Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Matthießen, Wilhelm: Gedanken über den Städtebau: zugleich ein Beitrag zu der Gleichung: Zweckmäßigkeit und Schönheit
DOI Artikel:
Hesse, Hermann: Abend in Cremona
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0118

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gedanken über den Städkebau.

sind. Dabei ist nur eines zu berücksichtigen, was immer
unbeachtet bleibt: Berlin gibt es nur einmal in der Welt.
Städte wie Bonn, Neuß, Koblenz aber zu Tausenden.
Und in Berlin gibt es nur eine Leipziger Straße, nur
eine Friedrichstraße. Also ist es vollendeter Widersinn,
zu verlangen, daß alle Straßen nach dem gleichen Grund-
satz gestaltet werden. Der bei weitem größte Teil der
Straßen Berlins hat nicht mehr Verkehr zu bewältigen,
als die Schulstraße in Neuß. Es ist also selbstverständ-
lich, zweckentsprechend und sinngemäß, die meisten
Straßen als Wohnstraßen zu gestalten, wodurch unend-
lich viel Schönes nicht nur gerettet, sondern unbedingt
gefordert wird. Die Verkehrsstraßen dagegen müssen
nach ganz anderen Grundsätzen und Gesichtspunkten
hin gestaltet werden. Für sie werden sich also auch natur-
gemäß andersartige Schönheiten ergeben, wenn sie
zweckmäßig gestaltet sind. Aum Wohnen sind solche
Straßen nicht geeignet. Sie sollen für große Geschäfts-
häuser, Warenhäuser und Banken sein. Daraus wird
sich von selbst etwas Großes und Machtvolles in dem
Straßenzug ergeben. Und um dem Verkehr noch besser
zu dienen und seinen Aweck noch besser auszunutzen,
müssen diese Straßen den Verkehr von hundert anderen zu
übernehmen und sie so zu entlasten imstande sein. Also
müssen auch die Bauten eine dieser Straßenbreite ent-
sprechende Höhe bekommen, wodurch genau in dem Maße
wie dem Zweck der Häuser und der Straße gedient wäre,
auch die Schönheit der Anlage gehoben würde. Ob eine
solche Straße schnurgerade angelegt wird oder ge-
schwungen, tut wenig zur Sache. Durch eine Biegung
behält sie die Eigenart der Straße; durch die andere
Anlage wird sie mehr in den Platz übergehen, was im
Sinne der anwohnenden Geschäftsleute und der Fuß-
gänger nur von Vorteil sein könnte und zur Erhöhung
„monumentaler" Wirkungen beitragen würde. Voraus-
gesetzt ist, daß auch eine solche Straße einen sicheren Ab-
schluß hat, mag dieser Abschluß nun in einem vorge-
lagerten großen Bauwerk oder einem gewaltigen Tore
bestehen. Gerade diese zweite Art, eine Straße abzu-
schließen, ist heute so gut wie vergessen. Man braucht
nicht erst den Titusbogen und das Konstantinstor in Roni
gesehen zu haben, um zu wissen, welch herzerfreuende
Pracht man dadurch von sich weist. Man denkt auch nicht
daran, daß ein solcher Bau für eine große Straße immer
eine sehr praktische Bedeutung haben würde. Von den
Torzimmern könnte man die ganze Straße übersehen:
es ließen sich dort Sanitätswache, Feuerwehr und ähn-
liches unterbringen, ganz abgesehen davon, daß man hier
ein ebenso zweckgemäßes wie schönes Mittel haben würde,
den Fußgängern ein gefahrloses Ueberschreiten der
Straße zu sichern.

