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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 6
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Mayer, Hermann Leopold: Friedrich Ostendorf †
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Edschmid, Kasimir: Bahnhöf und die Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0224

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Friedrich Ostendorf f.

Entwerfen kann so nur ein räumliches Gliedern, eine
Aufteilung des Raumes in kleinere Räume sein, oder,
wie Ostendorf den Begriff des Entwerfens umschreibt:
Entwerfen ist das Suchen nach der einsachsten Er-
scheinungsform für ein gegebenes Bauprogramm. Die
Tätigkeit des Architekten stellt sich nach dieser prinzipiellen
Formulierung des Wesentlichen als eine rein gedank-
liche dar. Seine Aufgabe ist die, für ein Bauprogramm
die Form zu ersinnen, die unter vielen die einfachste
Raumaufteilung gibt und dem Bauzweck entspricht.
Das vieldeutige Postulat der Einfachheit umreißt er
scharf dahin, daß das Suchen nach der endgültigen Er-
scheinungsform zu einem Gedanken führen muß, der
vom Betrachter des Kunstwerks rasch und klar erfaßt
und nachgedacht werden kann. Denn die Wirkung eines
Kunstwerks scheint ihm kein Erzeugen von Stimmungen
zu sein, sondern ein Nachdenken eines künstlerischen
Gedankens. Damit stellt er seine Kunst in die Sphare
des Verstandes, wenn er auch zugeben mag, daß im
Nachdenken durch die Verschiedenheit der gedanklichen
Konzeption bei Künstler und Betrachter in letzterem
Stimmungen hervorgerufen werden.

Von dieser mit scharfer Feder umrissenen Erklärung
des architektonischen Kunstwerks, die ich nur kurz skizzieren
konnte, ausgehend, untersucht Ostendorf in der Folge
alte und neue Bauwerke, um an ihren Beispielen seine
Erklärung zu erläutern und darzulegen, weshalb die
einen Kunstwerke sind, die andern es nicht sein können.
Mit solcher Erkenntnis, mit der er aus der Historie und
ihrem Studium hervorging, trat er an die Betrachtung
der modernen Architektur. Er traf sie in ihrer schlimmsten
Wende. Denn kaum eine Architekturperiode kann so
wenig wie die moderne der letzten siebzig Jahre den
Erkenntnissen vom Wesen der Baukunst standhalten, die
uns Ostendorf nicht als nie gehörte, doch als notwendige,
nur verloren gegangene Weisheit vermittelte. Unsere
Baukunst schien ihre wesentliche Aufgabe: Räume zu
bauen, verkannt, und ihr Iiel darin gesehen zu haben,
an die Stelle der alten Fornien, der „Raumumkleidung",
neue zu setzen. Jn ihrem Wesen gehörte sie noch den
schlimmsten Zeiten an, da man noch „gotisch" oder
„deutsche Renaissance" baute. Der enge Anschluß an
die große Tradition fehlte ihr. Die Erkenntnis, daß wir
eine Unsumme an Jntelligenz und künstlerischer Bil-
dungskraft an — eine Mode, eine zeitliche Bedingtheit
verschwendet und uns damit nur weiter von der wahren
Richtung entfernt hatten, traf viele schwer, die dann dem
Bringer dieser Erkenntnis feind wurden, mit kleinlichen
Bedenken die Klarheit der Ostendorfschen Kritik zu
trüben suchten.

