. — Dann kam ein Tag, an dem die
andere Glocke festlicher klang als je; und des Vogels Schnabel
öffnete sich; aber er blieb stumm. Da begann die eine Glocke zu
tönen: zwei drei Töne — und dann barst sie in einem Schrei, der
die WLnde des Turms sprengend ins Freie stürzte. — Der Vogel
sang und flog fort.

wei Warnungen.

Von Hermann Muthesius.

(Sie sind einer vortrefflichen Schrift, „Die Zukunft der dcut-
schen Form", des bekannten Verfassers entnommcn, die als fiinf-
zigstes Heft der Politischen Flugschriften crschicn. — Herausgeber
Ernst Jäckh, Deutsche Derlags-Anstalt, Stuttgart-Berlin, Preis
>0 Pfg. — Da cs nicht dieser oder jencr ist, dcr diesc Worte ausspricht,
sondern dcr Lcitcr des preußischen Kunstgewerbeschulwesens, werden
sie vielleicht auch da gehört werden, wo man gencigt ist, solche Äuße-
rungen als „modern" abzulehnen. Auch sonst sci die klare Schrift
wie die Sammlung überhaupt empfohlen. Die Ned.)

I. Säulenschematismus.

TroHdem sind auch hier in den lehten fünf Jahren schon
krankhafte Ansühe zutage gctreten. Jm Kunstgcwcrbe hat die

Vorliebe zur Kunst um 1850 gespukt (also einer Zeit, die als die
schlechtestc bisher dagcwcsene allgemcin erkannt war), in der
Architektur macht sich gerade jeht wieder cin ganz bcdenklicher
Säulenschematismus geltend. Beide Crscheinungen sind aber im
Grunde nur als zeitliche Gegenströmungen gegen die erwähnte,
vielleicht zu weit getricbene Zwcckmäßigkeitsbctonung aufzufasien.
Cs ist ganz richtig, daß das Nühlichc an sich noch nichl schön
ist, daß das Zweckmäßige mit Kunst zunächst noch nichts zu tun
hat. Beide bilden nur die Grundlagc, auf der das Schöne über-
haupt erst aufgebaut werden kann. Wcnn dic angewandte Kunst
bei diesem Aufbau aber das Zweckmäßige zudcckt und das Nütz-
liche durchkrcuzt, so steuert sie mit Niesenschrittcn wieder auf den
Punkt zu, wo neue Ncformen notwendig werden. Der Formalis-
mus, dieses Geklingel mit Worten und Phrasen, muß dann von
neuem ausgctriebcn werden. Möchte uns eine neue Auflage davon
crspart werden. Mit dcn durch Jahrtausende geläusigen Architektur-
schemen, wie sie jeht zum Teil wieder aufgenommen werden, läßt
sich gcwiß ein angenehmer, gcfälliger Cindruck erzielen. Dicse
bekannten schönen Nedcnsarten bcrühren ohne weiteres angcnehm,
cs sind auch keinerlei Schwicrigkeiten bei Bauherrn und Publikum
zu überwinden. Abcr sie bringcn uns auch nicht wcitcr, denn sie
bedeuten ein bequemes Ausruhen auf den Lorbceren der Iahr-
hunderte. Und sodann, das ist die Hauptsache, gehörcn uns Ger-
manen eigentlich diese klassisch-antikisicrenden Formcn gar nicht
zu cigen- Sie wurdcn erzeugt und bis zur höchsten Vollcndung
auSgcbildet von den romanischen Dölkcrn, gegenübcr dcren Routinc
in diescn Dingen unscre dcutsche Betätigung doch nur etwas Ab-
gclcitctes haben kann. Wenn heute gcwiffe einseitige Architcktur-
richtungen diese schematisierten Formen wiedcr zur Allgemeingeltung
bringen wollen, so brauchen wir uns nicht darüber zu wundern,
daß der odcr jcner Bauherr, die oder jenc großc Gesellschaft sich
entschließt, sich dann das Bestc dieser Art lieber dirckt aus Paris
zu verschreiben.

2. Malcrei und Stil.

Es ist sicherlich bezeichnend, daß auch vorwiegcnd in Deutsch-
land die neuere Malerei und Plastik jeht mit Ungcstüm den Nück-
weg zur Architektur sucht. Hat Frankreich im ld. Iahrhundcrt der
Malcrei durch den Impressionismus neue Hilfsmittel crschloffen,
so wird Deutschland deren Rückkehr zum Stil bewirken. Zugegcben,
daß die letzten Cntwicklungen hicr vielfach unvcrständlich waren,
daß sich «or dem Kriege ein überreiztcs Ästhetcntum spreizte, daß
sich dekadente Sensationen jagten, daß in dem Zurückgreifen auf
Exotisches bis zum Lallen der Urvölker herab eine bedcnkliche
Natlosigkcit, in der Erfindung von allerhand „ismen" cin Über-
handnchmcn der Spekulation über die Intuition bemerkbar war,
so drängcn doch unter der Decke junge Tricbe ans Licht, die zu
einer neuen Ausdrucksform werden wollen. Jhrc Umriffe sind
schon crkennbar. Die besten der neueren Leistungen weisen auf
die Aufnahmc des Crbcs hin, das Feuerbach und Maräes der
deutschen Kunst hinterlasscn habcn. Das Wandbild wird wieder
das Zicl, nachdem sich die Malerei drcier Iahrhunderte an der
Staffelei zersplitterte; auch die Plastik verläßt die altcn, dem
Genrc huldigenden Bahnen und reiht sich als dicnendes Glied
der Baukunst ein. Eine Vercinigung allcr bildenden Künste unter
der Führung der Architektur ist das Streben der Gegenwarts-
entwicklung, und mit dieser Bereinigung wäre wiedcr dic altc
große Linie, die alle guten Kunstzeiten verfolgt haben, erreicht.
Nur auf dieser Linie kann die bildende Kunst gcsundcn. Alle
Anzcichen sprechen dafür, daß Deutschland berufen ist, in diescr
antrctenden Zeit die Führung zu übernchmcn; denn hier liegen
nicht nur die Ausgänge zu dieser Kunstentwicklung bercits am
deutlichsten zutage, hier sind auch dic geistigen und matcricllen,
die völkischen und encrgetischen Grundlagen dazu am reinstcn ge-
geben. Und vor allcm: der ins Große gehende Zug, dessen eine
solche Entwicklung nicht entbehren kann, ist hicr augenblicklich
stärker vorhandcn als in irgendeincm andern Lande der Welt.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann-Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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