Jm allgemeinen ist die Wohnstraße die Regel. Daß
nun die geschwungenen Straßen schön sind, leugnet
keiner. Nur ist man sich zuweilen über ihre Aweckmäßig-
keit nicht klar. Die zweckmäßigste Verbindung zwischen
zwei Punkten ist die gerade Linie, sagt man. Aber eine
Stadt besteht nicht aus zwei Punkten. Eine Stadt bildet
inimer niehr oder weniger einen Kreis, in den viele andere
Kreise eingeordnet werden können. Und auf jeder
Peripherie eines jeden Kreises wohnen Menschen. Nicht
nur an je zwei Punkten, die dann allerdings zweck-

mäßigerweise durch eine gerade Linie verbunden werden
müßten. Wir erhalten also nicht diese gerade Linie,
sondern es muß das Parallelogramm der Kräfte kon-
struiert werden und so ist die krumme Linie als einzig
zweckgemäße von selbst gegeben. Daß sich der Verkehr
in geschwungener Linie leichter abwickeln muß, mag nur
nebenher erwähnt werden. Und wie sehr man ermüdet
in den ewig geraden Straßen, die ohne Abschluß und
ohne sichtbares Ende weiterlaufen, weiß jeder aus Er-
fahrung. Eine krumnie Straße bietet reizvolle Abwechs-
lung durch die Häuserfronten, die sich kulissenartig dem
Blick vorschieben. Diese Schönheit ist zugleich für die an-
liegenden Läden ein hoher Vorteil, die in den geraden
Straßen durch unvornehmes Protzen in ihren Auslagen
den Blick auf sich zu ziehen genötigt sind. Ein weiterer
Nutzen krummer Straßenzüge ist der, daß die Straßen-
wände nicht so oft durch einmündende Querstraßen
unterbrochen werden, weil alle Straßen mehr oder
weniger parallel konvergierend zueinander laufen und
schließlich unaufdringlich ineinander übergehen. Also
für die Fußgänger Sicherheit und Geborgenheit im
ununterbrochenen Schutz der Häuser; für den Blick
strenge Geschlossenheit des Straßenbildes. Die natur-
gemäß häufig unterbrochenen geraden Straßen machen
nicht den Eindruck geschlossener Räume, sondern vielfach
zerklaffter Risse in den Baublöcken, wodurch die Straße
unzweckmäßig, häßlich wird und ihren Hauptsinn ver-
fehlt: den Fußgängern Sicherheit, den Bewohnern ab-
geschlossene Ruhe zu gewähren. Jn den schönen alten
Straßen herrscht trotz regsten Verkehrs eine vornehme
Ruhe, weil man jedesmal nur einen kleinen Teil der
Straße übersehen kann. So „wohnt^ jedes Haus sozu-
sagen wieder in einem größeren „Hause", dem Stückchen
Straße.

Das Kümmerlichste in modernen Städten ist —
trotz seiner reichlichen Verwendung! — das Grün. Aber
es würde zu weit gehen, auch noch dieses Beispiel für
die Geltung der Gleichung „Schönheit und Aweck-
mäßigkeit" im Städtebau näher auszuführen.

Es mag nur angedeutet werden, daß man in dieser
Sache immer von dem falschen Standpunkte ausgeht,
die Natur an sich sei schön. Die Natur isi weder schön
noch sonst etwas. Erst dadurch, daß der Naturgegen-
stand in lebensvolle Beziehung zum Kunstwerk tritt,
kann er Schönheit wirken — mag dieses Kunstwerk nun
der einzelne Mensch oder ein Menschenwerk sein.

Aus allem geht wohl das eine hervor, daß es etwas
geben muß, im tiefsten Grunde alles Seins, das als
Urwille und einheitliches Gesetz alles beherrscht und
formt. Es gibt nur Einheit. Alles, was diesem Urgesetz
widerspricht, hat sich damit selbst sein Todesurteil ge-
sprochen.

Bonn am Rhein. Wilhelm Matthießen.

bend in Cremona.

Von Hermann Hesse.

Wieder einmal fuhr ich von den Bergen her der
italienischen Tiesebene entgegen, aus der Schneenähe in
den blauschweren Dunst der Maisgegenden, aus der

104
 
Annotationen