Jn dieser Aeit einer vermeintlichen lebendigen
Aktivität des Kunstschaffens empörte man sich gegen die
Theorie als solche. Nur aus einer praktischen Tätigkeit
erhosfte man Befreiung und Förderung. Ostendorf
hätte alle rückhaltlos mit sich gezogen und zur bewun-
dernden Nachahmung gezwungen, wenn er -— der
Schöpfer eines neuen „Stils" — nie betretene Wege
nicht der kritischen Theorie, aber des praktischen Bauens
gegangen wäre. Allein das verbot ihm seine Erkenntnis.
Bauten konnten zur Nachahmung zwingen, jedoch nie-
mals die Erkenntnis bringen, daß man dem Wesen der

Baukunst zu ferne stand. Die alte Krankheit hätte sich
unter einem neuen Gewand verborgen, weiter vererbt.
Nur die eindringliche Sprache der Theorie, die dem
Schriftsteller Ostendorf auch wesensechter war, konnte
auf den rechten Weg führen. Wohl geht aus der Theorie
reine Kunst hervor, sonst wäre Leone Battista Alberti
durch seine „Aehn Bücher vom Bauen" der Schöpfer
der Renaissance. Allein die werdende Kunst der Früh-
renaissance wurde durch seine theoretische Arbeit aus
den Wirrungen ihrer Werdezeit zur Klarheit der Hoch-
renaissance geleitet. So wurde er die Voraussetzung für
Bramante und Michelangelo. Der große Renaissance-
theoretiker bietet eine gewisse Parallele zu Friedrich
Ostendorf, der in dem Wirrwarr unserer gewiß strebend
sich mühenden, aber falsche Wege gehenden Baukunst,
ein Führer zum rechten Weg und zur Erneuerung unserer
Baukunst sein wollte.

Daß wir solcher Führung notwendig bedürfen, wird
keiner leugnen. Darum ist Ostendorfs Verlust unersetz-
lich. Was er uns hinterläßt, sind jene „Sechs Bücher
vom Bauen", deren letzte vier im Entwurf sein Nachlaß
birgt; sein wertvollstes Erbe bleibt seine Schule, in der
die Wirkung dieses genialen Lehrers sich klar entfalten
wird. An ihr ist es, die reiche Fülle von Erkenntnissen
und Forschungsergebnissen, die ihr der nimmermüde
Lehrer vermittelte, im Sinne seiner „Sechs Bücher vom
Bauen" auszustreuen, zu verwirklichen und uns dem
Aiele zuzuführen, das ein früher Tod den Lehrer nicht
mehr erreichen ließ.

Hermann Leopold Mayer.

ahnhöfe und die Zeit.

Die Bahnhöfe sind die großen Stauungen des
Lebens, das über die Schienen verströmt.
Sie sind die breiten Pausen im ungeheuren Rhythmus
der Aeit, der Millionen nach den Fronten des Ostens
und Westens wirft und Aug um Aug über die Landschaft
hämmert. Gäbe es einen Pol in der Luft, weit genug
zur völligen Ubersicht, und gäbe es die Möglichkeit voll-
kommenen Überschauens, dem Sehenden schiene es in
manchen Aeiten, die maßlosen Schienenstränge seien die
Adern der Erde geworden und das unaufhörliche Rasen
der Bahnen sei der hohe Pulsschlag ihres Blutes.

All das aber ist das Geschehen riesiger Kreise. Es
läßt sich manchmal nur ahnen in der Größe und der Ge-
walt und es übersteigt unser Denken öfter ins Ungeheure.
Uns bleibt nur die Erkenntnis des Einzelnen und das
Erlebnis kleinster Segmente. Das Erleben einzelner
Bahnhöfe bleibt unsere einzige Möglichkeit — und auch
hier: buntestes Geschehen, Erschütterung und unerhört
zusammengezogenes Schicksal.

Da sind die Wirkungen vor allem der großen Massen.
Jn anderen Aeiten waren das Menschen, die mit Freude
beladen aus der Landschaft zurücktauchten an Sonntagen
und feiertags mit hellen Kleidern im Sommer, wenige
winters. Nun aber werfen an den Abenden des Sonn-
tags die Aüge Tausende in die Hallen, füllen sie berstend
mit Farbe des Militärs, drängende Welle von Grau und
bunten Uniformen, daß der Bahnhof erzittert vor Ge-
 
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